Auf eine für Hamburg lebenswichtige Frage wird die Bürgerschaft heute nachmittag die entscheidende Antwort geben. Mit der Abstimmung über den Flächennutzungsplan befinden die 120 Abgeordneten darüber, ob und welche Stadtautobahnen in absehbarer Zeit gebaut werden.

Die drei Fraktionen haben sich nach ausgiebigen Beratungen beinahe identisch geäußert. Sie alle wollen, abgesehen von wenigen Ausnahmen, das von den Verkehrsplanern der Baubehörde entwickelte Stadtautobahnnetz nicht verwirklichen.

Die SPD will aber offenbar die Abkehr von dem, was bisher als vorteilhaft und notwendig galt, am wenigsten radikal vollziehen. Nach ihrer Auffassung könnte die Osttangente von Moorfleet über den Dulsberg, die City Nord und Fuhlsbüttel bis zur Autobahn nach Kiel bis 1985 gebaut werden. '

Selten ist in den letzten Jahren ein städtebauliches Thema von den Bürgern so engagiert diskutiert worden wie dieses. Bürgerinitiativen boten an die 60 000 Unterschriften gegen den

Bau auf. Der ADAC sprach sich für seine 150 000 Mitglieder für die Stadtautobahn aus.

"Die Stadtautobahn zerschneidet unser schönes Hamburg." ? "Sie verpestet die Luft, weil sie Verkehr anzieht und dadurch mehr Verkehr erzeugt." ? "Die Bürger können nicht mehr ruhig schlafen." Das waren nur einige der Argumente der Gegner.

Engagierter Vertreter des Pro ist der frühere Hamburger Oberbaudirektor Prof. Otto Sill, der immer wieder betonte: "Keine Straße erzeugt neuen Verkehr. Sie dient im Gegenteil der Kommunikation. Wirtschaftsverkehr ist für eine Stadt lebenswichtig. Autobahnen ziehen den Verkehr von Stadtstraßen ab und verbessern dadurch die Lebensverhältnisse in den angrenzenden Stadtteilen."

Das Hamburger Abendblatt hat herauszufinden versucht, ob insbesondere diese letzte These von Prof. Sill zutrifft. Untersucht wurden die geplante (verlegte) Bundesstraße 431 als Fortsetzung der Kerntangente und der westliche Teil des Alsterhalbringes.

Die geplante B 431 zweigt von Westen kommend in Höhe des Elbe-Einkaufszentrums von der Osdorfer Landstraße nach Norden ab, wird durch die Nottkestraße an der Trabrennbahn vorbei zur Kreuzung Ruhrstraße/Holstenkamp (Anschlußstelle) bis zur Kreuzung Kieler Straße/- Stresemannstraße geführt.

Von der Zerschneidung der Stadt kann hier also nicht gesprochen werden. Außer in der Nottkestraße, wo etwa 2000 Bürger mit Belästigungen rechnen müßten, wird die Trasse durch Gewerbegebiet oder überwiegend geräumtes Kleingartengelände geführt.

Den Vorteil hätten mindestens 50 000 Bürger, die an den Straßen wohnen, durch die sich schon jetzt der Verkehr aus dem Westen quält und die nach Fertigstellung des Elbtunnels auch noch zusätzlichen Verkehr aus Richtung Süden schlucken müssen. Ohne die neue B 431 werden sich 1990 täglich mindestens 120 000 (heute 90 000) Fahrzeuge durch die Straßen zwischen Stresemannstraße und Eibufer quälen. Wenn die neue B 431 gebaut wird, werden es 1990 mit 60 000 Fahrzeugen südlich der Stadtautobahn- Trasse immer noch 30 000 weniger sein als heute.

Das zweite Beispiel: Die Straßen in Harvestehude zwischen der Außenalster und der Grindelallee werden heute mit 95 000 Fahrzeugen täglich belastet. Würde der Alsterhalbring gebaut, der im Bereich des Isebek-Kanals ? wie bekannt ? unterirdisch verlaufen soll, würde er mehr als die Hälfte des Verkehrs aus den Wohnstraßen dieses alten Hamburger Stadtteils abziehen. Diese Stra- ßen wären dann ? so die Planer ? wieder das, was sie einmal waren: angenehme Wohnstraßen.

Die Argumente, die die Planer den Gegnern der Stadtautobahn entgegenhalten, sind auch zu wenig bekannt: Es werden keine Schneisen in die Stadt geschlagen, denn eine Stadtautobahn (sechsspurig, 35 Meter) ist nicht einmal so breit wie die Mönckebergstraße (40 Meter). Die Fahrzeuge verursachen nur halb so viel Lärm und scheiden auch nur halb so viel Abgase aus wie auf Innenstadtstraßen. Die Unfallhäufigkeit wird sogai auf ein Viertel gemindert.

Der Senat mutet den Bürgerschaftsabgeordneten heute die Entscheidung über das Stadtautobahnnetz zu, obwohl er bislang die Daten seines Generalverkehrsplans, die deutlich die Vor- und Nachteile des ursprünglich geplanten Straßensystems zeigen, noch nicht vorgelegt hat.