Als die Sattelschlepper durch Westerau (Kreis Stormarn) rollten, beladen mit gigantischen Rotorblättern, ächzend und stöhnend sich über die eigens verbreiterte Dorfstra- ße wanden, da erst bekamen sie eine Ahnung vom Ausmaß der Veränderung. Das war in den letzten Novembertagen. Die Wiese am östüchen Dorfrand lag noch weit und leer. Jetzt stehen dort sechs Riesen: der Windpark Westerau.

Das Bild des Dorfes hat sich verändert", stellt Andre Grimm (34) nüchtern fest. Nicht nur er. Wer sich von Bad Oldesloe oder Reinfeld dem 800-Seelen-Ort nähert, sieht schon von Ferne die mächtigen weißgrauen Flügel in den Himmel ragen. Erst viel spater kommen die roten Dächer Westeraus in den BUck.

Kein Einzelfall. In Nordfriesland, Dithmarschen und auf Fehmarn stehen noch viel mehr. Dort sieht man sie gerne. ?Ich mag das da so gerne anschauen,

Von HANNA-LOTTE MIKUTEfT

wie sich die Flügel langsam im Wind drehen", schwärmt eine Westerauerin. Aber nun kommen die Windräder auch ins Binnenland, bis vor die Haustür.

Dort, zwischen rotgedeckten Bauernhöfen und schmucken

Einfamillenhäusern, wo es weder Laden noch Kneipe gibt und das Abfischen des Karpfenteiches ein gesellschaftllcher Höhepunkt ist, dort waren die meisten zuerst einfach nur erstaunt dar- über, was mit ihrem Dorf passiert. Langsam, fast zögerna kamen die Fragen. Was ist mit Lärmbelästigung und Schattenwurf, mit Grundstückspreisen und Unfallrisiken? Und dann plötzllch, genauso schnell, wie die 70 Meter hohen Räder aus dem Boden wuchsen, verhärteten sich einmal gefaßte Meinungen zu unvereinbaren Fronten.

"Wir haben uns hier eine Idylle geschaffen", sagt Udo Wiehe (55) und bllckt aus dem Wohnzimmer seiner umgebauten Scheune hinaus in den Dezembertag. Seit 30 Jahren leben der Brandschutzsachverständige aus Hamburg und seine Frau Waltraut (50) in Westerau. "Und jetzt sehen wir statt in die Natur auf Windkraftanlagen." Binnen weniger Tage ist Wiehe, der in der Freizeit Traber züchtet, zum unerbittllchsten Windenergie-Gegner geworden. Er sagt: "Wir wurden überhaupt nicht informiert."

Wenige Häuser weiter sitzt Heinrich Blunck in der geräumigen, mit vielen Auszeichnungen für seine Rinderzucht geschmückten Bauerndiele. "Ich glaube nicht, daß es weit und breit ein Dort gibt, wo die Sache so öffentllch behandelt wurde", sagt der ehrenamÜiche Bürgermeister. Er spricht von Postwurfsendungen seiner Partei, der Unabhängigen Wählergemeinschaft, von Gemeinderatssitzungen und der Auslegung der Baupläne auf dem Amt in Reinfeld. "Da hat niemand protestiert."

Angefangen hatte die ganze Sache 1993. Damals, so Bauer Blunck, sei ihm eine Anzeige des Betreibers von Windanlagen ins Auge gefallen. Nachdem er zuerst wohl eher an ein privates Windrad vor der Haustür gedacht hatte, wurde nach den Gesprächen mit der "Regenerative Energien Denker & Dr. Wulff KG" in Sehestedt (Kreis Rendsburg-Eckernförde), die nach eigenen Angaben bereits 76 Anlagen betreibt, die Idee des sechsrädrigen Windparks mit einer Jahresleistung von jeweils einem Megawatt Strom geboren. Von dem 12,5-MüUonen-Mark-Projekt erhofft der Bürgermeister sich nun Steuereinnahmen von 30 000 Mark im Jahr.

Die Fläche - ein halber Hektar pro Windrad - war schneü gefunden. Blunck und ein zweiter

Landwirt wollten an die Windparkbetreiber verpachten, "das bringt schon mehr als sonst". Dann folgten lange und zähe Verhandlungen mit dem Landkreis, der die Flächen aus dem Landschaftsschutz nehmen mußte, und dem Stromversorger Schleswag, der für den Anschluß zu seinem mehr als neun Kilometer entfernten Umspannwerk zuständig ist. Bis dahin kümmerte sich kaum jemand um die großen Pläne in dem kleinen Dorf.

Im Oktober ging es mit dem Bau los. Acht Wochen dauerte es, bis die Betonfundamente fertig waren. Überdimensionale Gullydeckel auf der grünen Wiese. Dann kamen der Kran, die Lastwagen, die Monteure, die Sattelschlepper. Und die Unruhe.

"Hätte man sie nicht irgendwo hinstellen können, wo sie niemanden stören", wettert Gegner Wiehe. Er fühlt sich um seine Idylle betrogen und in seinem Vertrauen in Bürgermeister Blunck getäuscht, und er wül kämpfen. "Man könnte ja . . .", sagt er und sinniert darüber, daß die Leute im Dorf die Grundstücksverhandlungen für den Stromanschluß blockieren. Auch die Gründung einer zweiten Wählergemeinschaft spukt ihm im Kopf. "Schlleßllch", fragt er und meint es rhetorisch, "muß man sich doch fragen, wem die Anlagen eigentllch nützen."

Inzwischen wird in Westerau über nichts anderes mehr geredet. Noch schauen die meisten verwundert, aber nicht im Zorn auf die spargeligen Giganten. "Die sind mir Ueber als ein Atomkraftwerk", meint Heike Wieding (41). Anderen ist noch gar nicht klar, "was das eigentllch bedeuten soü". Und Christine Müggenburg (33), Hausfrau mit zwei Kindern, findet: "Mein Mann und die Jungs sind ständig bei den Bauarbeiten. Endllch passiert mal was Tolles in Westerau."

Bürgermeister Blunck glaubt: "Es dauert einige Zeit, dann haben sich alle daran gewöhnt." Das Hamburger Abendblatt wird das verfolgen und in größeren Abständen fortlaufend über die Riesen im Dorf berichten.