Malen ist zu einem der beliebtesten Hobbys geworden. Bauern und Beamte setzen sich auf die Fährte des Zöllners Rousseau, Hausfrauen tun's der Grandma Moses nach, Stars machen mit dem Pinsel Schlagzeilen als wären es Seitensprünge. Ausstellungen der sogenannten Naiven werden überlaufen. Leider verderben Mode und Kunsthandel den Reiz der naiven Malerei. Davon werden wohl auch die jugoslawischen Dörfer Hlebine und Kovacica, Dorados bäuerlicher Malerei, nicht unbehelligt bleiben.

Der Begriff des Naiven ist schillernd. Er verleitet zum Romantisieren, zur schwärmerischen Gleichmacherei des Naiven, Primitiven, des feierabendlichen Dilettierens und des der Ursprünglichkeit sich bemächtigenden Raffinements. Mit Wilhelm Uhde, dem Entdecker, Sammler und Förderer der europäischen Moderne um die Jahrhundertwende, der 1928 Rousseau, Vivin, Bombois. Bauchant und die Seraphine in einer Ausstellung vereinte (die klassisch gewordenen Vorbilder der "Sonntagsmalerei"), wird man heute schwerlich noch von den "Malern des heiligen Herzens" sprechen können. Wie wollte man _ beispielsweise ? Rousseau, die Grandma Moses, Hirshfield, Generalic und Schröder-Sonnenstern unter jenen Hut bringen?

Bei Otto Behalji-Merin, dem prorunden Kemner dieser Materie, kann man sich über die Vielschichtigkeit, die Problematik der naiven Malerei und die wichtigsten Künstler exakt und anregend informieren. Sein prächtig bebilderter Band "Das naive Bild der Welt" (erschienen bei DuMont Schauberg, Köln) ist zum Standardwerk geworden.

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Vor zwanzig Jahren wußten nur wenige etwas von Hlebine und Kovacica. Heute hat man die Namen im Ohr. Diese "malenden Bauerndörfer" in Kroatien und im Banat sind jetzt berühmt, nahezu populär ? zumindest das erste. Galerien in Europa und Amerika haben Arbeiten von dort gezeigt und erworben. In Hamburg waren sie 1966 in einer großen Ausstellung des Kunsthauses zu sehen und zu bestaunen. Resümee: Jugoslawien gilt heute als die große Domäne der naiven Kunst.

Diese naive Kunst hat noch aus den verebbenden Strömen alter Volkskunst schöpfen können ? meist unbewußt. Die Vergangenheit ist nicht völlig abgebrochen, die Formen bogumilischer Strkophage, serbischer Bauerngrabsteine, geschnitzter Hirtenstäbe, gestickter und gewebter Bauerngewänder, hinter Glas gemalter Votivbilder leben bis in unsere Zeit fort" (Behalji-Menn). Am Beispiel Hlebine läßt sich überdies noch ein dörfliches Gemeinschaftsgefühl als belebendes Moment ablesen.

Daß die Bauern im Dorf an der Drau heute den Pflug und den Pinsel oder das Schnitzmesser gleich gut führen können, hat einer aus ihrer Mitte ihnen vorgemacht: Ivan Generalic (1914 geboren) Er war sechzehn, als der Maler Krsto Hegedusic aus Zagreb ihn lehrte, sein Talent zu nutzen. Davon lernten die anderen. Die nächste Generation wuchs mit hinein, während der Mußestunden und zur arbeitsruhigen Winterzeit die ländliche Welt, den mühsamen Alltag, die Feste, Bräuche und die Träume vom Leben ins Bild zu bringen.

Hlebine, das in seiner bäurischen Künstlerliste nun dreimal den Namen Generalic verzeichnet, hat ? mit tüchtigem offiziellem Beistand ? weit über die Dorfgrenzen hinaus Schule gemacht. So ergeben sich viele Querverbindungen weit ins Land und auf die Inseln.

Die in Zagreb etablierte "Galerie der naiven Kunst" widmet sich höchst aktiv der Mittlerrolle. Sie weiß genau, daß ? in Hlebine und anderswo ? auf Leinwänden mehr zu ernten ist als auf den Äckern. Der internationale Kunstmarkt steht dafür offen und bucht sehr hoch ? wie im Falle Generalic.

Daß aber die kommerzielle Seite trotzdem nicht die ausschlaggebende zu sein braucht, beweist die vom Dubrovnik-Festival gemeinsam mit der Zagreber Galerie veranstaltete Ausstellung "Naive 68". Sie fasziniert die Besucher aus aller Welt. Sie ist der gelungene Auftakt für den geplanten Zyklus einer internationalen Dokumentation der naiven Kunst von heute. Obleich nur ein jugoslawischer Ausschnitt, Kroatien und Dalmatien mit dem Schwerpunkt Hlebine, aufgeboten wird: Fast fünfzig Maler und Schnitzer, gut gewählt, sind angerückt ? auf die Mode noch nicht eingefuchst, ob davor gefeit, wer weiß . . .

Beim Betrachten von Ivan Rabuzins Gemälde "Meine Welt" kommt einem das im Frühjahr in der Galerie Mensch ausgestellte Hamburg-Bild des jungen Franjo Klopotan in den Sinn: die Hansestadt in die Baumkrone gebettet. Klopotan stammt aus der Nähe Zagrebs.

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In der Kunsthalle Bremen hat man momentan gute Gelegenheit, sich über die Naive Malerei aus Jugoslawien zu informieren. Die Sonderausstellung wird noch bis zum 8. September gezeigt.

PAUL THEODOR HOFFMANN