Sie ist 2,5 Kilometer lang, 36 Meter breit, dreispurig in jeder Fahrtrichtung und wurde bei ihrer Einweihung im Jahre 1960 von ihren Schöpfern als die “große Schlagader“ für den Hamburger Straßenverkehr gepriesen. Eine Schlagader? Wer heute über die Ost- West-Straße fährt, denkt ? um beim medizinischen Vergleich zu bleiben ? eher an Krampfader und Herzinfarkt! Kann man da noch von dem ersehnten großen verkehrstechnischen Durchbruch sprechen?

Ob in den frühen Morgenstunden, wenn der Berufsverkehr in die Stadt rollt, oder am Nachmittag, wenn jeder rasch nach Hause möchte ? es ist tagtäglich das gleiche Bild: Wagen an Wagen im Kriechtempo, bremsen, wieder ein paar Meter vorrücken, erneut bremsen. Was 1960 als "Rollbahn" für einen zügig dahinfließenden Stadtverkehr gedacht war, ist längst zur "Ruckel-Bahn" geworden, zum Rad-an-Rad-Rummel, zur Nervenmühle für Tausende von Kraftfahrern.

Die äußeren Ursachen sind leicht erkennbar: Die Ost- West-Straße krankt an Stauungen in den beiden Endpunkten:

- Am Millerntor, wo es in den sich verengenden Schlauch der Reeperbahn hineingeht, frißt sich der Verkehr sofort fest.

- Am Deichtor prallen Oberflächenverkehr und die "Tunnelfahrer" aufeinander. Nur in kleinen, wechselweisen Schüben läßt dort die Ampel den Strom passieren.

Im Nu blockiert

Diese Stauungen in den Endstücken schlagen sofort zurück und lösen das bekannte Verkehrsdilemma aus: Im Nu ist die Ost-West-Straße in ihrer ganzen Länge blockiert.

Heute läßt sich nicht mehr verheimlichen, daß man sich bei der Konzeption der Ost- West-Straße zumindest verkalkuliert hat. Geplant war sie damals als Innenstadtstraße, als Sammler für den City-Verkehr. Aber es blieb nicht bei dieser von den Planern gewünschten speziellen Funktion. Die Ost-West- Straße wurde, da es an sinnvollen anderen Möglichkeiten fehlt, zur prallgefüllten Durchgangsstraße von den Eibbrücken nach Westen.

Als Durchgangsstraße ist die Ost- West-Straße, gemessen an den Lösungen anderer Großstädte, nur mittelmäßig und keineswegs die notwendige Straße mit "Pfiff".

Tatsächlich ist das eigentliche Problem der Ost-West-Straße der Durchgangsverkehr, genauer gesagt sind es die schweren Lastzüge. Sie bestimmen mit ihrem geringen Anzugsvermögen nach Ampel-Rot das Tempo der übrigen Fahrer.

So tauchte denn die Idee auf, für

Lastwagen auf der Ost-West-Straße eine Kriechspur einzurichten. "Leider geht das nicht", sagten die Verkehrsexperten. "Bei der Wiedereinfädelung und beim Spurenwechsel der Linksabbieger würden damit unfallgefährdende Situationen provoziert."

Und andere Möglichkeiten, den Strom der Fahrzeuge zu ordnen? Baudirektor Runge: "Alle verkehrstechnischen Möglichkeiten iind bei der Ost-West-Straße inzwischen ausgeschöpft. Audi ein Anschluß des Ampelsystems an Computer (wie auf der Strecke Eibbrücken ? Sechslingspforte) würde nur noch ganz geringe Reserven herausholen." Entlastung erst durch die Kerntangente Also vielleicht nachträglich durch Unterführungen die ersehnte kreuzungsfreie Straße mit "Pfiff" schaffen? Daran ist allerdings nicht mehr zu denken. Erster Baudirektor Dr. Günther Bentfeld: "Um Über- und Unterführungen einzubauen, wären zu lange Rampen erforderlich! Man könnte sie zwischen den für eine City-Sammel-Straße notwendigen Knoten nicht mehr unterbringen."

Also werden denn auch die beiden vorgesehenen "baulichen Entlastungsmaßnahmen" im Endeffekt nur auf kleine Korrekturmöglichkeiten hinauslaufen:

- Im kommenden Frühjahr soll am Deichtor mit der Errichtung eines Uberführungsbauwerks begonnen werden, das die stadtauswärts fahrenden Wagen beim Linksabbiegen kreuzungsfrei in die Nordkanalstraße bringt. Dann könnte man endlich auf die hemmende Ampel am Ende des Deichtortunnels verzichten.

- Und zur IGA 1973, wenn ohnehin die Drehscheibe Millerntor umgebaut werden muß, wird man mit den ersten Ansätzen für eine Weiterführung der Ost- West-Straße über die Simon-von-Utrecht-Straße nach Westen beginnen.

Doch wie gesagt, diese beiden Korrekturen werden keine entscheidende Entlastung bringen. Sie können nicht viel an der Tatsache ändern, daß die als Innenstadt-Sammler konzipierte Ost- West-Straße einem Durchgangsverkehr eben nicht gewachsen ist.

Hoffnungen kann man vorläufig nur auf die Fertigstellung der Westtangente setzen, von der man erwartet, daß sie einen Teil des Durchgangsverkehrs, vor allem die Lastwagen, auf sich zieht.

Westtangente erst 1974

1974 soll die Westtangente in Betrieb genommen werden. Doch der CDU- Verkehrsexperte Dr. Klaus-Jürgen Juhnke befürchtet jetzt schon : Bis dahin wird der Autoverkehr bereits wieder so sehr zugenommen haben, daß für die Ost-West-Straße am Ende doch keine spürbare Entlastung herauskommt.

Erst ein weiteres Teilstück des schon vor vielen Jahren geplanten Stadtautobahnnetzes kann das Problem der Ost- West-Straße lösen: der Bau der Kern- Tangente, die die Westtangente durch einen Tunnel unter der Außenalster mit der Ost-Tangente und den Zubringern von der Eibbrücke verbinden wird. Das freilich ist für die Autofahrer von heute nur ein geringer Trost. In der Baubehörde hofft man, "noch vor 1980" mit dem ersten Abschnitt dieser sechsspurig geplanten Stadtautobahn beginnen zu können, die Hamburg endlich die notwendige leistungsfähige Ost-West-Verbindung bringen würde. Als Bauzeit sind acht bis zehn Jahre veranschlagt.

Fazit: Wahrscheinlich erst um 1990 herum wird die tägliche Quälerei auf der Ost-West-Straße aufhören. Dieser langfristige Wechsel auf eine ferne Zukunft muß für den Autofahrer 1968 deprimierend sein. Will man ihm wirklich zumuten, solange zu warten?

Notwendige Überlegungen

Zwei Überlegungen sind in dieser Situation notwendig:

1. Eine Überprüfung des Straßenbauprogramms. Konkret gesagt: Man wird dem Bau der Kerntangente Vorrang einräumen müssen.

2. Für die Übergangszeit eine Art südliche Ost-West-Straße am Hafen entlang zu bauen, die von den St.-Pauli- Landungsbrücken über Johannisbollwerk bis zum Deichtor führt. Sie sollte vor allem für den Lastwagenverkehr einen Weg in beiden Richtungen bahnen und damit die jetzige Ost- West-Straße entlasten.

Schlagader für den Hamburger Verkehr? Bei der Ost-West-Straße ist die Rechnung der Planer nicht aufgegangen.