Von HORST ZIMMERMANN München - Wie war es möglich, daß drei Angehörige des Bundesnachrichtendienstes (BND) amtlich beschafftes Kriegsgerät der aus Ostdeutschland abziehenden Sowjetarmee auf eigene Rechnung an den britischen Geheimdienst MI 6 verhökern und die eigene "Firma" um über 100 000 Mark prellen konnten?

Dies wird wohl für immer im Dunkeln bleiben. Denn das Verfahren gegen das BND-Trio vor dem Landgericht München II wurde wegen Gefahr für Sicherheit und Interessen Deutschlands zum Geheimprozeß erklärt.

Der Fall reiht sich ein in eine Serie peinlicher Affären, die auch der seit zwei Jahren amtierende neue BND-Chef Hansjörg Geiger (55) bislang nicht stoppen konnte. Es gibt sogar Indizien dafür, daß einige Vorgänge gezielt an die große Glocke gehängt wurden, um den neuen Chef zu demontieren.

Kaum war die "Plutonium-Affäre" aus den Schlagzeilen, sorgte die Lachnummer um "Recycling von Geheimmaterial" für hämische Bemerkungen: Ein ehemaliger und ein aktiver BND-Agent hatten BND-Material umformuliert und dem Geheimdienst als brandheiße News angedreht.

Noch peinlicher dürfte die Affäre um den BND-Abwehrchef Volker Foertsch (63) ausgehen. Der Abteilungsleiter war angeblich durch einen russischen BND-Agenten mit dem Decknamen "Rübezahl" verdächtigt worden, seit langem als Maulwurf für den Moskauer Geheimdienst gearbeitet zu haben. Pflichtgemäß ordnete BND-Chef Geiger die Überwachung seines Topbeamten an.

Gefunden wurde nichts. Der Generalbundesanwalt stellt sein Ermittlungsverfahren ein und stellte Foertsch einen blütenreinen Persilschein aus. Dennoch empfahl die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Bundestages zur Kontrolle der Geheimdienste, Foertsch im Interesse des BND in den vorzeitigen Ruhestand zu schicken. Nun soll er vom 1. Oktober an die BND-Agentenschule übernehmen.

Die Ermittlungen gehen jetzt in andere Richtung weiter. Sie sollen klären, wer das Komplott gegen Foertsch mit Hilfe eines - wie inzwischen feststeht - gefälschten "Rübezahl"-Berichts angezettelt hat. Ein fremder Geheimdienst oder BND-Leute, die - Variante I - fast eine halbe Million angeblichen "Rübezahl"-Lohn in die eigene Tasche leiten oder - Variante II - dem BND-Chef Geiger "ein Bonbon ans Bein kleben" wollten?

Fest steht, daß der neue Geheimdienstchef ganz und gar nicht in das von BND-Gründer Reinhard Gehlen gepflegte Schlapphut-Image paßt. Schon kurz nach Dienstantritt im "Doktorhaus" der Geheimdienst-Siedlung in Pullach bei München schreckte Geiger den verkrusteten Apparat mit kritischen Bemerkungen über mangelnde Flexibilität, Kreativität und Phantasie auf: "Wir verwalten hier kein Einwohnermeldeamt." Und dann kam es für die BND-Veteranen knüppeldick.

Geiger verkündete den Abschied von unsinniger Geheimniskrämerei. Erstmals durften die Familien der BND-Leute zu einem Tag der offenen Tür in die bis dahin streng abgeschottete BND-Siedlung einrücken und sehen, was Papa (oder auch Mama) so machen. Dann durften Journalisten das Allerheiligste, das für 100 Millionen Mark eingerichtete "Lagezentrum", besichtigen. Anfang des Jahres lüftete BND-Pressesprecher Peter Juchatz das bis dahin streng gehütete Geheimnis, das Juchatz nur sein Deckname war und er in Wirklichkeit Michael Baumann heiße.

Die Altherren-Riege verstand die Geheimdienstwelt nicht mehr. Was über 40 Jahre eine Geheimloge verschworener Kartellbrüder war, sollte auf einmal ein modernes "Service-Unternehmen" der Bundesregierung werden. Damit nicht genug: Der Dienst, der bereits rund 1000 seiner einst 7000 Stellen abgebaut hatte, sollte um weitere 1000 Köpfe schrumpfen.

Viele "Geheime" mußten gehen, weitere mußten im Zuge der von Geiger angeordneten Personalrotation ihre Erbhöfe räumen und auf neue Posten wechseln. Bei soviel Wechsel war es wohl kein Wunder, daß Intrige, Frust und Suff manches nach draußen spülten.

Dennoch scheint die Rechnung des coolen und cleveren Porsche-Fahres Geiger aufzugehen. Seitdem er den Muff aus den Pullacher Kabuffs pustet, pochen viele Geheime nicht mehr auf ihre 37-Stunden-Woche.

Selbst in Bonn, wo es fast schon zum guten Ton gehört, sich über die "Gullygucker" lustig zu machen, ist aufgefallen, daß BND-Reports wieder mehr Substanz und weniger Gelaber enthalten und oft sogar echten Neuigkeitswert haben.