weibliche Geschworene und der Vorsitzende Paul Schimmann (44) ? muß darüber befinden, ob der Waschraumwärter Joachim Kroll (46) tatsächlich das Monstrum in Menschengestalt ist, für das ihn die Anklage hält. 68 Zeugen und 13 Sachverständige sind aufgeboten. Von Horst Zimmermann Duisburg, 2. Oktober Der Gerichtssaal 201 des Duisburger Landgerichts wird von Donnerstag an für mindestens fünf Monate zum Horrorkabinett. Die i>. Strafkammer ? zwei Berufsrichter, zwei

Am 2. Juli 1976 verschwand die vierjährige Marion Ketter aus ihrem Elternhaus in Duisburg-Laar, Friesenstraße 11. Bei dem Nachbarn Joachim Kroll soll sie ein- und ausgegangen sein. Als ein Toilettenabfluß verstopfte und Kroll das damit zu erklären versuchte, er habe die Abfälle eines geschlachteten Kaninchens hinuntergespült, wurden die Nachbarn mißtrauisch und alarmierten die Polizei. "Sehen Sie im Gefrierschrank nach", sagte Kroll den Beamten. Da lag der Kopf des Mädchens. Teile des Körpers fand die Kripo im Kochtopf. "Ich habe davon probiert, aber es schmeckte nicht", sagte Kroll.

Kroll gestand, seit 1955 zwölf Menschen erstochen, erwürgt oder ertränkt zu haben. Die damals zwölfjährige Gabriele P. überlebte jedoch, was Kroll nicht wußte, den Würgegriff. Diesen Fall wertet die Anklage jetzt als Mordversuch.

Von den verbleibenden elf Fällen klagen die Staatsanwälte Rudolf Hölting und Bernd Sehmisch jetzt nur acht an. Die Fälle Klara Tesmer (23, am 16. Juni 1959 In Rheinhausen erwürgt), Ilona Harke (5, am 22. Dezember 1966 In Wuppertal ertränkt) und Manuela Knodt (16, am 26. Juli 1959 in Essen erwürgt) wurden vorläufig eingestellt. Oberstaatsanwalt Walther Otto, Sprecher der Anklagebehörde: "Auch in diesen Fällen bewerten wir die Angaben Krolls als glaubhaft. Aber es fehlen objektive Beweise, die das Geständnis untermauern." Allein auf das Geständnis wollte die Anklage jedoch nicht bauen, weil Kroll Inzwischen nämlich alles widerrief.

Anders als die Duisburger Staatsanwaltschaft hält die Anklagebehörde in Essen das Kroll-Geständnis zumindest Im Fall Manuela Knodt nicht für glaubhaft. Oberstaatsanwalt Gerd Lindenberg: "Krolls Angaben passen nicht mit den Befunden aus unserer Tatrekonstruktion zusammen." Diese Einschätzung ist fatal für den Vertreter Horst O. (44) in Essen, der 1962 zu acht Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Das Gericht hielt Ihn für überführt, die 16 jährige Manuela Knodt getötet zu haben.

Der Mann hatte sich seinerzeit selbst der Tat bezichtigt, später aber widerrufen: Er habe sich nur einige Zeit vor seinen Gläubigern in Sicherheit bringen wollen. Das Gericht glaubte ihm damals nicht, und heute erklärt Oberstaatsanwalt Lindenberg: "Wir sind immer noch der Meinung, daß damals der richtige Täter verurteilt wurde."

Ein Wiederaufnahmeverfahren von Amts wegen wurde nicht eingeleitet. Einen entsprechenden Antrag bereitet jetzt Anwalt Manfred Männig für Horst O. vor.

Weitere vier Männer werden den Duisburger Prozeß mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgen: Sie alle gerieten für Mordtaten in Verdacht, die inzwischen Kroll gestand. Von dem Prozeß erhoffen sie sich jetzt die endgültige Reinigung von dem Verdacht.

