Sein Happy-Party-Sound formte den Musikgeschmack ganzer Generationen - James Last ist der König der frohsinnigen Tanzbein-Musik. Seit 30 Jahren zieht der gewiefte Arrangeur und Bandleader wie ein Komet durch den Pop-Kosmos. Begabt mit einem untrüglichen Gespür dafür, wie man gemütlichen Menschen das dezente Austoben erleichtern kann, wittert er verkaufsträchtige Mini-Trends und sammelt Goldene Schallplatten wie andere Bierdeckel. Und stellt sich manchmal die Frage: Sind das bleibende Werte?

Auf die Frage, wer James Last sei, verweisen gebüdete böse Buben auf eine Fabel des Bidpai, jenes 1500 Jahre alten Klassikers östücher Weisheit. In "Der Fuchs und die Pauke" heißt es: ?Ein Fuchs kam in einen Wald, wo eine Pauke in einem Baum hing. Wenn der Wind bües, schlugen ein paar Äste auf die Pauke: ,Bumm-bumm-rat-a-tet-tat!' Der Fuchs erstarrte auf seiner Fährte und horchte. Dann schüch er sich an, dem Klang folgend und sah dieses merkwürdige Wesen. Es baumelte von einem Baum, dicht über dem Boden.

Er entschied, daß etwas von dieser Größe, das solchen Lärm machte und in einem Baum lebte, eine gute Mahlzeit abgeben müßte. Er machte einen überraschenden Satz, stürzte sich auf die Pauke und riß sie vom Baum. Knurrend und fetzend riß er das Feü ab und zerschützte es vöüig. Aber als er ins Innere sah, fand er die Pauke leer, und es gab gewiß nichts zu essen."

James Last, eine leere Pauke? Gemach! Fragen wir Meyers Lexikon: "Last, James, eigentl. Hans L., 'Bremen 17. Aprü 1929, dt. Orchesterleiter. - Urspr. (Jazz)bassist; ging 1955 zum NDR-Orchester nach Hamburg; gründete 1965 die , James-Last- Big-Band'; wurde populär durch gefälüge Swing-Bearbeitungen Internat. Schlager, dt. Volkslieder u. a." Sieh an, unser Musikus kommt vom Jazz. Warum aber

steht Jazz in Klammern? Was sagen die Jazz-Lexika? Nuü Last. Einen Jazzmusiker Last gibt es nicht.

Doch bis dahin war es ein langer Weg. Er führt über den Norddeutschen Rundfunk Hamburg. Im Mai 1957 befindet sich Hans Last mit seinem Baß vor den Mikrophonen des NDR im Studio 11. Er hottet mit dem Ensemble des genialen Geigers Stephane Grappeü: Jeepers Creepers, Nuages, Lady be good, St. Louis Blues, How high the Moon. Das ist das Familiensilber des Swing. Und der deutsche Hans wußte, wie man es putzt. Aus akustischen Gründen stand die Band in einer Ecke des Studios.

Die Symboük dieser Position war belastend; Hans mußte da raus. Schon sein erster Versuch, mit einer Partitur für großes Orchester vom Combo-Pygmäenstatus in die kaiserlichen Streicherorgeln ä la Percy Faith, Andre Kostelanetz und Mantovani zu emigrieren, war erfolgreich. Das ist, als würde jemand, der bis dahin nur trockenes Schwarzbrot kannte, mit edlem Müch- Stuten konfrontiert: Er flennt vor Freude auf seine weiße Stulle. James Last heute: "Als damals 12 Celü und 12 Violinen mit der Melodie von ,The breeze and I' loslegten, da kamen mir die Haare hoch."

Beim NDR konnte Hans Last als Arrangeur für die Orchester von Harry Hermann und Kurt Wege seiner neuen Lust frönen: Fascinating rhythm, Just one of those things, La cumparcita.

Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre: Adenauer verhandelt mit Moskau wegen der deutschen Kriegsgefangenen. Die Bundeswehr entsteht. Bertolt Brecht stirbt. Nitribitt-Skandal. Protest gegen die Atom-Bewaffnung der Bundeswehr. Edith Piaf stirbt. Freddy Quinn singt "Junge, komm bald wieder". Lübke wird Bundespräsident. Günter Grass veröffentlicht "Die Blechtrommel". Eichmann vor Gericht. Mauerbau. Spiegel-Affäre. Das war das Küma, in dem die großen Unterhaltungsorchester ihre wunderschönen Luftballons entwickeln konnten.

Aber ihre Tage waren gezählt. Und auch die Zeit von Hans Last beim NDR neigte sich ihrem Ende zu. "Als ich vom NDR die Zusage auf Festansteüung bekam, dachte ich: mein Gott, 35 Jahre durch dieses Tor fahren. Da erschrak ich und lehnte ab." Nach Lasts Phase der musikalischen Rheuma-Decken für Leute mit Gehör-Arthrose, die sich ferne warm in weiche Klänge uscheln, setzte der Maestro 1965 zu einem gewaltigen Sprung an. Es war, als woüte er sich in den Dienst eines Urbedürfnisses steüen, das sehr viel mit Tanz zu tun hat: Hans Last gründete sein fröhüches Tanzbeinorchester - ein Quantensprung, der ihn zu einem bedeutenden wirtschaftüchen Faktor machte.

Auslöser war die Frustration auf einem Fest. "Bei der Musik, die während der Feier zu meinem 10. Hochzeitstag gespielt wurde, kam einfach keine Stimmung auf. Deshalb spielten wir selbst die gängigen Tagesschlager, lachten, klatschten und nahmen das ganze Treiben auf einer Kassette auf. Als wir sie uns am nächsten Tag noch einmal anhörten, war uns sofort wieder zum Feiern zumute." Heute sind 70 Millionen Tonträger verkauft. 170 Platten-Titel umfaßt Lasts Diskographie (s. Kasten).

Das immer gleiche Erfolgsrezept des Bearbeitungs-Moguls: Nimm das, was des Volkes ist - Schlagerparaden-Pferde, tief eingebrannte Folklore, frittierte gewisse Seelentröster der alten Musik (Last: "Bach ist der größte Blues-Fritze, den es je gegeben hat"). Füge dem eine kräftige Prise rhythmischen Frohsinn hinzu und lasse aües im Ofen eines erstklassigen Mediengiganten aufgehen und vertreiben. Fertig. Das

Ergebnis überzeugt nur bedingt. So wie der Bertolt Brecht über das andere Geschlecht giftete: "Unsere Frauen haben Gefühle, aber keinen Hintern", so ungefähr verhält es sich mit der Lastschen Musik. Sie ist randvoü mit einer Gemütlichkeit, die deutsch und das Feierabend-Emblem ist, einer im Speck lebenden, über den ganzen Globus verteilten mittelständischen Gesellschaft.

Die rennt sich wegen dieser Musik die Hacken ab rund um den Planeten. Britische Pressestimmen : "Last is stül first for the middlebrow masses" / "Last not old hat" / "Mein Gott! How does he do it?" / "No other band can swing so easüy from sugarsweet schmaltz to outright (weü, almost) rock and roll." "Poüshed classics to rock at Last!" / "It's sheer magic!" / "Edinburgh belongs to James Last!"

Tourneen steüen den fast erotischen Kontakt zum Verbraucher her. Und die Musiker von Hansi, dem guten Menschen, der in den Partyhimmel kommt, müssen nicht darben. "yälammtnochmal, is denn nix Soffbares mehr da?" Diese Frage von James Joyce kennt man nicht im Hansi- Land. Wolfgang Schlüter, bedeutender Vibraphonist und Vielzweckmuckerle berichtet: ?Die Bus-Bar war immer geöffnet. Entfernungen wurden in Gin gemessen. Wir waren gut drauf.

