Von Günter Stiller

Stuttgart - Auf dem KUlesberg in Stuttgart schrieb Ministerpräsident Lothar Späth die Geschichte neu: "Das Automobü ist das Geschenk des deutschen Südwestens an die Welt!" sagte er gestern, am ersten Tag des zweiten Automobü-Jahrhunderts. Dann brach in dem vor Selbstvertrauen und Optimismus berstenden Mann, in dem man am Neckar längst einen künftigen Bundeskanzler sieht, der uralte Schwabe ("Schaffe, schaffe, Häusle baue") durch: "Es ist etwas ganz Ungewöhnüches, daß in Württemberg zwei Tage hintereinander gefeiert wüd. Es ist nur mit der Relation von hundert Jahren Arbeit zu zwei Tagen feiern zu erklären."

Der Külesberg, in dem 4000 geladene Gäste saßen, unter ihnen 600 VIP's, erbebte in seinen Grundmauern. Zum 100. Geburtstag des Automobüs waren sie gekommen, um dem strahlendsten aller Sterne ihre respektvolle Aufwartung zu machen. Denn das Jahrhundert- Jubiläum des Motorwagens ist nun einmal - wie passend! - das Jubüaum der famosen Daimler- Benz-Automobüe.

Bundeskanzler Kohl war da, die Bundesminister Bangemann und Dollinger, die Chefs aller deutschen Automobilfirmen, Wirtschaftsführer, Bankiers, Polltiker aller Schattierungen, Wissenschaftler und Bürgermeister. "Wenn hier etwas passiert, ist die Bundesrepubllk nicht mehr handlungsfähig", ächzte ein verzweifelter Geheimpollzist.

Nur Henry Ford hatte absagen müssen. Dafür war aber Roger Smith da, das Oberhaupt von General Motors, des größten Kraftfahrzeug-Produzenten der Welt, Rolls-Royce-Chef Richard Perry, der so nobel aussieht wie sein Produkt, alle japanischen Auto-Häuptlinge, ein ganzes

Das war Mercedes

Die Österreicherin Mercedes Jellinek (1 1 ) gab 1 900 den deutschen Daimler-Autos ihren spanischen Namen. Ihr Vater, der in Nizza ansässige Geschäfts- und Lebemann Emil lellinek, hatte der Daimler Motoren-Gesellschaft in Bad Cannstatt mit einem Auftrag über 36 Automobile (Verkaufspreis 550 000 Goldmark) auf die Beine geholfen und den Namen Mercedes als

Markenzeichen gefordert Schock Botschafter, unter ihnen Semjonow aus Bonn, der diplomatische Überlebenskünstler aus Moskau.

Der Dreizack-Stern aus Untertürkheim - ein Super-Magnet, der die Flanell-Prominenz aus aller Welt unwiderstehllch anzog. Nur der unerschrockene Franz Josef Strauß hielt sogar auf schwäbischem Boden Hof wie zu Hause an der Isar. Strahlend erzählte er seinen gebannten Zuhörern, daß er gleich drei Führerscheine machen mußte, und daß er das erste Strafmandat seines Lebens ün - wo denn sonst? - roten Hessen hätte berappen müssen.

Nur als ein Frechling wissen wollte, wann denn Daimler Benz nun auch BMW aufkaufen würde, bekam er seinen grantigen Watzmann-BUck: "Eher trocknet die Isar aus!" Bayerns Stolz Ueß sich erst auf seinem Ehrenplatz nieder, als der Bundeskanzler die prächtige Szene betrat. Aber das muß purer Zufall gewesen sein . . .

Auch der Kanzler hatte für die Abendblatt-Leser eine spannende Auto-Story parat: "Als ich nach dem Krieg in Ludwigshafen meinen Führerschein machte, waren die Prüfungen noch nicht so tiefenpsychologisch angelegt wie heute. Ich machte alles falsch, wurde zwischen zwei Straßenbahnen eingekeüt und würgte auch noch den Motor ab. Mein Fahrlehrer, ein Mann mit Vergangenheit, brüUte mich an: .Wenn Sie noch in der Wehrmacht wären, müßten Sie auf offener Straße 30 Kniebeugen machen!'" Die würde Kohl heute nicht mehr schaffen - bei seinem Rekord-Lebendgewicht!

In ihren Festreden sagten: Daimler-Benz- Vorstandsvorsitzender Werner Breitschwerdt: "Ich glaube weder an die Vision einer vollautomatisierten Automobilfabrik noch an das vollautomatisierte Auto. Die Technik wird sich nur dort durchsetzen, wo sie besser und zuverlässiger ist als der Mensch. Unser Ziel soll sein, die Unfallzahlen bis zum Jahr 2000 nochmals zu halbieren."

Bundeskanzler Helmut Kohl: "Es ist nicht zu leugnen, daß wü ün Umweltschutz zu lange untätig waren. In den USA und in Japan wurde das umweltfreund- Uche Auto schon 1972 beziehungsweise 1974 eingeführt. Die Umstellung wäre auch bei uns längst vollzogen, wenn entsprechende polltische Entscheidungen rechtzeitig getroffen worden wären."

Anschlleßend wurde die hinreißende Ausstellung "Welt mobil" eröffnet. Der Kanzler warf mittels eines Schwungrades gekonnt den Motor des wiedererstandenen ältesten Autos der Welt, der Daimler-Motorkutsche, an und Ueß sich von Daimler-Benz-Chef Breitschwerdt durch die Parade der Prominenten, Fotografen und der herzzerreißend schönen Oldtimer hindurchkutschieren. Er strahlte, als ob er das Automobü selbst erfunden hätte.

Der 100. Geburtstag des Automobüs - ein Triumph für den noblen Mercedes-Stern und eme Big Show wie von Cecü B. de Müle. Nur die Festhalle war Marke Külesberg.