zu ermöglichen. Am Dienstag wird Israels Konsul Baruch Schaefer die 82jährige Hamburgerin mit der höchsten Ehrung des Instituts für Zeitgeschichte in Jerusalem, dem Department for the Rightous ? Yad Vashem ? Jerusalem auszeichnen. Sie gehört zu den wenigen ihrer Generation, die tatsächlich Mut hatten, und die Zeitläufe gaben ihr die lebensgefährliche Chance, diesen Mut zu zeigen: Elisabeth Flügge hat ihre Existenz, ihr Leben riskiert, um zahlreichen Hamburger Juden in der Nazizeit zu helfen und ihnen zum Teil die Emigration

Als es niemand mehr wagte, seine jüdischen Bekannten auf der Straße zu grüßen, als der vielbewunderte Chirurg Sauerbruch seinem berühmten Wannsee-Nachbarn, dem Maler Max Liebermann, dem Juden Liebermann, den Schlüssel für das Verbindungstürchen zwischen beiden Gärten zurückgab (so beschreibt es Paul Eipper in "Ateliergespräche mit Liebermann und Corinth"), hat Frau Flügge unbeirrt inmitten des Nazi-Terrors jüdischen Hamburgern geholfen. Wieviele es waren, weiß sie nicht, aber 15 von ihnen leben noch, und mit ihnen hat sie Kontakt.

Frau Flügge, die bis zu ihrer Pensionierung 1958 als Rektorin der Hauptund Realschule Erikastraße tätig war, arbeitete ab 1926 an einer Privatschule am Mittelweg. Sie sagt: "Es waren sehr glückliche Unterrichtsjahre". Das änderte sich nach 1933, als eines der Kinder zaghaft fragte: "Dürfen jüdische Kinder auch mit sammeln gehen?" Das war, nachdem Frau Flügges damalige Schulleiterin angeordnet hatte: "Machen Sie bei Ausflügen die Front möglichst blond!"

Als jüdische Kinder nicht mehr verreisen durften, mietete Elisabeth Flügge das Zehn-Zimmer-Haus eines Tischlers im Heidedorf Ollsen, wo sie seit 1916 ein ausgebautes Backhaus als Sommerhaus noch heute besitzt, und fuhr in allen Ferien mit ihren beiden eigenen und zwei Dutzend jüdischen Kindern dorthin.

1938 wurden die Privatschulen aufgelöst, Frau Flügge wurde, weil sie keine Parteigenossin war, "strafversetzt" an die Volksschule St. Pauli. Die Väter der meisten Kinder saßen in Konzentrationslagern, weil sie Kommunisten waren, und der Schularzt fragte Frau Flügge: "Was kümmern Sie sich um diese Erbkrankheit?" 1939 fuhr sie zum letztenmal mit jüdischen Kindern nach Ollsen. Wenn deren Eltern ins Ausland reisten und eine neue Existenz suchten, nahm sie die Kinder solange zu sich. "Fünf oder sechs waren eigentlich immer bei uns."

Sie bewog ihre Freundin Lady Balfour, "Affidavits" (eine hohe Kaution) zu hinterlegen, damit ein jüdisches Ehepaar aus Hamburg nach Großbritannien emigrieren konnte. Außerdem half "Flüggi", Schmuck und Gepäck ins Ausland zu schmuggeln. Ein Bekannter machte mit. Er versteckte Schmuck im Schornstein der .Monte Rosa' (ein 13 882-BRT-Passagierschiff, 1930 erbaut), und in Rio de Janeiro konnten die Eigentümer sich den Schmuck abholen."

Am 22. Oktober 1942 kam es zu den ersten "Ausweisungen" von Juden. Frau Flügge: "Das Wort Auschwitz kannten wir noch nicht, aber es war auch so entsetzlich genug. Ich besuchte gerade eine sehr feine alte Dame, die nicht mehr hatte auswandern können, weil sie schon zu gebrechlich war und nun in einem erbärmlich winzigen Zimmer hockte. Plötzlich hörten wir durchs Treppenhaus rufen: .Morgen früh, acht Uhr, alle Bewohner zur Sammelstelle!' Da bat sie mich, sie mit einem Handtuch zu erdrosseln. Ich habe gesagt, das könnte ich nicht. Ich fuhr mit dem Fahrrad zum DRK und zur Jüdischen Gemeinde, aber man konnte mir nur raten, das Packen zu übernehmen. Am nächsten Tag war das Haus leer und versiegelt, aber ich kriegte doch heraus, daß die alte Dame in ein Altersheim am Bornplatz gebracht worden und dort gestorben war."

Über einen jüdischen Anwalt, der mithelfen mußte, die Ausweisungslisten zusammenzustellen, hörte Frau Flügge, daß die Mutter einer ihrer Schülerinnen abtransportiert werden sollte. "Da bin ich zur Gestapo gegangen, mit zitternden Knien." Der Gestapo-Mann sagte: "Sie haben einen Beamten vor sich!" Frau Flügge antwortete unerschrocken: "Sie auch!" und erlebte ein Wunder: einen Mann, der sich bemüht hatte, anständig seine Pflicht als Beamter zu erfüllen und nun verzweifelt ausrief: "Und jetzt muß ich für diesen Teufel die Todeslisten aufstellen!" Die Mutter der Schülerin wurde zurückgestellt, aber nur bis auch der Gestapo- Mann mit Gewissen verschwunden war.

1942 wurde ein befreundeter jüdischer Arzt, der mit einer Nicht-Jüdin verheiratet war, ausgebombt. Es gab in Hamburg nur noch drei jüdische Ärzte, die als Heilbehandler, als Pfleger im Krankenhaus Schäferkamp arbeiten durften. Frau Flügge tat, was damals als Selbstmord galt: Sie nahm das Ehepaar und dessen erwachsenen Sohn in ihrem Haus auf. Unvorstellbar, was diese Hamburger Lehrerin in den gnadenlosen Kriegs Jahren riskierte!

Gleich nach Kriegsende, als sie den letzten Schmuck im Garten ausgraben und seinen Eigentümern zurückgeben konnte, halfen ihr die jüdischen Freunde mit Paketen über die Hunger jähre hinweg. 1953 luden ihre ehemaligen Schüler sie zu einem "Klassentreffen" nach New York ein.

Zur höchsten Auszeichnung, zum Yad Vashem, zur Medaille und Urkunde, gehört auch, daß ein Baum gepflanzt wird, der Elisabeth Flügges Namen trägt. Ihr Enkel Friedemann Holst hat das stellvertretend für sie in Israel getan. "An einer ganz außergewöhnlich schönen Stelle des Gebirges um Jerusalem, mit Blick auf die Berglandschaft, wie er schöner und umfassender nicht sein kann", so haben es ihr Freunde beschreiben, steht seit dem 7. September ein kleiner Johannesbrotbaum in der "Allee der Gerechten".