Fehmarn, 21. September Schleswig-Holsteins Landesvater Gerhard Stoltenberg blickte nach links, denn von dort wähnte er Gefahr: “Hinter der Baumreihe da drüben liegt der Feind“, bestätigte ein hoher NATO-Offizier und deutete über einen frisch gepflügten Inselacker, auf dem ein Bauer gerade friedlich neue Furchen zog. Der Fehmarner Landwirt war an diesem Tag auf seiner eigenen Seholle fehl am Platz: Vor den Augen des Kieler Regierungschefs setzten amerikanische “Ledernacken“ ein martialisches Spektakel in Szene. “Rote“ Einheiten ? so die Manöverlage bei der NATO-Ubung “Bold Guard“ ? hatten gestern morgen auf dem Südostzipfel der Ostseeinsel Fehmarn einen Brückenkopf gebildet. Die “blauen“ Verteidiger, zu denen die US-Truppe gehört, sollten den Gegenschlag führen.

Die aufwendige Militär-Show hat einen ernsten Hintergrund. "Der Flaschenhals am Ausgang der Ostsee ist für die Seestreitkräfte der Warschauer- Pakt-Staaten von strategisch wichtiger Bedeutung", gab ein Presseoffizier zivilen Manöverbeobachtern am Morgen zu verstehen. "Wer die Inseln hat, hat den Zugang zur Nordsee." Eine offenbar notwendige Erläuterung zu Überlegungen in westlichen Generalstäben. Denn so eindeutig mag man bei Manövern den potentiellen Feind nicht mehr markieren: In englischer Manöversprache verblaßt der "rote" Gegner zu "orange".

Am Strand von Fehmarn beeindruckt das ohrenbetäubende Heulen von Jet- Triebwerken, das Knattern der Hubschrauberrotoren und das Rasseln der M 60-Panzerketten zu sehr, um das Manöver-Geschehen aus kühler Distanz sehen zu können. Hier führt Brigadegeneral A. M. Gray Regie, Chef der US- Marines, bekannt als "Ledernacken". Ein Kommandeur, wie Hollywood ihn sich nicht besser hätte ausdenken können. Fünf Jahre war er in Vietnam; als letzter amerikanischer Befehlshaber verließ er Saigon. Wo jeder im norddeutschen Küstenwind frierend den Kragen hochzieht, steht Brigadier Gray mit hochgekrempelten Ärmeln und offenem Hemd vor der Brandung, die Staubbrille auf den Helm geschoben ? ein Bild von einem General.

508 "rote" Soldaten haben sich auf der Insel festgesetzt. Der Gegenschlag der "Blauen" wirkt nur dann operettenhaft, wenn sich Fotografen und Fehmarner Jugend unter stürmende Infanteristen mischen, die Attacke gar für die Dauer des Posierens vor der Kameralinse verzögern

Ansonsten ist das Kriegspielen weniger fröhlich. Die technisch perfekte Verteidigungs- und Angriffsmaschinerie wissen die Piloten der Phantomund Intruder-Jets am eindringlichsten zu demonstrieren. Sie sind die "Niki Laudas der Fliegerei", wie ein Übungsgast zutreffend feststellte. Ein Punkt am Horizont zuerst, zwei, drei weitere daneben, und dann sind die Flugzeuge schon da. Mit schrillem Pfeifen ziehen sie hoch, steigen in den Himmel, drehen sich ein-, zweimal um ihre eigene Achse und sind verschwunden. Ein bedrohlicher Luft-Zirkus.

Die Strategen in den Stäben lassen sich davon nicht mehr beeindrucken. Was da passiert, zu Luft, zu Lande und auf dem Wasser, liest sich im Übungskonzept nüchterner: Den "Blauen" soll es nach Manöver-Fahrplan gelingen, im Laufe des Mittwochvormittags mit dem Einsatz der "luftbeweglichen Korpsreserve" ein Ausweiten des "roten" Brükkenkopfes zu verhindern. Über See herangeführte gepanzerte Verstärkungen der 4. Amphibischen Marine-Brigade (Ledernacken) ermöglichen es "Bläu", den Brückenkopf am Nachmittag anzugreifen und die "Kräfte von Rot" zu zerschlagen.

Dieses "Heranführen" der Verstärkung beschert den Zuschauern ein weiteres Stranderlebnis seltener Art. Während "Cobra"-Hubschrauber, deren Aufgabe es ist, den Landetruppen Feuerschutz zu geben, über dem Ufer kapriolen, schieben sich Bundeswehr- Landungsboote an die Küste heran. Über die Bordwände ragen die Rohre amerikanischer Panzerkanonen. Im flachen Wasser fallen die Klappen am ekkigen Bug der Schiffe, die Kettenfahrzeuge vom Typ M 60 rollen ins Wasser, klettern auf den Strand. Der erste Auftrag ist erfüllt, die Landung geglückt.

Der Adjutant des "Ledernacken"-Generals verpackt die Beschreibung des eigenen Waffenpotentials in eine Anerkennung der Kunstfertigkeit deutscher Waffenschmiede: "Der .Leopard' der Bundeswehr ist natürlich der bessere Panzer, aber unser M 60 ist leichter und deshalb für uns problemloser und schneller über große Entfernungen zu transportieren."

So fügt sich auch ins Bild, daß über das Zusammenwirken multinationaler Einheiten nur Lobenswertes zu hören ist. Amerikanische, britische, dänische. niederländische und deutsche Verbände sind an der "kühnen Wacht", wie sich "Bold Guard" übersetzen läßt, beteiligt. "Eine eindrucksvolle Solidarität des nordatlantischen Bündnisses" soll damit bestätigt werden.

Bfigadegeneral Gray, der sich beim Mittagessen unter das Manöver-Fußvolk mischt, findet nach dem Genuß serbischer Bohnensuppe markigere Worte: Drei Versprechen gibt er den deutschen Partnern ,;if a crisis occurs" ? falls die Krise eintritt. "Wir werden kommen, wir werden vorbereitet sein, und wir werden kämpfen." Die Gelegenheit wird wahrgenommen, am Mythos seiner Truppe zu feilen: "Ich hebe den Telefonhörer ab und sage: los!" untermauert er die stete Einsatzbereitschaft seiner "Ledernacken".

"Wenn wir Frieden haben wollen, müssen wir stark sein", schließt Gray seine Tischrede. Eine Demonstration der Stärke ist die "Bold Guard"-Übung allemal.