Eines der schlimmsten Verbrechen der vergangenen Jahre in Hamburg, der Sexualmord an zwei Kindern aus Mümmelmannsberg, bleibt wahrscheinlich ungesühnt. “Die Staatsanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren gegen den Tierpfleger Jürgen Walter Schröder eingestellt. Ein zur Anklageerhebung hinreichender Tatverdacht liegt nicht mehr vor“, heißt es in einer lapidaren Sieben-Zeilen-Mitteilung der Justiz. Der Hintergrund: Drei Wissenschaftler sind sich nicht einig, wie Haar-Spuren zu bewerten sind. Der heute 41jährige Schröder, der zur Zeit noch wegen eines räuberischen Diebstahls im Gefängnis sitzt, wird nun wohl im Mai auf Bewährung vorzeitig entlassen.

Der Fall

Am 15. Juni 1981 wurden Michael Riesterer (8) und sein türkischer Spielkamerad Haluk Kocal (9) aus Mümmelmannsberg am Rand der Boberger Dünen von einem Mann in einem großen dunklen Auto mitgenommen.

Genau 44 Tage hofften und beteten die Eltern von Michael und Haluk noch. Am 29. Juli 1981 wurden die Kinder aber im Naturschutzgebiet "Die Reit" tot aufgefunden. Sie lagen nebeneinander auf dem Bauch, waren erdrosselt und vermutlich homosexuell mißbraucht worden.

Der Verdacht

Nach dem Auffinden der Leichen meldeten sich zwei Eheleute bei der Mordkommission. Sie hatten am Tag, als die Jungen verschwunden waren, beim Naturschutzgebiet "Die Reit" einen Mann gesehen, der zwei Kinder an der Hand hatte. Die Kripo nahm die Aussage als Spur Nummer 466 zu den Akten.

Ein Jahr später, im Sommer 1982, entdeckte dieses Ehepaar in der Zeitung das Foto eines Mannes mit einer auffälligen Narbe an der Unken Wange. Die Zeugen erinnerten sich sofort: "Das ist er! Er war damals mit den Kindern in Reitbrook."

Er - damit meinte das Ehepaar Jürgen Walter Schröder. Sem Foto war in der Zeitung erschienen, weü er gerade vor Gericht stand. Er hatte in einem Tierheim am Öjendorfer Damm in Jenfeld Hunde und Katzen gequält, kranke Tiere weiterverkauft, einen Tierarzt bedroht und einen enttäuschten Kunden verletzt. Wegen dieser Taten wurde der Tierhändler zu einem Jahr und neun Monaten Freiheitsstrafe verurteüt.

Die Ermittlungen

Nach der Aussage des Ehepaares befaßte sich die Mordkommission nun etwas näher mit Schröder. Er bestritt aber, etwas mit dem Kindermord zu tun zu haben.

Einem altgedienten Kriminalisten fiel aber ein, daß Schröder schon früher wegen gewalttätiger Homosexualität mehrfach verurteilt worden war. Er hatte sich dann zwar entmannen lassen, aber starke Medikamente genommen und war wieder auffäUig geworden. Unterlagen darüber gab es jedoch nicht mehr. Die Kripo hatte nach der Strafrechtsreform 1975 alles vernichten müssen, weil Homosexuelle damit "diskrimiert" würden.

Die Mordkommission wähnte sich nun aber erst recht auf der richtigen Spur. Sie spürte im November 1983 in Travemünde einen schwarzen Opel-Diplomt auf, den Schröder zur Tatzeit benutzt haben soll. Kriminaltechniker nahmen den Wagen auseinander und fanden unter der Rückbank unzählige Haare. Sie stammten möglicherweise von Hunden, die Tierhändler Schröder in dem Auto transportiert hatte.

In wochenlangen Untersuchungen entdeckten zwei Biologinnen der Hamburger Kriminaltechnik aber auch mehrere Haare, die ihrer Ansicht nach von dem getöteten Michael stammten. Der Junge soll eine seltene Haar-Anomalie gehabt haben. Der Haftbefehl

Am 27. Februar erlleß ein Amtsrichter Haftbefehl gegen Schröder. Der Tierpfleger stellte sich abends der Polizei, nachdem das Fernsehen ein Fahndungsfoto von ihm gesendet hatte. Er stritt weiterhin alles ab.

Eine Frau, die Schröders Foto sah, sagte nun bei der Mordkommission aus, sie habe den Mann vier Wochen nach dem Kindermord am Naturschutzgebiet "Die Reit" gesehen. Sie sei mit Bekannten vorbeigeradelt. Schröder sei mit einem Auto von dem Parkplatz gekommen und habe sie beinahe umgefahren. Die Frau hatte sich nichts weiter dabei gedacht, denn die toten Kinder waren damals noch gar nicht entdeckt worden. Schröder blleb aber dabei: Er sei nie Auto gefahren und auch nie in Reitbrook gewesen.

Auf seinen Antrag hin wurden die Haare aus dem Auto vom Bundeskriminalamt nochmals untersucht. Der BKA-Gutachter meinte im Gegensatz zu den Hamburger Biologinnen, es könne sich nicht um Spuren von Michael Riesterer handeln. Daraufhin wurde der Haftbefehl gegen Schröder aufgehoben. Er blieb aber im Gefängnis, well er am 17. Januar 1984 in einem Jenfelder Supermarkt Schnaps geraubt hatte.

Dl" Einstellung

Wegen der sich widersprechenden Haar-Analysen wurde nun ein Göttinger Professor als "Obergutachter" eingeschaltet. Er kam zu keinem eindeutigen Ergebnis, ob in dem Auto, das Schröder am Tattag benutzt haben soll, Haare von Michael Riesterer waren oder nicht.

Nun verzichtete die Staatsanwaltschaft darauf, Schröder wegen der Kindermorde anzuklagen. Oberstaatsanwalt Peter Beck sagt: "Wenn wir keine ausreichenden Beweise haben, dann muß der Mann in einem Rechtsstaat als unschuldig gelten."