Rathaus und Diäten - das ist seit drei Wochen ein und dasselbe. Doch es gibt auch andere Themen, über die es sich lohnt nachzudenken. Wichtigere sogar. Zum Beispiel über die scheinbar banale Frage: Was soll aus Hamburg werden?

Em Mann hat es getan : Paul O. Vogel, von 1964 bis 1978 Sprecher des Senats. Die Zeit, in der er mit im Zentrum der Macht saß, ist zwar vorbei. Nicht aber Anteilnehmen und Freude, aber auch Zweifel und Leiden an dem, wie in der Hansestadt Politik gemacht wird.

Am Herzen Uegt ihm vor allem die Stadtentwicklungspolitik. Sie wird, da ist sich Vogel sicher, "als nun eigenständige Behördenaufgabe auch über die laufende Wahlperiode hinaus ein zentrales Thema und der dafür zuständige Senator einer der wichtigsten und mächtigsten Politiker Hamburgs werden".

Und schon kommen ihm Bedenken. Denn Hamburgs erste Senatorin für Stadtentwicklung, Traute MüUer (SPD), strebe nicht nach "Macht", der Begriff sei ihr zuwider, sie möchte vermitteln, an "Runden Tischen" ausgleichen, Konsens suchen. Für Vogel ist das zuwenig. Denn: "An Runden Tischen fallen in der Regel keine Entscheidungen, und politische Fragen sind stets auch Machtfragen, die polltische Kultur nicht ausschlleßen, aber sich in ihr nicht erschöpfen können."

Vogel sagt auch, wo er die ersten Machtfragen kommen sieht: im Umgang mit anderen Behörden und Ämtern. Zwar würden Bau- und Wirtschaftsbehörde einen Teil ihrer Zuständigkeiten an die

neue Behörde abgeben müssen - aber welche? Vogel: "Ich sehe nicht, daß Eugen Wagner jeden Dienstag zur Senatssitzung Kreide fressen und Traute fragen wird, wie sie es denn gern hätte." Und auch bei Wirtschaftssenator Professor Hans-Jürgen Krupp könne er sich vorstellen, daß ihn Kompetenzverlust schmerzt. "Kann man in einer internationalen Metropole der Wirtschaftsbehörde die Kompetenz für Verkehrsfragen nehmen?" fragt Vogel.

Wirrwarr der Kompetenzen

Und was soll mit dem Oberbaudirektor werden? Wenn der so gut ist, wie Alt-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi immer meinte, könne man ihn doch nicht auf Eis legen. Vogel: "Wieso ist er dann für die Stadtentwicklungsbehörde entbehrlich?" Wie werde sich die Innenbehörde verhalten, die bei Verkehrsfragen ein gewichtiges Wort mitzureden habe? Vogel: "Die Konflikte sind programmiert!"

Aber auch in der Stadtentwicklungbehörde selbst sieht Vogel Schwierigkeiten. Er glaubt nicht, daß Traute MüUer die "enorme Verwaltungserfahrung" hat, die zum Aufbau und zur vollen Funktionsfähigkeit - nicht nur für die innere Arbeitsfähigkeit einer Behörde erforderlich ist. Der frühere Bürgermeister Herbert Weichmann habe einmal gesagt, dazu benötige man eine ganze Legislaturperiode.

Im übrigen würden Reibungen beim Neubau einer Behörde weniger an der Spitze und bei Grundsatzentscheidungen auftreten als im AUtag auf Amtsleiter-Ebene und in Arbeitsgruppen. Dort werde "Stülstand ohne Schuldige" erzeugt.

-Stillstand ohne Schuldige'

Doch nichts wäre fataler. Denn sowohl der Wirtschaftsboom als auch das Steigen der Einwohnerzahl riefen nach unmittelbar wirksamen Entscheidungen auf oft kontroversen Feldern. Von Bebauungs- und Flächennutzungsplänen bis zum Stra- ßen- und Sielbau. Die Fleetinsel werde vollgebaut, für die Speicherstadt neue Nutzungen erwogen, in der City- Süd werde es im Endausbau bis zu 30 000 neue Arbeitsplätze geben. Vogel: "Wo ist die jetzt in der Realisierungsphase stehende Planung leistungsfähiger Bahnen und Busse in diesem Bereich?" Hamburg brauche überdies neue Gewerbegebiete, Hafenflächen, die vierte Eibtunnelröhre und den Straßenbau rund um den Flughafen. Vogel: "Hamburg braucht Entscheidungen j e t z t!"

Die Stresemannstraße habe gezeigt: Im innerstädtischen Verkehr ist es fünf nach zwölf. Vielspurige Verkehrsadern wie Osdorfer Landstaße und Kieler Straße münden in dichtbebaute Viertel aus der Zeit der Jahrhundertwende. Aber welche Konsequenzen seien gezogen worden? Vogel: "Freundliche Duldung und Ermunterung von Blockaden, Rückbauten, Busspuren, Geschwindigkeitsbegrenzungen - also keine einzige vorwärtsweisende Antwort auf die gesicherten Verkehrsprognosen, die seit mehr als zehn Jahren vorliegen." Traute Müller müsse jetzt Antworten finden und in Politik umsetzen, sie könne nicht auf das nächste Jahrhundert verweisen. Wenn beabsichtigt sei, den Verkehr an sich selbst ersticken zu lassen, dann müsse man das jetzt sagen.

Traute MüUer habe ihr Amt ausdrücklich gewoüt, "aber hat sie gewußt, was da auf sie zukommt?" Sie müsse jetzt, mit einer unfertigen Behörde, "Antworten auf Jahrhundertfragen finden und Versäumnisse von Jahrzehnten ausräumen". Sie müsse harte Interessenausgleiche erzwingen, wo sie eigentllch "sanfte Politik" in Diskussionen anwenden wollte.

Vogels große Sorge: "Wird Traute Müller mit der Aufgabe nicht fertig, dann hat Hamburg den Schaden. Aber die Trümmer fallen dem Ersten Bürgermeister Henning Voscherau auf die Füße. Er wird das wissen und Traute MüUer mit aller Kraft abstützen. Denn ihr Amt - das ist in Wahrheit Chefsache!"

Wie sagte doch Voscherau am 5. September vor der Handelskammer: "Es gibt nämlich viel zu tun. Und wehe, man packt es nicht an."