Rotterdam, 25. März Um 22.3“ Uhr brach gestern abend im Rotterdamer Fejenoord-Stadion die tragischste Minute für den 1. FC Köln im Europapokalkampf gegen den Liverpool FC an. Denn in diesem Augenblick, nach einem 2:2 in 120 Minuten, nach einem dramatischen, erregenden und brillanten Kampf, warf der belgische Schiedsrichter Schaut zum zweiten Male eine Medaille hoch (beim ersten Hochwerfen blieb die Medaille im Boden stecken), die auf det einen Seite weiß, auf der anderen rot war, also die Farben der spielenden Mannschaften hatte. Aus einem Knäuel von Spielern rissen plötzlich die roten Liverpooler die Arme hoch. Das Los hatte die Entscheidung zugunsten der Engländer getroffen, die 22 Männer in insgesamt 300 'Minuten Fußball nicht herbeizuführen vermochten.

Nicht der Deutsche Meister, der 1. FC Köln, sondern der Liverpool FC Ist nun der Gegner von Internarlonale Mailand in der Vorschlußrunde um den Europapokal. Eintracht Frankfurt (war sogar im Finale gegen Real Madrid),, der Hambur-

Sie meinten vor allem die Szene, als der lange englische Mittelläufer Yeats, der nach einer Regelwidrigkeit von Löhr den Kölner Stürmer mit einem Boxhieb zu Boden streckte. Der Belgier Schout aus Antwerpen, der zum erstenmal ein Europapokalspiel pfiff, bisher überhaupt nur zweimal in einer Internationalen Begegnung als

Schiedsrichter eingesetzt war, schickte Yeats nicht vom Platz.

Nachher behauptete Schout: "Ich habe nichts gesehen." Auf den Einwand eines Journalisten, der Linienrichter habe ihn darauf aufmerksam .gemacht, meinte ? Schout: "Diese Sache geht mich nichts an, . für mich ist, entscheidend, vras fch gesehen Habe." .SchjMJl Ber^ahtn sich auch unmöglich, ,:.'als er spftwf einen Kölner Spieler nach '.'j. feinem Strlfrunl 'den Ball beim Einwurf ? ttftit deh Hipäen zu Boden stieß.

'i'Af Dinn-dWjlnistrlllene Tor für die K61-

ner in d"r*W. Minute, das den Sieg bedeutet hüt^e.! Linksaußen Hornig erzielte ??*%?. Doch n)d|ten in den Jubel platzte die - EntschelduM des Schiedsrichters: ?Kein

Tor, Freistoß für Liverpool." Auf der Tribüne war nicht zu erkennen, daß jemand "In Foul begangen hatte. Doch Schout hatte auch für diese Entscheidung eine A g"r SV und Borussia Dortmund blel- A Ben damit die einzigen deutschen A Mannschaften, die im Europokal das Jj Semifinale schafften.

Der gan&e Irrsinn einer solchen Entscheidung wurde im Rotterdamer Stadion off eftbar; denn das Los hat nichts mit sportlicher Gerechtigkeit zu tun. Es ist allerdings nicht das erstemal, daß ein Los die fhtscheidung herbeiführte. '.Bereits im Law Jder Jetzigen Europapokalrunde wurde Mderjecrit Brüssel nach, einem dritten Kaijjjfrf In Barcelona gegen den AC Boje- ,' gna löbenfalls "Sieger" durch das Los. ' '

Wahrend die Engländer anschließend ja-* beltjfti; sich ' urnhalsten, immer wieder dl" Hände hochrissen, faßten die Kölner ein- " fach nicht* was. geschehen war. In der Kabine brachen die Spieler in Tränen aus. "Dieser Schiedsrichter", so haderten sies "er hat uns das Genick gebrochen." Erklärung: "Sin einwandfreies Foul, ich hatte gepfiffen, ehe der Ball im Tor war."

Die eigentliche Tragik der Kölner Mannschaft begann schon weit früher, nämlich in der 24. Minute. Bei einem unglücklichen Zusammenprall verletzte sich der linke Läufer Weber'schwer. Weber blieb liegen, wurde behandelt, schließlich vom Platz geführt. In diesem Augenblick waren die sonst so cleveren Kölner ein wenig kopflos. Jeder schaute nur auf den verletzten Mann, anstatt gleich die - Deckung neu zu organisieren, einen Stürmer zurückzuholen. Die Engländer nutzten die Ver- . wirrung eiskalt. Während Weber in die Kabine getragen wurde, erzielte Mittelstürmer St. John das 1:0 für den Liverpool FC.

Das 2:0 nach einem krassen Fehler von Torwart Schumacher fiel in der 27. Minute. Der Pechvogel Schumacher drückte einen Kopfball des Liverpooler Stürmers Hunt gegen die Torlatte und berührte dabei den Ball so unglücklich, daß dieser mit Effet ins Tor sprang.

- Es stand 2:0 für den Liverpool FC, als der 1. FC Köln nur zehn Spieler auf dem Feld hatte.

Man befürchtete bereits eine Katastrophe. Doch nun demonstrierte der 1. FC Köln, was er kann, was seine spielerischen und kämpferischen Qualitäten wert sind. Mit zehn Leuten fiel das 2:1 durch Thielen, und als der mühsam humpelnde Weber in der zweiten Halbzeit wiederkam, hieß es schon nach drei Minuten durch einen, tollen Schuß von Löhr 2:2.

Das Rotterdamer Stadion schien nun förmlich aus den Fugen zu gehen. Leidenschaftlich feuerten die sicher 15 000 Deutschen die Kölner Mannschaft an, selbst die holländischen Zuschauer, die anfänglich gegenüber Köln ein wenig reserviert waren, gingen begeistert mit. Der neben mir sitzende holländische Kollege versicherte ein um das andere Mal: "Eine wunderbare Mannschaft, sie spielt so großartig, daß man ihr den Sieg gönnen muß."

