"Und jetzt?" Der Straßenmeister im Kreis Segeberg ? am Steuer eines behördlichen Passat ? schaut hin- über zu seinem Beifahrer, dem Seedorfer Bürgermeister Manfred Frank, und bekommt die Antwort auf Plattdeutsch: "Hier möt wi dörch!" Dann heult der Motor auf, und das keineswegs geländegängige Fahrzeug

wühlt sich durch tiefe Furchen und Wasserlöcher. Sie müssen tatsächlich überall durch, die Männer der Flurschaden-Kommissionen, die fünf Wochen lang auf den Spuren jener 65 000 Soldaten sein werden, die "Bold Guard '78" zum größten NATO-Manöver auf deutschem Boden werden ließen. Mit Meßrad, Block und Bleistift vollzieht das Behörden-Völkchen den schnellen Wechsel der Gefechtsarten noch einmal nach.

Manfred Frank, seit 16 Jahren Bürgermeister der 2000-Seelen-Gemeinde Seedorf, nördlich von Bad Segeberg, kennt sich bestens aus: "Wir wollen keine Mark zuviel, sondern nur die Schäden behoben haben." Die Fahrt führt vorbei an niedergewalzten Weidezäunen, abgesenkten Seitenstreifen, Löchern bis zu 1,50 Metern Tiefe und zermalmten Bordsteinen. "Hier haben die Ledernacken gebuddelt", demonstriert der Bürgermeister und verschwindet in einem der Panzerdeckungslöcher.

Amerikaner, Dänen und Bundeswehrsoldaten haben' die mit 5000 Quadratkilometern größte Gemeinde des Kreises Segeberg für drei Tage in ein Schlachtfeld verwandelt. Nur wenige der 140 Seedorfer Landwirte haben sich über den rücksichtslosen Stil der Panzerfahrer beklagt. Einer von ihnen, der Bauer Wolfgang Hamdorf, schüttelt heute noch den Kopf: "Kettenfahrzeuge rollten über Rapsfelder und nicht gedroschenen Weizen ..."

Manöverschäden sind nicht immer Flur- oder Stra- ßenschäden. Zu den Besonderheiten von Bold Guard '78 zählt solches:

- Als Panzer über die Straße rollten, kippten in einem Schaufenster wertvolle Porzellanvasen vom Bord. ? Ein Bauer behauptet, seine Kuh habe ihr Kalb verloren, weil sie durch den Tiefflug eines Düsenjägers geschockt worden sei.

- In Bimöhlen (Kreis Segeberg) sah ein Bäcker schon alle Felle davonschwimmen, als in den späten Abendstunden der Strom ausfiel. Nachts wurden die zerstörten Stromleitungen repariert, und morgens gab's wieder frische Brötchen.

Unbürokratisch geht's zu, wenn die Wehrbereichsverwaltung I aus Kiel unter der Leitung des Oberregierungsrats Harm Becker unmittelbar nach den Besichtigungstouren den Geldbetrag festsetzt. 218 000 Mark für Seedorf ? damit war der Bürgermeister gestern einverstanden. Immerhin rechnet Oberregierungsrat Becker mit einer Gesamtschadenssumme von 20 Millionen Mark. Die werden allerdings nicht allein aus dem Etat des

Bundesverteidigungsministeriums gezahlt. Wenn Ausländer und Deutsche gemeinsam zuschlugen, wird auch in punkto Schadensregulierung gemeinsame Sache gemacht. Waren es nur ausländische Streitkräfte, beteiligt sich die Bundesrepublik mit 25 Prozent.

In den schleswig-holsteinischen Städten und Gemeinden geht es jetzt nur noch um das liebe Geld. Während der Übung waren Pioniere Tag und Nacht im Einsatz, und ein 30köpfiges "Bullenjagdkommando" holte ausgebrochenes Vieh zurück. Schließlich säuberten 20 Reinigungskolonnen in 150 Einsätzen die Straßen. Trotz der Wiedergutmachung bleibt Gemeindeoberhaupt Frank ein bißchen ärgerlich: Im Ortsteil Berlin sind am Kurfürstendamm, Unter den Linden und am Potsdamer Platz (Frank: "Das ist kein Abklatsch, diese Straßennamen haben wir seit 120 Jahren!") nahezu alle neuen Bordsteine zerstört worden. Berlin ist das Aushängeschild der Gemeinde Seedorf, 357 Kilometer von der alten Reichshauptstadt entfernt.

Berlin im Kreis Segeberg ist erst von den roten und später von den blauen Streitkräften erobert worden. Manfred Frank war dabei, als rund 60 Panzer über die Trave kamen und auf den Ort zurollten. Er kümmert sich um alles ? schließlich ist er hier "Regierender Bürgermeister" . . .