Autos wollen alle Leute haben", stöhnt Dr. Friedrich-Karl Scharping. leitender Regierungsdirektor im Polizeiverkehrsamt, "aber keiner will den Massenverkehr vor der Tür. Sollen die Autos denn fliegen?" Das können sie natürlich nicht. Aber Autoströme lassen sich bündeln. Dafür braucht man sehr leistungsfähige Straßen ? Stadtautobahnen nämlich. Seit zwanzig Jahren

Dritte Folge

fordern die Verkehrsexperten der Baubehörde ein Stadtautobahnnetz für Hamburg. Andere Großstädte haben das längst.

Stadtautobahnen ? so läßt der ADAC wissen ? haben eine Sammlerfunktion. Sie entlasten angrenzende Wohnviertel vorn Durchgangsverkehr und haben die geringsten Ünfallzahlen. Wörtlich: ..Stadtautobahnen steigern die Wohnqualität großer Städte." Gleiches ist aus der Baubehörde zu hören. Baudirektor

Hans-Peter Siem: "Hamburg braucht ein autobahnmäßig ausgebautes übergeordnetes Straßennetz. Belastet man das heutige Straßennetz mit dem Verkehr von 1985 90, so führt dies zum totalen Zusammenbruch auf fast allen Hauptstraßen."

Man kann den Experten der Baubehörde vielleicht vorwerfen, sie hätten in früheren Jahren falsche Verkehrsprognosen aufgestellt ? man kann ihnen jedoch nicht ankreiden, sie hätten zum drohenden Kollaps angesichts wachsender Autoflut geschwiegen. Seit 1970 arbeiten sie am neuen Generalverkehrsplan, Amtskürzel GVP. Das ist die vom Computer errechnete Basis für künftige Straßenbauten. Und in diesem GVP geht es natürlich auch um Stadtautobahnen. 1975 lag der GVP gedruckt Senat und Bezirken vor. Vier Bezirke stimmten zu. drei lehnten ab ? wegen der Stadtautobahnen. Seitdem herrschte Funkstille zum Thema GVP.

Der Grund: seit 1975 regt sich bei den Hamburgern wachsender Protest gegen Stadtautobahnen. Bürgerinitiativen schössen wie Pilze aus dem Boden. Ihre Argumente klangen einleuchtend: "Wir wollen Hamburg nicht noch mehr zubetonieren lassen. Stadtautobahnen bringen zusätzlich Lärm und Dreck. Und sie programmieren an ihren Endpunkten neue Stauungen. Stadtautobahnen sind umweltfeindlich und ziehen noch mehr Verkehr an."

Dr. Scharping ist da ganz anderer Meinung: "Stadtautobahnen bringen kaum zusätzlichen Verkehr. Das haben wir bei der neuen West- Autobahn festgestellt. Die hat sich auf weite Teile der Stadt entlastend ausgewirkt." Sogar noch auf die Norderelbbrücke. Inzwischen ? so räumt Scharping ein ? sei jedoch so viel Verkehr dazugekommen, daß die Norderelbbrücke wieder so stark belastet ist wie vordem. Und der neue Eibtunnel, der im Durchschnitt von 70 000 Wagen täglich passiert wird, hatte seinen absoluten Rekord am 16. Juni 1977 mit 99 000 Fahrzeugen. Also ziehen Autobahnen doch zusätzlichen Verkehr an?

Laut GVP von 1975 gehört zum Stadtautobahnnelz

- die Osttangente, eine vierspurige Schnellpiste ? teils als Hochstraße ? von Norderstedt (mit Anschluß zur West-Autobahn bei Quickborn) über Langenhorn, Fuhlsbuttel, Winterhude, Stadtpark, Barmbek bis Billbrook ? Die Querspange, auch Tarpenbek- Autobahn genannt, zwischen Eidelstedt und Eppendorf

- die Kerntangente zwischen Wandsbek und Eimsbüttel mit Alstcrtunnel in Hohe Rabenstraße

- die Marschen-Autobahn von dor südlichen Autobahn-Umgehung bis Geesthacht.

