Hamburg, Oberaltenallee b. Polizeirevierwache 40. Ein Haus, das unter Denkmalschutz steht, von Betonmonumenten umgeben. Als an der U-Bahn-Station Mundsburg noch alle Gebäude so aussahen wie die Revierwache heute, sangen die Kinder auf der Straße: "Udel, Udel, Udel, um de Eck door kummt en Schudel." Jetzt rasen hier nur noch Autos um die Ecke, frißt sich in den frühen Morgenstunden eine kilometerlange Blechlawine über Hamburger Straße und Mundsburger Damm bis zur Innenstadt durch.

Wenn der Angestellte im Außendienst Detlef Sperling (kurz "A.i.A." genannt) bei Dienstbeginn durch die hohen Fenster der Wache auf die gegenüberliegende Kreuzung sieht, haben sich schon zwei Riesenreptile ? das eine aus Richtung Winterhuder Weg, das andere vom Barmbeker Markt kommend ? hoffnungslos (wie es für den Laien scheint) ineinander verknotet.

Nur das geübte Auge des Verkehrshüters kann dieses Chaos noch überschauen. Während Herr Sperling seine zivile Schale gegen die Uniform vertauscht ? graue Hose, graue Jacke, weißes Hemd, grauer Mantel und wei- ße Mütze ? steht der Polizeibeamte Hans Leimer gemeinsam mit einem weiteren "A.i.A." schon auf der Mundsburger Kreuzung. Mitten im breiigsten Berufsverkehr sind mal wieder Ampeln ausgefallen.

Auch die "A.i.As" sind nach dem Gesetz mit allen Polizei-Rechten ausgestattet. Die zuständige Behörde, die Behörde für Inneres, kann sie zur Überwachung und Regelung des Stra- ßenverkehrs, zur Unterstützung der Vollzugspolizei oder der Feuerwehr bei Notfällen, die durch Naturereignisse, Seuchen, Brände, Explosionen, Unfälle oder ähnliche Vorkommnisse verursacht worden sind, hinzuziehen.

Hans Leimer trägt, während er ? ein Karajan des Straßenverkehrs ? mit ruhigen Armbewegungen das dröhnende Blech dirigiert und es mit einem einzigen Handzeichen zum Verstummen oder neuem Aufschrei bringt, einen weißen, weithin sichtbaren Mantel. Um die Hüften hat er sich einen Blinkgürtel gebunden. Weitere Attribute des Polizeibeamten sind ein Anhaltestab und eine Taschenlampe.

Gilt es, eine Kreuzung zu überwachen, übernimmt der Polizeibeamte jeweils den Leitposten. Er bestimmt die Hauptphasen des Verkehrsablaufes. Der "A.i.A." (in manchen Fällen sind es auch mehrere) regelt inzwischen, den Entscheidungen des Beamten und der Bewegung des Verkehrsflusses entsprechend, die Nebenströme. Die besondere Aufmerksamkeit der beiden Männer auf der Mundsburger Kreuzung gilt dien Fußgängern, den Schulkindern und den älteren Menschen.

Nach einer Stunde im Winter, im Sommer sind es zwei, werden die Polizeibeamten und ihre Helfer auf der Kreuzung abgelöst. Über die Auspuffgase, die sie in dieser Zeit eingeatmet haben, macht sich jeder so seine eigenen Gedanken. "Das ist natürlich die Pest", sagt Hans Leimer. "Man müßte täglich einen Liter Milch trinken, um sich danach wieder zu entgiften." Detlef Sperling, der wie alle "A.i.As", wenn Not am Mann ist, ebenfalls auf der Kreuzung einspringt, nimmt die Sache leichter: "DDT wirkt bei Insekten auch nicht mehr", sagt er. "Vielleicht werden Menschen durch Gewöhnung auch immun gegen Gift."

Elf Hauptverkehrsknotenpunkte liegen allein in dem 37 000 Quadratmeter großen Revier, das zur Wache 40 gehört. Auf die ganze Stadt verteilt, sind es über hundert. Besondere in der Innenstadt ballt sich in den Morgenund Abendstunden das polierte Blech zu bedrohlichen Lawinen zusammen.

Detlef Sperling, Jahrgang 30, ist einer von 166 "A.i.As", die Hamburg zur Zeit hat. Bevor er Angestellter im Außendienst wurde, arbeitete er in einer Großihandelsfirma. Als sie pleite machte, mußte er sich nach einem neuen Arbeitsplatz umsehen. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder, inzwischen schon Enkelkinder. Nach einer sechswöchigen Grundausbildung begann Detlef Sperling am 1. April 1972 seinen Dienst in der Polizeirevierwache 40.

