Ein hilfsbereiter Autofahrer stoppte sein Fahrzeug, als er an der Berliner Stadtautobahn ein Pannenauto entdeckte. Dank erntete er dafür nicht, denn es handelte sich um eine mit zwei Polizisten besetzte getarnte Radarfalle.' Die neugierigen Fragen des Hilfsbereiten beantworteten sie mit einem Bußgeld: 40 DM wegen verbotenen Haltens an der Autobahn.

Deutschlands Länder und Gemeinden mögen auf die Radarfallen nicht mehr verzichten. Denn Geschwindigkeits- übertretungen trugen ihnen neben anderen Vergehen und Übertretungen im vergangenen Jahr rund 273 Millionen DM ein. Für dieses Jahr ist sogar ein erheblicher Zuwachs eingeplant.

Der Fall des Berliner Autofahrers hat so viel Aufsehen erregt, daß sich Polizeipräsident Klaus Hübner gewunden entschuldigte: sind alle Beamten

nochmals darauf hingewiesen worden, daß über den zivilen Zuschnitt der Radarwagen hinausgehende Vertarnung der Fahrzeuge nicht zulässig ist." Damit hat er gleichzeitig erklärt, daß weiter gemessen wird. Hübners graue Jäger konnten schon im vergangenen Jahr eine bemerkenswerte Strecke vorweisen: Mit knapp neun Millionen DM Bußgeld wurde ? statistisch gesehen ? jedes in Berlin zugelassene Auto mit einem Strafgeld von 17 DM belegt. Nur die schnellen, mit Porsche-Sportwagen ausgerüsteten Verkehrspolizisten im Nordrhein-Westfalen Willi Weyers waren noch tüchtiger: Sie beschafften 102 Millionen Bußgeld oder 19 DM je Fahrzeug in Nordrhein-Westfalen. Hamburg nimmt in dieser Hitliste immerhin noch den dritten Platz ein: Neun Millionen oder 16 DM je zugelassenem Fahrzeug.

Der fatale Nebeneffekt: Die Zahl der Eintragungen in die Flensburger "Verkehrssünder-Kartei" stieg im ersten Halbjahr 1974 um 21 Prozent auf 4,38 Millionen.

Die bisherigen Summen sind den Behörden bei weitem nicht genug. Denn seit sich in den Amtsstuben herumgesprochen hat, daß sich Investitionen für teure Radargeräte in einem bislang nicht bekannten Ausmaß amortisieren, werden die 'Beamten immer besser gerüstet für die Jagd nach dem Täter. So erwarten die Stadtväter von Saarbrükken, daß ihre fleißigen Beamten in diesem Jahr 108 Prozent mehr Verwarnund Bußgeldzettel schreiben als noch 1973. Damit sollen die Einnahmen auf 1,45 Millionen steigen. Sie sind sogar schon verplant.

Gestört wurden die Behörden bei solchem Tun bisher kaum. In München verstieg sich die Polizei sogar zu der Forderung, alle Autofahrer, die vor Radargeräten warnten, sollten mit einem Bußgeld belegt werden. Polizeipräsident Schreiber hatte Mühe, der empörten Öffentlichkeit zu versichern, seine Beamten litten keineswegs unter einem "Jagdhund-Komplex" und könnten sich deshalb sehr wohl anders verhalten. Tatsächlich sind die Ursachen für das fast hemmungslose Aufrüsten der Polizeibehörden mit Verfolgungsanlagen auf die Aktivitäten der Verwaltung zurückzuführen.

Ein ehemaliger Polizei-Helfer, der Münchner Psychologe Georg Sieber, hat es den Beamten unter die Nase gerieben. Er bezeichnete Radar- Verfolgungen als "unsinnig" und "überflüssig''. Sie dienten weder zur Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr noch zur Disziplinierung von Verkehrs-Rowdys. Denn der Autofahrer ist nach seiner Erkenntnis prinzipiell nicht schlecht, er wird es erst durch die Umstände. Sieber weist darauf hin, daß die Verkehrslenkung an vielen Stellen so schlecht ist, daß die Autofahrer in die Irre geleitet und damit gefährliche Situationen heraufbeschworen werden. Auch das Argument der Polizei, sie kontrolliere nur Unfallschwerpunkte, läßt er nicht gelten. Eine Häufung von Unfällen hat nach Siebers Meinung zumeist einen ganz praktischen Grund: Die Autofahrer sind irritiert, weil die Verkehrslenkung nicht stimmt. Sieber: ?Wenn man die gleiche Energie, die auf Radarfallen verwendet wird, in die Verbesserung unserer Stra- ßen investierte, brauchten wir keine Radarfallen mehr."

Doch damit ist Sieber ? zur Zeit jedenfalls ? ein einsamer Rufer in der Wüste. Solange sich die Behörden der Einsicht verschließen, daß die Bußgeld- Spirale nicht endlos weitergedreht werden kann, dürfen Verkehrssünder auf Deutschlands Straßen immer hemmungsloser gejagt werden, wenn auch oft in netter Form.