Während früher der Adel in Venedig trinkend und kopuüerend von der Empore Apfelsinenschalen auf das hart arbeitende Orchester Antonio Vivaldi warf, wärmte sich James Last am Jubel der 7000 in der Royal Albert Hau von London. Nur der SPIEGEL höhnte schon 1993: "James Last, dessen Musik-Melange von Kritikern als .zeitgemäß verpackter Ungeschmack' verworfen wird".

Was bleibt dem melanchoüsch dreinblickenden Musiker der Massen, des happy-hopsenden Normalbürgers nacn etwa 70 Mü- üonen verkauften Tonträgern? Sicherhch viel Geld. Und Zuspruch. Der kommt zum Beispiel von Professor Rauhe, dem superschlauen Präsidenten der Hamburger Hochschule für Musik und Theater: "Der Mensch hat von jeher des Trostes bedurft; aber noch nie war er in seiner Not so allem gelassen wie heute. Famüie, Kirche und andere Gemeinschaften vermögen den Leidenden nicht mehr aufzurichten. Beschränkte früher der harte, lange Arbeitstag die Selbstreflexion auf ein Minimum oder sahen viele Menschen in der Arbeit selbst die Erfüüung ihres Lebens, so droht heute die zunehmende Freizeit um so deutücher den seehschen Zustand des modernen Menschen, seine Vereinsamung und Leere, zu enthüllen."

Doch siehe, die Rettung ist nah: "In das seeüsch-geistige Vakuum", erläutert Rauhe weiter, "strömt der Schlager ein, im wahrsten Sinne des Wortes eine Marktlücke ausfüüend; er spekuliert auf das Trostbedürmis der unter Konsumzwang stehenden .einsamen Masse'. Er verkündet Optimismus, Frohsinn, spendet Trost, indem er die Einsamkeit übertönt und den Menschen aus dem harten Alltag entrückt."

Also: Nicht weinen, hebe Arbeitslose! Hansi wird euch entlasten. Außerdem könnt ihr euch organisieren, gemeinsam Freud, Lied und Leid ertragen: Die 1974 gegründete "James Last Appreciation Society" mit weltweit 6000 Mitüedern steüt eine Art Leibgarde dar, die ihre Begeisterung für das Last-Prinzip "Musik von heute für die Leute von gestern" in Treue fest artikuüert.

Das muß belohnt werden. Im August 1994 schreibt Last an seine Verehrer: ?I feel so proud that with the help of so many old and young composers and with a Utile talent to bring my heart, my soul and my happmess into the music, we have formed a friendship that is not easy to understand for people who are not members in this famlly. (Ich bin stolz darauf, mit der Hilfe so vieler alter und junger Komponisten und mit etwas Talent mein Herz, meine Seele und mein Glück in die Musik zu bringen. Daraus ist eine Freundschaft gewachsen t die nicht leicht zu verstehen ist für Menschen, die nich t zu dieser Familie gehören.)

Ein Uvländisches Sprichwort sagt: "Wer in einem sübernen Bett schläft, hat goldene Träume." Auch ein James Last träumt - von einem Quentchen Unverfänglichkeit: "Eine CD mit Isaac tern, Violine, und Wynton Marsaüs, Trompete - da hätt' ich Bock drauf." Doch schon Sigmund Freud hat zu solchen Wünschen im "Abriß der Psychoanalyse" notiert: ?Der Traum ist eine Psychose, mit aüen Ungereimtheiten, Wahnbüdungen, Sinnestäuschungen einer solchen. In einem täuscht sich Last auf gar keinen Fall. Er ist ein Meister im Wittern von ergiebigen Marktchancen. Ja, er hat die Nase eines Jagdhundes. Der süßüche Geruch von Geld und Gloria, den manche Volkshelden der Musik im Feü haben, entgeht ihm nicht. Und gülden glänzt das Riechorgan von Big James.