Nachmittags 17 Uhr. Bei Gudrun Nikulski klingelt das Telefon. Sie nimmt den Hörer ab. Am anderen Ende der Leitung meldet sich Sylvia M. "Meine fünfjährige Tochter ist seit einigen Wochen so aufsässig. Früher war sie immer lieb und geduldig. Ich verstehe das gar nicht . . ." Elke M. ist eine alleinstehende Mutter. Sie weiß, daß sie bei Gudrun Nikulski Rat in Erziehungsfragen findet

Wenn in der Dorotheenstraße Nr. 139 im vierten Stock das Telefon klingelt, ist auch das jedesmal ein Hilferuf. Es sind Mütter, die hier Beistand suchen. Sie werden amtlich "Alleinerzieher" genannt, das heißt, sie müssen ohne Ehepartner für ihr Kind sorgen. Ihre soziale und rechtliche Lage läßt viele an diesem "Schicksal" verzweifeln. Alleinstehende Mütter ? ob sie ledig, geschieden oder verwitwet sind ? werden in unserer Gesellschaft immer noch als Außenseiter behandelt. Um diesen Frauen zu helfen, ist der "Verband alleinstehender Mütter", Telefon 47 05 90, gegründet worden.

Die Probleme der Frauen, die sich hier organisiert haben oder anonym Hilfe suchen, sind vielschichtig. So stehen fast alle Mütter ? mit Ausnahme der versorgungsberechtigten Witwen ? unter dem Zwang, für den Lebensunterhalt der Familie zu sorgen. Da in qualifizierten Berufen voller Einsatz und Überstunden erwartet werden, sind die Berufschancen gleich Null. Viele müssen Aushilfsarbeiten verrichten. Jede Krankheit der Kinder gefährdet zusätzlich die Berufstätigkeit. Die Doppelbelastung von Beruf und Familie führt nicht selten zu völliger Isolation ? alleinstehende Mütter haben weitaus weniger Freizeit als andere Eltern. Schließlich

wirken sich die schlechten Lebensbedingungen fast immer auf die Kinder aus. Entwicklungsstörungen, Erziehungsund Schulprobleme treten auf, denen die Mütter hilflos gegen- überstehen. Die zum Teil offene Ablehnung der Gesellschaft die von dem Leitbild der "heilen Welt der Normalfamilie" ausgeht, schließt den Kreis, der dann zur "großen Krise" führt

In Winterhude hat man es sich zur Aufgabe gemacht die Mütter durch Beratung, Information und Stärkung ihres Selbstbewußtseins dahin zu bringen, daß sie ihre Probleme selbst anpakken und bewältigen. In der Dorotheenstraße werden regelmä- ßig Clubnachmittage abgehalten, die der Kommunikation und Beratung dienen. Bei Kaffee, Kuchen und Kinderlärm (die Kleinen dürfen mitgebracht werden) werden nicht nur die Schwierigkeiten des einzelnen zur Debatte gestellt und in Diskussionen gegenseitig Hilfestellungen gegeben, sondern auch von Fachleuten der Sozialfürsorge, des Finanzwesens, von Ärzten und Pädagogen Referate zu Themen gehalten, die für die Mütter wichtig sind.

Damit die Frauen auch untereinander Zusammenkünfte organisieren können, stellt der Verband Listen auf, in denen die Mitglieder bezirksweise erfaßt sind und die allen, auch Nichtmitgliedern, zur Verfügung stehen. Die meisten folgen der Parole "Hilfe zur Selbsthilfe", helfen sich bei der Beschaffung eines Babysitters, betreuen ein krankes Kind, bieten ihre Begleitung bei Behördengängen an. Einmal in der Woche findet eine Sprechstunde statt, bei der eine Juristin, eine Soziologin und eine Oberstudienrätin den Müttern ehrenamtlich mit ihren Fachkenntnissen zur Verfügung stehen. Gerade in Rechtsfragen sind viele Frauen überhaupt nicht informiert. So wissen die wenigsten, daß alleinstehende Mütter inzwischen als "Junge Familien" anerkannt sind, also bei der Wohnungssuche bevorrechtigt werden, oder daß sie Anspruch auf Wohngeld haben.

Noch zu wenig bekannt ist der Rechtsspruch, nach dem diesen Frauen, die wegen der Betreuung ihrer Kinder nicht berufstätig sein können, nach dem Sozialhilfegesetz unterschiedliche Unterstützungen zum Lebensunterhalt gewährt werden ? vorausgesetzt es ist kein Unterhaltspflichtiger da. Schließlich ist die Beratungs- und Unterstützungspflicht der Jugendämter für alleinstehende Mütter

Sind Väter) gesetzlich verankert, aß diese Hilfen von "außen" vielfach nicht genutzt werden, liegt aber auch daran, daß sie mit endlosen Wartezeiten auf den Amtern ? die Wartezeiten für Erziehungsberatung beispielsweise betragen in manchen Orten bis zu zwölf Monate ? verbunden sind. Viele Frauen verzichten dann lieber auf ihre Ansprüche.

Der Verband will aber nicht nur beratend tätig sein, er will auch die soziale Stellung der Mütter durch Aufklärung in der Öffentlichkeit grundsätzlich verbessern. So gibt es in der Bundesrepublik noch immer keine wirksame Unterhaltssicherung der Kinder. Das Bundesdurchschnittseinkommen unverheirateter Mütter liegt bei 510 Mark monatlich. Dringendstes Ziel des Verbandes ist die Einführung von Unterhaltsvorschuß-Kassen.

Von Vertretern des Senats und der Bürgerschaft hat die erste Vorsitzende des Verbandes, Frau Dr. Helga Stödter, zu dieser Forderung schon volle Zustimmung bekommen. Dank ihrer Initiative ist in Hamburg auch die Wohnungsnot alleinstehender Mütter weitgehend behoben. Und auch gegen die Heimunterbringung kämpft man in Winterhude. Rund 70 von hundert der etwa 130 000 Kinder, die in Vollheimen leben müssen, kommen aus "halben Familien", die keine Alternative fanden. Sie sind, wie die hessische Sozialpolitikerin Erdmuthe Falkenberg einmal sagte, "nicht nur die unglücklichsten, sondern auch die teuersten Kinder in unserer Gesellschaft". Ein Heimplatz kostet den Steuerzahler zwischen 700 und 1300 Mark im Monat - der Platz in der Kinderkrippe täglich 30 Mark.

Viel ist seit der Gründung des Verbandes getan worden. Weitere Ziele werden angesteuert Vorrangig ist dabei augenblicklich die Beschaffung von Geldern. Der Verband wird zwar jährlich mit 10 000 Mark unterstützt, aber "wir brauchen finanzielle Hilfe, wenn wir noch mehr helfen wollen", so die Vorsitzende des Verbandes, Frau Susan Hintzpeter. "Und das müssen wir!"

Das sind die Beratungszeiten: An jedem Donnerstag, zwischen 16 und 19 Uhr telefonische Auskunft über rechtliche Fragen, jeden Dienstag zwischen 17 und 18 Uhr Hilfe bei Wohnungssorgen, täglich nach 17 Uhr unter der Telefonnummer 47 85 69 bei Erziehungsfragen.