Carl Brinitzer sieht aus wie das blühende Leben. Er war, als er mich besuchte, braungebrannt von Ferien in der Sonne der Kanarischen Inseln heimgekehrt. Wir tranken Kaffee und sprachen über sein Buch, das ich gerade mit großem Interesse verschlungen hatte: “Hier spricht London/Von einem, der dabei war“, erschienen im Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg. Brinitzer war dabeigewesen! Er erzählt nun die Inside-Story des deutschen Dienstes der BBC, der British Broadcasting Corporation, im Kriege.

Carl Brinitzer beschreibt wahrheitsgetreu und spannend das, was "der Führer" (Hitler) nicht einkalkuliert hatte, weil es das bis dahin noch nicht gegeben hatte: den Krieg im Äther zwischen London und Berlin. Brinitzers Buch erzählt von den Männern und Frauen hinter den englischen Rundfunksendungen, an deren charakteristisches Paukenzeichen sich gewiß heute noch Hunderttausende von Deutschen

Von CLARA REYERSBACH, Leiterin unserer Londoner Redaktion erinnern, die damals den Londoner Sender einschalten, obwohl das äußerst streng verboten war, ja Kopf und Kragen kostete. Er durchkreuzte die doppelte Zweckpropaganda.

"Waren Sie direkt von Hamburg aus nach London gekommen?" fragte ich den Mann, der Nachrichtensprecher, Übersetzer, Scriptwriter und später Leiter der Programmabteilung des deutschen Dienstes der BBC gewesen ist. "Nein", sagt Brinitzer, "ich ging zunächst nach Italien. Ich hatte im Cafe Hübner einen befreundeten Rechtsanwalt getroffen, der mir erzählte: ,Ich fahre morgen nach Rom'. Aus meiner juristischen Karriere war ich nach Hitlers .Machtergreifung' herausgeworfen worden. So entschloß ich mich spontan: Ich komme mit. Eine Zeitlang habe ich in Rom gelebt. Dort lernte ich Berte Grossbard, eine international berühmte Rundfunksprecherin, kennen. Wir heirateten in London. Aber zwischen Einwanderung nach England und dem Ruf an die BBC lagen viele Monate des Hungerns."

"Sind Sie eigentlich gebürtiger Hamburger?" "Nein." Brinitzer lacht: "Ich bin in der Goethestraße in Altona geboren. Altona war damals preußisch. Meine Eltern hätten als preußische Steuerzahler in Hamburg höheres Schulgeld zahlen müssen; deshalb schickten sie mich auf das Realgymnasium in Altona. Mein Vater war Dermatologe und meine Mutter eine damals berühmte Internistin. Sie hätten gern gesehen, daß ich, wie mein Bruder, Medizin studiert hätte. Aber mich reizte die Jurisprudenz. Ich wollte Jurist und Journalist werden. Aber meine Examina konnte ich nicht in Hamburg, sondern nur in Kiel machen."

Dann erzählt Carl Brinitzer Geschichten von der einst "geteilten" Stadt Hamburg-Altona. Er erzählt von Ganoven, die ? von der Altonaer Polizei verfolgt ? über die Große Freiheit flüchteten und auf Hamburger Boden nicht von der Hamburger Polizei verhaftet werden konnten. "Ich bin Reeperbahn-Spezialist geworden. Kannte alle Lokale in den engen Stra- ßen St. Paulis, von denen die meisten kaum etwas wußten. Das kam mir bei meinem allerersten Interview zustatten. Ich war damals 19 Jahre alt. Die berühmte Mistinguett gastierte in Hamburg, und das .Altonaer Tageblatt', für das ich gelegentlich kleine Geschichten schrieb, schickte mich zur Pressekonferenz mit der französischen Diseuse. Ich fragte sie, ob sie schon in St. Pauli gewesen sei. Als sie ,nein' sagte, aber sich sehr interessiert zeigte, fragte ich, ob ich ihr die Reeperbahn zeigen solle. So führte ich sie durch die dunkelsten Gassen von St. Pauli. Zum Schluß betraten wir den .Trichter'. Dort erkannte man die Mistinguett und feierte sie. Seitdem habe ich ungezählte Interviews gemacht, auf das mit der Mistinguett jedoch bin ich noch heute stolz."

Wir blendeten, um uns nicht in St.- Pauli-Schwärmereien zu verlieren, jetzt um auf "Hier spricht London". Sir Hugh Greene, Generaldirektor der BBC, hat Carl Brinitzers Buch der politischen Erinnerungen "in Verbundenheit und Dankbarkeit an die gemeinsame Arbeit" ein prachtvolles Vorwort geschrieben. Greene war vor dem zweiten Weltkrieg Deutschlandkorrespondent des "Daily Telegraph" in Berlin, im Oktober 1940 wurde er Leiter der deutschen Abteilung der BBC. "Für einen erfahrenen Journalisten war ich ein sehr schüchterner junger Mann, wie Carl Brinitzer diplomatisch andeutet", meint Sir Hugh, der Bruder des berühmten Schriftstellers Graham Greene.

"Hier spricht London" sind ganz persönliche Erinnerungen Carl Brinitzers.

Und das macht, da sie mit Charme und Humor geschrieben wurden, die aus der Perspektive des britischen Funkhauses

gesehenen Kriegsberichte denn auch auf ganz besondere Weise interessant, es macht sie zu einer so ungewöhnlich aufschlußreich-reizvollen wie kurzweiligen Lektüre. Eine schlimmes Kapitel jüngst vergangener Geschichte ist hier klug und überlegen "bewältigt" worden. Private Schilderung, faszinierend lebendig, geht ein in die Dokumentation ? im weitesten und tiefsten Sinne. Dieses Buch ist unvergleichlich originell. Man muß es lesen!

Carl Brinitzer: "Hier spricht London. ? Von einem, der dabei war", Hoilmaim u. Campe Verlag, Hamburg, 340 S. 24 DM.