Ein Alstertuimel als wichtigster Verkehrsweg, als Teil der Ost-West- Stadtautobahn ist, wie im Hamburger Abendblatt berichtet, fest geplant. Er soll hauptsächlich die Lombards- und die Kennedy-Brücke entlasten und etwa von der Fontenay zur Sechslingspforte unter dem Alsterspiegel hindurchführen. Experten hoffen, mit dem Bau in etwa zehn Jahren fertig zu sein. Doch: Nichts ist neu unter der Sonne! Schon vor mehr als hundert Jahren hat man sich Gedanken um einen Alstertunnel gemacht.

Der Ingenieur und "Conducteur der Baubehörde" F. W. Roesing war der Hauptverfechter, der Vater dieses Projekts. Er war zweifellos seiner Zeit, die für ein solches Bauwerk noch nicht reif war, weit voraus. Als Wasserbauer hatte er zunächst in Bremen, dann in Hamburg und Stade Erfahrungen gesammelt, ebenso beim Brückenbau über Schwinge und Oste. Als Militäringenieur lernte er den Bau von Stollen und Minen kennen. Die damals entstehenden ersten Eisenbahntunnel dürften ihn angeregt haben

Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts hatte man begonnen, die Uhlenhorst zu bebauen. Da wurde auch der Wunsch nach einer besseren Verbindung zum Harvestehuder Ufer wach ? besser als Fährponton und Ruderboote zwischen der heutigen Carlstraße und der Alsterchaussee.

Ein Konsortium von Grundbesitzern auf der Uhlenhorst ließ einen Plan für eine niedrige Holzbrücke zwischen Carlstraße und Alsterchaussee ausarbeiten. Als sie vom Senat abgelehnt wurde, kam das Konsortium mit einem neuen Plan: Zwischen zwei Dämmen, die in die Alster vorstoßen, sollte eine eiserne Bogenbrücke von 100 Fuß Länge (16 Fuß = 4,58 Meter) das Wasser überspannen. Sie sollte so hoch sein, daß Segelboote unbehindert hindurchfahren könnten. Das Konsortium wollte diese Brücke auf eigene Kosten bauen, Brükkenzoll erheben und nach Ablauf vort 25 Jahren die Brücke dem Staat zum Eigentum übergeben.

Der Plan entfesselte einen Zeitungskrieg. Die meisten Hamburger lehnten es wütend ab, sich eine der schönsten Fernsichten ihrer Stadt durch eine Brücke verbauen zu lassen. Der hohe Senat gab den Plan des Konsortiums zur Mitgenehmigung an die Bürgerschaft. Er wurde abgelehnt.

Zur gleichen Zeit tauchte Roesing mit seinem Tunnelplan auf: Ein Tunnel würde das Landschaftsbild nicht beeinträchtigen. 1862 erschien sein erster Artikel in den Hamburger Nachrichten, dem noch viele folgten. Zunächst hatte auch Roesing an eine Tunnel-Länge von 100 Fuß zwischen zwei Dämmen gedacht. Später korrigierte er seinen Plan: 220 Fuß Tunnellänge zwischen zwei künstlichen in die Alster vorgeschobenen Inseln, die durch Dämme mit dem Festland verbunden sein sollten. Ein kühner Plan.

Der Tunnel sollte 17 Fuß lichte Höhe haben und zwei durch Arkaden voneinander getrennte Fahrbahnen von insgesamt 33 Fuß Breite. Der ganze Bau mit einer Totallänge von rund 1000 Fuß (von Ufer zu Ufer einschließlich der Dämme und Inseln) sollte 200 000 Mark Courant kosten und damit billiger als eine Brückenanlage sein.

Damit sich jeder vorstellen konnte, wie sein Tunnel aussehen würde, baute Roesing ein Modell, das er zunächst in der Börse, dann in der Kunsthalle ausstellen ließ und schließlich auch auf der Gewerbeausstellung zeigte.

Roesing fand sofort viele Widersacher, die einen solchen Tunnel für unmöglich hielten und Schwierigkeiten jeder Art sahen. Aber er glaubte an sein Werk, das er immer wieder in Zeitungsartikeln verteidigte. Schließlich brachte er seine Schriften und Zeichnungen in einem Buch heraus, das 1863 im Verlag Otto Meißner in Hamburg erschien. Er nannte darin das Tunnelprojekt "eine Perle in unserer Alster" und schrieb weiter, daß er "für Hamburg einen Ruhm darin sehe, wenn in Zukunft im Auslande von dem Alstertunnel gesprochen würde, und Fremde veranlassen möchte, denselben zu besuchen. Es kann hier ja auch nur jeder wünschen, daß auch wir einmal auf unserem Territorium ein Bauwerk besonderer Art aufzuweisen haben."

Der Tunnel wurde nicht gebaut, sein Konstrukteur F. W. Roesing starb dar- über hinweg. Brücken entstanden, um das rechte und linke Alsterufer zu verbinden. Allerdings nicht dort, wo sie das Landschaftsbild stören, sondern eher beleben konnten: Die Krugkoppel- und die Fernsicht-Brücke. Die Fähre modernisierte sich. Ab 1871 fuhr sie mit Dampfbetrieb, und noch heute wird der Fährbetrieb (mit einer Barkasse) aufrechterhalten. Sein "Bauwerk besonderer Art", von dem die ganze Welt sprach, erhielt Hamburg rund 50 Jahre später ? den Elbtunnel. Und in ein paar Jahren soll nun doch noch der Bau eines Alstertunnels beginnen. Mal sehen, ob er Wirklichkeit wird.