Das erste Gebot, das der Polizeihauptkommissar Joseph Becker dem Novizen einprägte, ehe er ihn auf die Parksünder losließ, war typisch hamburgisch. Es lautete: "Wir sind nicht kleinlich!" Hauptaufgabe der "A.i.As" ist ? abgesehen von ihrer Mithilfe an kritischen Kreuzungen ? die Überwachung des gesamten ruhenden Verkehrs. Ob ein "A.i.A." die gefürchtete Zahlkarte hinter den Scheibenwischer eines falsch abgestellten Autos schiebt oder nicht, liegt in seinem "pflichtgemäßen Ermessen". Sein Dienst gilt mehr der Vorbeugung von Unfällen, der Gefahrenabwendung.

Manchmal gibt es sogar Leute, die das einsehen. Dennoch leiden die Männer in den grauen Mänteln, die "grauen Mäuse", noch immer unter einem etwas lädierten Image. "Wir schwimmen gegen den Strom", sagte der "A.i.A." Detlef Sperling und steckt sich einen neuen Block mit Zahlkarten in die Tasche. Erst vor kurzem mußte er sich mit einer Beleidigungsklage zur Wehr setzen. Ein Parksünder hatte ihm durchs Telefon wütend ein derbes Wort aus dem Bereich der Anatomie zugerufen.

Das Revier um die Wache 40 ist in sieben kleinere Abschnitte aufgeteilt. Ehe Detlef Sperling morgens seinen Dienstgang beginnt, wird mit den Kollegen der "Kuchen aufgeteilt". Außer Sperling machen zwei weitere "A.i.As" Fußstreife. Einer unterstützt zur gleichen Zeit den Sachbearbeiter für Ordnungswidrigkeiten.

Souverän bewegt sich der etwas rundliche Sperling durch den dicksten Straßenverkehr. Schon nach wenigen Minuten hat er die ersten falsch abgestellten Autos entdeckt. Die meisten bekommen nur eine unausgeschriebene Zahlkarte an die Windschutzscheibe gesteckt. Als Denkanstoß! Kommt der Besitzer, geht der "A.i.A." ihm entgegen und erklärt ihm die Motive seines Tuns.

"Mein Handeln", sagt Detlef Sperling, "muß in jedem Fall rechtlich fundiert sein." Oft sind es schuldbewußte Gesichter, in die er blickt. (Der typische Dackelblick: Am besten Zerknirschung zeigen, dann wird alles halb so schlimm.) "Ich will ja nur aufklären", meinlt der "A.i.A.". "Ich will Sie nicht belehren."

Im allgemeinen sehen die Hamburger die Sache nüchtern. Auch bei Diskussionen mit Uniformierten lassen sie sich kaum aus der Ruhe bringen. Nicht selten wird ein hochdeutsch begonnener Dialog auf Hamburger Platt weitergeführt. Spricht sich besser so von Mensch zu Mensch.

Nur wenn die finanzielle Seite eines Falls berührt wird, wird die Angelegenheit komplizierter. Dann wird Schriftdeutsch gesprochen. Beispiel: Ein Fahrer hat seinen Wagen nicht nur im Parkverbot abgestellt, er hat ihn auch noch unverschlossen gelassen. Er muß Bußgeld bezahlen. Ebenso ein Fahrer, der mit seinem parkenden Auto die Einsicht in eine Kreuzung versperrt.

Der Mann in Grau kennt seine Pappenheimer. Fast jeder abgestellte Wagen in seinem Revier ist ihm vertraut, samt seinem Besitzer. Detlef Sperling achtet darauf, daß Radfahr- und Gehwege, Ladestrelfen und Gullydeckel frei bleiben. Immer ist er bemüht, das Übel an der Wurzel zu packen. Ehe es sich zu einem Unfall auswächst.

Auf dem Rückweg macht der "A.i.A." noch einen Jungen darauf aufmerksam, daß er mit seinem Fahrrad den rechten Radweg benutzen soll, erklärt er einer auf der Unterlippe herumnagenden Dame am Hof weg, daß, wer seinen Wagen verläßt, schon zu den Parkern zählt, befragt ein paar Schulkinder (die ihn mit "Hallo, Herr Sperling!" begrüßen) nach den Zensuren und ist gegen 14 Uhr wieder auf der Polizeirevierwache 40.

Nachdem er sich ordnungsgemäß' zurückgemeldet hat, erledigt er noch den täglichen Papierkram. Am Abend verwandelt sich der "A.i.A." Detlef Sperling wieder in einen unauffälligen Zivilisten. Er steigt in die Hochbahn Richtung Berne und fährt nach Hause zu seiner Familie. An besonders glücklichen Abenden erwarten ihn die Freunde zu einem züaftigen Skat. Lesen Sie morgen:

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