Der Bergmann Vinzenz K. wurde verdächtigt, im April 1962 Petra Giese (13) in Dinslaken erwürgt zu haben. Adolf A. saß drei Wochen In Untersuchungshaft ? unter dem Verdacht, seine Verlobte Ursula Rohling (20) aus Marl im September 1966 erwürgt zu haben. Siebzehn Monate saß Peter S. (29) aus Breitscheid in Haft. Mangels Beweises sprach das Gericht ihn vom Vorwurf frei, 1970 Jutta Rahn (13) erdrosselt zu haben. Der Richter damals vielsagend: "Ob das Urteil gerecht ist, weiß nur der Angeklagte."

Ein Wuppertaler geriet 1966 im Fall der ertränkten Ilona Harke (5) in Verdacht. Der Stahlarbeiter Walter A. (34) litt so schwer unter dem Vorwurf, 1962 Monika Tafel (12) aus Walsum erwürgt zu haben, daß er sich erhängte.

Eine Serie von Beweisen für die These, daß Irren nicht nur menschlich, sondern auch juristisch ist. Da will Kroll-Anwalt Dietrich Lazarz ansetzen. Er will die Ungereimtheiten in der Kroll-Anklage auflisten. Wenn das Geständnis in drei Fällen der Anklage nicht ausreichte, warum sollte es dann in den übrigen Fällen genügen? Hat der einfältige Kroll etwa nur gestanden, weil er den freundlichen Herren von der Kripo einen Gefallen tun wollte? Widerspricht nicht Kroll allen Gesetzen der Kriminologie, weil er ? als Täter ohne Linie ? mal Kinder, mal eine alte Frau, mal gar einen Mann als Opfer auswählte? Auch Anwalt Lazarz weiß freilich, daß die Beweise im Fall Marion Ketter, dem letzten und grausigsten Fall, erdrückend sind und daß es letztlich für Kroll nur noch darum geht, ob er lebenslänglich in einer Anstalt oder in einem Gefängnis verschwindet. Das hängt wiederum davon ab, ob Kroll seine Handlungen selbst bestimmen konnte oder ob sie von seinen sexuellen Wirrungen diktiert wurden.

Immer wenn er "ein nervöses Kribbeln im Magen" bekam, ging er auf die Suche nach sexueller Befriedigung, die er nirgends fand. "Seine Liebesunfähigkeit war die Ursache von allem", fand ein Gutachter heraus. Schon als Kind war er kontaktarm und gefühlskalt. Als er ? mit 22 ? erstmals Kontakt zu einer Frau hatte, versagte er. Irmgard Strehl (19) aus Walstedde war diese Frau, und sie wurde angeblich Krolls erstes Opfer. Weil sie über ihn lachte?

Die Gutachter halten Kroll, der die Volksschule nach der vierten Klasse verließ, nicht für geisteskrank, sondern nur für vermindert schuldfähig. Er sei nicht schwachsinnig, aber es fehle nicht viel daran. Mit Rücksicht auf das "geistige Fassungsvermögen" will das Gericht nur an zwei Tagen der Woche vor- und nachmittags nicht länger als zwei Stunden verhandeln.

In der Duisburger Haftanstalt charakterisieren die Beamten Kroll als "unauffällig, scheu, zurückhaltend". Er spielt Skat hört Schlagermusik und liest Comics. "Er lebt, als sei nichts geschehen. Das nächste Mittagessen interessiert ihn mehr als alles andere." Für die Sachverständigen ist das keineswegs verblüffend: "Triebtäter leben äußerlich angepaßt und unauffällig. Nur ihr Trieb ist abnorm. Deshalb bleiben sie oft auch so lange unentdeckt."

Im Fall Kroll gibt es Anhaltspunkte dafür, daß der Wachraumwärter seine Entdeckung selbst provoziert hat, was die Sachverständigen für durchaus einleuchtend halten: "Triebtäter leiden selbst unter ihrem Trieb." Und Krolls Gelassenheit in der Haft könne durchaus darauf zurückzuführen sein, daß er froh sei, nun vor sich selbst geschützt zu werden.