Aber dem 1. FC Köln fehlte gestern abend das kleine Quentchen Glück. Wolfgang Overath,- der meisterhafte Regisseur des 1. FC Köln, meinte hinterher, als ihm noch, Immer die Tränen in den Augen standen: ?Mit einer kompletten Mannschaft hätten die Engländer nichts gesehen. Es ist furchtbar, auf diese Weise zu verlieren. Das haben wir doch nicht verdien't.

Man muß dem 1. FC Köln bescheinigen, daß, er den deutschen Fußball in Rotterdam würdig vertrat und ein großartiger Repräsentant gewesen* ist. Geradezu phantastisch, wie sich die angeschlagene Elf aufbäumte, wie sie nervenstark genug blieb', um anzugreifen, zu kontern, .Schade^ daß die übrigen Stürmer nicht genügend Feuer und Mut besaßen, um Torchancen zu nutzen. Denn als Weber verletzt ausschied, mußte Overath linker Läufer spielen. Weber stand auch in der zweiten Halbzeit im Angriff, während Overath' aus der Läuferreihe meisterhaft die Fäden zog.

Mit einem bleichen Gesicht sah man Trainer Knöpfle vor dem Spiel im Kabinengang. Einer der Kölner Begleiter ahnte schon um diese Zeit Böses. Als ich ihm sagte, das Los könne vielleicht eine tückische Rolle spielen, wenn es wieder ein Unentschieden gebe, rechnete er gleich in Geld um und meinte: "Wenn es sich für Liverpool entscheiden sollte, kostet uns das 600 000 DM." Er meinte damit gewiß die Einnahmen aus einem Heimspieliu"

gegen Internazionale Mailand, das nun der Liverpool FC bekommt.

Als der Kampf im Hexenkessel von Rotterdam zu Ende war, eines der erregendsten Spiele der letzten Zeit ,überhaupt, hatte der 1. FC Köln zwar seinen Rekord reingehalten, noch nie ein Spiel in Holland verloren zu haben., Aber das Glücksspiel des Loses machte ihm einen dicken Strich durch die Rechnung der Hoffnungen.

/ Trainer Knöpfle war sehr gefaßt, y als er sagte: "Das Ganze hat doch nichts y mit Sport zu tun, es darf doch nicht A wahr sein, daß nach drei unentschiedey nen Spielen in genau fünf Stunden ein y Los entscheidet, eine Münze, wie sie. y Kinder zum Spielen nehmen. Wenn man y ein Elfmeterschießen als Entscheidung A herangezogen hätte, so würde Ich darin A noch einen Sinn sehen, weil das mit V Fußball ein wenig zu tun hat. Doch das y Los mit einer Münze ? es ist einfach A unfaßbar."

Dann fuhr Knöpfle fort: "Pech, daß die Mannschaft nicht sofort schaltete, als Weber verletzt wurde. Aber ich kann ihr keinen Vorwurf machen, ich kann auch Schumacher wegen des Fehlers beim zweiten Tor nichts nachtragen. Die Mannschaft hat doch den Rückstand aufgeholt, mit zehn Spielern aus einem 0:2 ein 2:2 geschafft, sie war im Spiel,. sie zeigte eine unwahrscheinliche Moral. Meine Männer tun mir leid. Doch wir sind nicht gebrochen!" Die Engländer freuten sich wie die Kinder über den "Los-Sieg". Aber Manager Billy Shankley, der sich so gern reden hört, hatte bereits -gestern große Sorgen: "In fünf Wochen müssen wir jetzt 16 Spiele austragen, und zwar in der Meisterschaft, im englischen Pokal und im Europapokal. Wie soll das eine Mannschaft nur aushalten?"

Es stimmt, der Liverpool FC hat dieses Programm zu erledigen, das einem Raubbau gleichkommt. Doch die englischen Profis, die am Sonnabend in der Vorschlußrunde 'des Pokals auf Chelsea London treffen, machten hinterher eigentlich einen recht vergnügten Eindruck. Sie sind längst keine Sklaven des Fußballs mehr, denn sie verdienen umgerechnet ? jedenfalls in Liverpool ? zwischen 3000 und 4000 DM im Monat. Selbst die reichlich konservativen Herren des Liverpooler Klubs haben für den Pokal eine große Summe als Prämie ausgesetzt.

- Deszö Solti, der aus Ungarn stammende sprachgewandte Wortführer von Internazionale Malland, sagte in Rotterdam: "Das war kein Fußballspiel, das war eine Schlacht. Der Schiedsrichter mußte Yeats vom Platz stellen, er hätte den Linksaußen noch mit wegschicken sollen. Uns aber fällt ein Stein vom Herzen. Liverpool ist uns jedenfalls lieber als die Kölner Mannschaft."

Der Kampf von Rotterdam, den 50 000 Zuschauer auf den Rängen und wahrscheinlich mehr als 100 Millionen an den FernsehschirnTen erlebten, wird einen gro- ßen Platz in der Geschichte der Europapokalkämpfe einnehmen. Für die Kölner wird er in schmerzlicher Erinnerung bleiben. Die Tragik in diesem Spiel erinnerte an Jene zehn Sekunden (!), die dem Hamburger SV 1961 im Spiel gegen den FC Barcelona fehlten, um das Endspiel gegen Benfica Lissabon zu erreichen. Denn zehn Sekunden vor Schluß kassierte der HSV damals ein überflüssiges Tor, das ein drittes Spiel notwendig machte, welches in Brüssel 0:1 verloren wurde . . .