Braucht Hamburg die sogenannte Osttangente, eine Stadtautobahn zwischen Ochsenzoll und Sengelmannstraße? Das Hamburger Abendblatt bat seine Leser um ihre Meinung zu diesem Projekt, für das sich jetzt die Baubehörde stark macht. Die Ansichten der Briefschreiber prallen hart aufeinander. Gegner und Verfechter der Osttangente stehen sich, so scheint es, unversöhnlich gegen- über. Hier diese Stadtautobahn im Spiegel der Meinungen.

Weniger Abgase

W. Albrecht, Hamburg 61: Aus unserem modernen Leben ist das Auto nicht mehr wegzudenken. Davon muli man ausgehen. Somit muß man aucli die Konsequenz Stadtautobahn akzeptieren. Gewiß bringt sie den unmittelbar Betroffenen Nachteile. Der Staat muß also möglichst viel tun, um diese Nachteile so gering wie möglich zu halten. Aber aufs Ganze gesehen, bringt eine Autobahn weniger Abgase und Krach als die normale Straße, dies sonst den Verkehr aufnehmen müßte.

Keine Alternative

H. D. Böttiger, Henstedt-Ulzburg: Ich halte die Osttangente als Zubringer zur City Nord und die übrige Innenstadt für außerordentlich wichtig, da zur Langenhorner Chausse zur Zeit keine Alternative besteht.

Lärm und Gestank

Wolf gang Pflugradt, Hamburg 76: Da reden Politiker von Lebensqualität und meinen Stadtautobahnen, Zersiedelung von Wohngebieten, Luftverpestung, Lärm und Anwohner-Streß. Das ist nämlich der "Vorteil" der gro- ßen, breiten Straßen. Dafür gibt es in Hamburg genug Beispiele, und jedesmal soll es angeblich "so etwas nicht wiedergeben" und man werde "für die Zukunft daraus lernen". Eine Stadtautobahn zieht ja gerade den Schwertransport und Lastwagen-Transport an. Ich bin mit meinem Auto bis jetzt überall hingekommen und werde es morgen auch noch, selbst, wenn es vielleicht etwas länger dauert. Aber dafür finde ich in Hamburg noch Flekken, wo ich mich wohl fühle und Spazierengehen kann.

Autobahnanschluß nötig

Helmuth Noelle, Hamburg 76: Die Proteste der Anlieger gegen die Osttangente sind verständlich. Doch ergibt sich ein schiefes Bild. Denn die Menschen, die von einer Sache negativ betroffen werden, drücken ihre Meinung stärker aus als jene, die von einem Vorhaben Vorteile haben. In diesem Fall können sich die Anwohner der Langenhorner Chausse noch gar nicht recht vorstellen, wie groß die Verbesserungen sind, die ihnen die Osttangente bietet. Auf die Proteste ist zwar Rücksicht zu nehmen (neue Trasse, Lärmschutz), sie sind aber nicht so weit überzubewerten, daß die Autobahn gar nicht oder nur teilweise gebaut wird. Außerdem kann man auch auf den Anschluß der Osttangente an die Autobahn Hamburg? Kiel nicht verzichten ? nicht nur aus finanziellen Erwägungen (das eingesparte Geld könnte für verstärkten Lärmschutz verwendet werden), sondern auch, um dem dichtbevölkerten Osten Hamburgs einen guten Anschluß an die Westautobahn zu geben.

Zusätzlicher Verkehr

Charlotte Renn, Hamburg 60: Wichtiger als eine Stadtautobahn ist Wohnqualität. Jeder weiß, daß leistungsfähige Straßen zusätzlichen Verkehr schaffen. Jüngstes Beispiel ist der neue Eibtunnel: Statt die City zu entlasten, sind jetzt täglich laut Verkehrszählung 20 000 Autos mehr in der Innenstadt. Hamburg liegt zu zentral, als daß neue Straßen wirksam helfen. Das sollte endlich eingesehen werden. Außerdem glaube nicht nur ich, daß in einigen Jahren das Auto für viele zu teuer sein wird.

Weiterbau nach Hörn

Ursula Fuhrmann, Hamburg 76: Jedem einsichtigen Menschen ist klar, daß der momentan als vorläufig bezeichnete Endpunkt der Osttangente, die Sengelmannstraße, den größten Schwachpunkt beim Bau der Stadtautobahn darstellt. Durch das dann täglich an dieser Stelle zu erwartende Verkehrschaos ergibt sich von vornherein die Notwendigkeit, die Trasse bis zum Stadtpark fortzuführen, wie es auch ursprünglich beabsichtigt war.

Es liegt auf der Hand, daß ein Weiterbau durch Barmbek, Eilbek, Wandsbek und Hom unter diesen Umständen überhaupt nicht aufzuhalten ist. Weil man den Bürgern die gesamte Strecke von Ochsenzoll nach Hom nicht in einem Zuge zumuten will, wird hier scheibchenweise ein Projekt gegen den schon seit Jahren intensiv bekundeten Willen des Bürger durchgeführt. Die Beteuerungen der Baubehörde, den Abschnitt Sengelmannstraße ? Hom nicht zu bauen, sind unglaubwürdig ? besonders wenn man an das ohnehin geschwächte Vertrauen des Bürgers in die Praktiken seiner Behörden denkt.

Ohne Auto geht es nicht

Helmut Lange, Hamburg 73: Es ist doch absurd, darüber zu diskutieren, ob man Stadtautobahnen braucht. Man sehe sich die Entwicklung in der Welt an. Wir können nicht mehr das Kraftfahrzeug und all die Technik einschließlich der Kernkraftwerke abschaffen, weil die große Zahl der heute auf der Erde lebenden Menschen eine Unmenge organisatorischer und technischer Mittel erfordert. Andernfalls könnten die Menschen nicht einmal ernährt und versorgt werden. Unser durchschnittliches Lebensalter liegt wesentlich höher als vor einigen Generationen. Das gelang nur mitHilf e aller Möglichkeiten, also auch der Technik.

