"So was hätt' fast einmal die Welt regiert ..." Friedrich Schütter selbst übernahm das mahnende Schlußwort in seiner Inszenierung von Brechts Hitler-Parabel "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" - ein Ende, das auch über die Aufführung hinaus eme Warnung sein, zum Nachdenken anregen sollte. Das Publlkum quittierte diesen Aufruf gestern nach der Premiere im Ernst-Deutsch- Theater mit Beifall und Bravos für den Hauptdarsteller Karl Heinz Martell.

Schütters Absicht wird dem Zuschauer schon deutllch, bevor er im Parkett Platz genommen hat: Eine Ausstellung im Foyer dokumentiert mit Fotos, Plakaten, Statistiken und Texten die Entwicklung und Folgen des Nationalsozialismus. Im Programmheft gibt es ausführüche Erläuterungen über alle Andeutungen und Parallelen, die Brecht zum Hitler- Regime zog: Ui " Hitler, Givola = Goebbels und so weiter. Text zur Machtübernahme und zum Anschluß von Österreich ergänzen den geschichtllchen Nachhilfe-Unterricht, der für jüngere Zuschauer gewiß von großem Wert ist - als informative Beigabe zur Aufführung.

Schütters Inszenierung versucht jedoch auch noch, mit dem Stück selbst allzu deutüch zu untermauern und zu erklären, was damals geschah. Brechts Ui ist trotz aüer Anspielungen auf das Hitler-Regime ein Gangster aus Chicaco, der mit der Maschinenpistole im Hinterhalt die Gemüsehändler unter Druck setzt. Gerade das läßt die Warnung eindringüch werden: Hitler war durchaus kein Einzelfall; jeder hätte so wie er seinen Weg zur Macht gehen können.

Im Ernst-Deutsch-Theater ist Arturo Ui jedoch von Anfang an eme Hitler-Kopie, mit Bürstenbart und glatt in die Stirn geklatschten Haaren. Karl Heinz Martell steigert sich noch dazu in ratternder Sprache und theatraüscher Gestik immer tiefer in das unmenschllche Vorbüd hinein. Er macht das mit Überzeugungskraft - doch bleibt dabei vom Gangster Ui nicht viel übrig. Die Parabel wird zum Abbild, das seine Bedrohllchkeit dadurch vertiert, daß die Figuren, die dort so vordergründig agieren, ausschüeßllch der Vergangenheit angehören. Und dann noch einen Hitler über Karfiol (Blumenkohl) reden zu hören, das wirkt eher belanglos als makaber.

Musikalische Anspielungen vom HJ-Hit im markanten Dada-da-Rhythmus bis zur "Fahne hoch" mit Wagner-Untermalung (Musik: Adolf Braun) füllen munter die Umbaupausen zwischen den Szenen, zu denen als eine der wirkungsvollsten jene zählt, in der Arturo Unterricht im Gehen und Reden bei einem Schauspieler nimmt. Regisseur Schütter selbst bringt als verkommener Schmierenkomödiant Farbe in das bis dahin reichlich nüchterne Spiel, das in der Auseinandersetzung zwischen den Geschäftemachern gewiß nicht so ganz klar werden läßt, wie Ui, beziehungsweise Hitler an die Macht kommen konnte. Am Ende flimmern Wochenschaufilme von Bombenangriffen und KZ's über die Bühne, während Arturo Ui seine letzte große Rede hält, ein unerschütterliches Glaubensbekenntnis zu seinen Untaten. Und vor den Kreuzen der Soldatengräber klagt die Frau, deren Mann erschossen wurde: Es ist Ui's Schuld. Da schließlich wird die Mahnung des Regisseurs unübersehbar: Vergeßt niemals, wie es zu Ende ging!

Das große Ensemble, dem Schütter zum Schlußmarsch und zur Gleichschaltung auch noch lauter Hitler-Masken überstülpt, interpretiert Gangster wie Geschäftemacher, Sieger und Opfer mit zuverlässiger Variationsvielfalt. Die beiden Ui- Chargen Givola und Giri sind Nikolaus Schilling mit bezeichnendem Klumpfuß und gerissener Schläue und Ingo Feder in selbstgefäUig lautstarker Primitivität. Den gutgläubigen Gangster Roma macht Willem Fricke glaubhaft, und als alter Dogsborough zieht Theo Tecklenburg Hindenburg-Parallelen. BIRGITTE EHRICH