Unter dem Eindruck der Bürgerproteste, die natürlich auch in den Parteien zum Meinungswandel führten, hat die Baubehörde dies Programm inzwischen auf ein Minimum eingeschmolzen. Die Kerntangente ist gestorben, die Osttangente ebenfalls ? bis auf ihren Nordabschnilt. den man in Amtsstuben heute unverfänglich ..Ortsumgehung Fuhlsbuttel Langenhorn" nennt. Und die Querspange liegt auf Eis. Von ..Stadtautobahn" ist überhaupt, keine Rede mehr. Das ist heute ein Reizwort wie Kernkraftwerk.

Großes Rätselraten: Was wird aus der "Ortsumgehung Fuhlsbüttel/Langenhorn"? Sie soll die Langenhorncr Chaussee entlasten. Sie ist also für Zehntausende lärmgestreßter Bürger wichtig. Niemand bestreitet das. Dr. Scharping: ..Die Ortsumgehung hilft 30 000 bis 35 000 Bürgern und bringt 5000 anderen Bürgern neue Belastungen. Man sollte sie auch nicht nur bis zur Sengclmannstraße, sondern unbedingt bis zum Stadtpark bauen. Dann entlastet sie nämlich auch noch die Fuhlsbüttler Straße."

Bleibt die Frage: Wird die Ortsumgehung nun gebaut oder nicht? Und als Autobahn? Oder nur als Schnellstraße? Im Falle Autobahn: der Bund zahlt alles, auch die Verbindung zur West- Autobahn ? das Geld liegt seit langem in Bonn abrufbereit. Im Falle Schnellstraße: Hamburg müßte 60 Prozent zah-

len, hat dafür aber keine müde Mark. Zur Zeit bastelt man im Bezirk Nord an "Varianten" herum: neue Straßen am Flughafen, die irgendwo an Hauptstra- ßen "anbinden" und dort garantiert neue Staus produzieren. Also schlechte Kompromisse zwischen Notwendigkeit und Bürgerprotest.

Jahrelang drückte sich der Senat um längst überfällige Entscheidungen herum. Und die Parteien schielten auf das Wählervolk, vor allem auf die Bürgerinitiativen wie Kaninchen auf die Schlange. Sogar parteiintern war man über das Thema Straßenbau zerstritten. Bürgermeister Klose: "Wir sind gegen eine Autobahn, weil sie nur den Pendlern hilft, also zu verstärkter Abwanderung ins Umland führt. Die Autobahn wäre also schädlich für Hamburg." Immerhin ein klares Wort.

Tatsächlich weiß die Polizei: Sechzig Prozent der Fahrer auf der Langenhorner Chaussee sind Nicht-Hamburger, Andererseits verspricht Dr. Scharping: "Wenn die Ortsumgehung eine Stadtautobahn wird, kann ich die Longcnhorner Chaussee zur Sackgasse machen."

Das jahrelange Kneifen vor klaren Entschlüssen hat indes fatale Folgen. Dazu Bezirksamtsleiter Werner Weidemann, Bezirk Nord: ?Seit Jahren halten

wir breite Trassen für die Ortsumgehung frei. Diese Flächen werden für andere Zwecke dringend gebraucht. Das ist ein Luxus, den wir uns nicht länger leisten können."

Unmißverständlich auch Baudirektor Dr. Günther Bentfeld: "Das Straßensystem funktioniert heute nur noch bedingt, weil bei der gegenwärtigen Abneigung gegen den Straßenbau immer weniger gebaut wird. Vorhaben können nicht mehr dort realisiert werden, wo sie zur größtmöglichen Entlastung nötig wären, sondern nur noch dort, wo sie am wenigsten stören."

Noch deutlicher formuliert Bentfelds Kollege Hans-Peter Siem: "Vor dem Hintergrund der Politisierung örtlicher Gremien, verbunden mit enger Kooperation zwischen Parteien, Bürgerinitiativen und parlamentarischen Ortsgremien, ist die Tendenz heute: Planungen, die Konflikte erkennen lassen, vermeiden und verzögern, Entscheidungen verhindern. Nur kleine Objekte sind noch realisierbar."

Eine Bankrott-Erklärung. Es wird nur noch gekleckert, wo geklotzt werden müßte. Und die Autoflut wächst weiter ? täglich, stündlich. Höchste Zeit, daß sich die Politiker endlich zu klaren Direktiven durchringen. Oder hofft man, daß die Autofahrer freiwillig in Bahnen und Busse umsteigen? lesen Sie morgen:

Mehr Komfort in Schnellbahnen

lockt kaum Autofahrer