Ende des Wachstums

Bürgerinitiative "Rettet den Volkspark", Hamburg 52: Mich wundert nicht, daß aus jeder zweiten Zuschrift Ablehnung hervorgeht. Autobahnen bedeuten letzten Endes Wirtschaftswachstum. Aber der Punkt ist jetzt erreicht, an dem jeder Bürger die Zwänge dieser Entwicklung am eigenen Leibe verspürt: Land, Luft und Wasser werden verdorben, und der Lärm kommt noch dazu. Kraftmaschinen und Kraftwerke rein, Natur und Leben raus ? so heißt die Formel weiteren Wachstums.

Hohes Unfallrisiko

Hans Brauer, Hamburg 62: Als Berufsfahrer auf der Langenhorner Chaussee ist es mir unverständlich, wie eine Partei der Hamburger Bürgerschaft gegen einen Ersatzbau dieser völlig überlasteten Straße ist. Alle Ausfallstraßen aus der City sind im Laufe der Zeit als vollwertige, vierspurige Straßen ausgebaut worden. Nur zum Norden hin mutet man dem Kraftfahrer zu, auf einer dafür nicht geeigneten vierspurigen Straße zu fahren und damit ein erhebliches Unfallrisiko auf sich zu nehmen.

Wohnungen gefährdet

Walter Schmerberg, Hamburg 62: Als Bewohner der Essener Straße (Osttangentenstraße) lehne ich den Bau einer Osttangente ab. Falls aber das Thema in Kürze vor die Bürgerschaft kommt, obgleich SPD und FDP gegen den Bau sind, kann es sein, daß einige Bürgerschaftsabgeordnete umfallen. Diesen Herren gebe ich zu bedenken, daß sich in der Essener Straße 47 Wohneinheiten mit 188 Einwohnern befinden. Für diese Leute müßten dann neue Wohnungen beschafft werden, und die Zahlung des Wohngelds würde nicht ausbleiben. Denn es wohnen hier nicht nur Reiche.

Nicht zumutbar

Langenhorner Bürger- und Heimatverein e. V., Hamburg 62: Wir begrü- ßen den Plan der Baubehörde, nun endlich mit dem Bau eines Teilabschnittes der Osttangente zu beginnen. Es wäre jedoch ein Schildbürgerstreich, wenn im Süden die Osttangente vorerst an der Kreuzung Sengelmannstraße/ Alsterkrugchaussee enden soll. Dann werden die aus dem Raum östlich der Alster und Wandsbek kommenden Autofahrer weiterhin durch die Wohnstraßen von Fuhlsbüttel und Langenhorn fahren, um in die nördlich von Hamburg liegenden Wohnorte zu gelangen. Dieser Durchgangsverkehr ist aber den durch Flü|"lärm geschädigten Anliegern der Wohnstraßen auf die Dauer nicht zumutbar. Deshalb meinen wir, daß die Osttangente durch die Geschäftsstadt Nord bis zum Jahnring gebaut werden sollte. Auch ihre Verbindung bis zur Autobahn Hamburg? Kiel ist unbedingt nötig.

Krach bleibt

Wolf gang Steen, Hamburg 63: Die Osttangente ist überhaupt nicht nötig. Was nützt die Teilung des Verkehrs, wenn er an der Sengelmannstraße wieder zusammenfließt. Die Bewohner der Langenhorner Chaussee scheinen wohl alle den ganzen Tag zu Hause zu sein, um täglich von 45 000 Fahrzeugen belästigt zu werden. Durch den Bau der Osttangente "oll sich angeblich die Zahl der Fahrzeuge halbieren. Es bleibt in der Langenhorner Chaussee also der Lärm von 22 500 Fahrzeugen.

Weniger Lebensqualität

Paul O. Peters, Hamburg 76: Lebensqualität und wirtschaftliche Interessen waren schon immer unvereinbare Gegensätze. Anstatt auf den Fetisch Straße zu starren, sollte man den Zusammenhang Straßennetz und wirtschaftliche Entwicklung nachweisen. Ich bin sicher, er nähert sich asymptomatisch einem Grenzwert. Die Lebensqualität in Hamburg nimmt dagegen überproportional ab.

In manchen Briefen wird die vierspurige Verbindung zwischen Osttangente und Hamburg? Kieler Autobahn kritisiert, weil sie zusätzlich sehr starken Verkehr auf die Osttangente leitet. Die Folge: am südlichen Endpunkt Sengelmannstraße werden sich die zu erwartenden Stauungen noch katastrophaler auswirken. Um diese unerwünschte Nebenwirkung auszuschalten, machen mehrere Leser den Vorschlag, die. Verbindung von der Osttangente zur Kieler Autobahn nur zweispurig in Süd-Nord-Richtung zu bauen. Damit wird verhindert, daß von der Kieler Autobahn zur Osttangente abgebogen werden kann ? die Stockungen an der Sengelmannstraße wären also weniger folgenschwer. Andererseits könnte jedoch der Verkehr in nördlicher Richtung zur Kieler Autobahn abfließen.

Auf den ersten Blick scheint es ein Schildbürgerstreich zu sein, eine Schnellstraße nur in einer Richtung zu bauen. Dennoch sollte dieser Vorschlag ernsthaft geprüft werden. Die SPD Norderstedt hat schon verbindlich erklärt, daß sie ihn für gut hält. hn.