Die deutsche Universität steht an einem Scheideweg. Kann sie mit ihrem traditionellen Gefüge brechen und der akademischen Ausbildung neue Wege weisen? Die Pläne für die neuen Hochschulen -zunächst Bremen und Bochum-weichen wesentlich vom alten Schema ab. Was Ist hfer im Entstehen? Dos Hamburger Abendblatt sprach mit Dr. Hans Werner Rothe, dem Verfasser desGutachtens für die Universität Bremen, und mit Prof. Dr. Hans Wenke, Hamburg, dem Vorsitzenden des Gründungsausschüsses für die Universität Bochum.

Zwei Überlegungen macheh die Dringlichkeit neuer Universitätsprojekte verständlich. Die Zahl der Studenten nimmt ständig zu, die Überfüllung der Hörsäle erregt die Gemüter mindestens zweimal im Jahr, zu Beginn des Sommer-Semesters und des Winter-Semesters. Die Klage will nicht verstummen, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen ein sinnvolles Studium kaum mehr möglich ist. Manche Klage ist indes auch unberechtigt und wird, allzu laut vorgebracht.

Die übervollen Hörsäle lassen sich jedoch nicht wegdiskutieren, auch nicht der Tatbestand, daß heute der persönliche Kontakt zwischen Student und Professor nur hoch selten zustande kommt. Die Universität ist zu einem kaum mehr überblickbaren Großbetrieb geworden mit allen Nachteilen menschlicher Art, die ein Großbetrieb in sich trägt.

Es kommt hinzu, daß die Professoren vom Wust des Technischen, von den Prüflingsverpflichtungen, von Vorträgen und Publikationen ziemlich bedrängt werden. Es muß aber sogleich auch gesagt werden, daß es viele und prominente Professoren gibt, die trotz der Fülle ihrer Arbeit nicht unerreichbar und unsprechbar sind.

Die Tür der Professoren ist keineswegs, wie oft gemeint wird, für den jungen Studenten versperrt, kommt er

nur mit einem gewichtigen und bedenkenswerten Anliegen. Trotzdem wird man sich nicht damit beruhigen dürfen, es komme eben alles auf die Person an, dann funktioniere der Appar rat schon. Die Reform ist dringlich und notwendig.

In anderen Ländern mit einer bescheideneren Kulturtradition mag eine Reform vergleichsweise leicht gelingen. Der Umbau muß nicht mit der Hartnäckigkeit ' der traditionalistischen Kräfte rechnen. In Deutschland liegen die Dinge anders. Hier gibt es eine festumrissene Universitätsidee, die von Wilhelm von Humboldt klassisch formuliert wurde. Humboldt war in der großen preußischen Reformperiode des vorigen Jahrhunderts ebenfalls mit der Gründung einer Universität befaßt, nämlich mit der 1810 gegründeten, FriedrtA-Wühelins-Umvwsität in Berlin. In vorbereitenden Überlegungen hat er die Einheit von Forschung und Lehre als das vorrangige Element einer Universität bezeichnet.

Dieser Gedanke, daß Forschung und Lehre In einer engen und unlösbaren Verbindung zu stehen haben, ist in Deutschland bei allen seitherigen Universitätsgründungen wohl bedacht worden. Auch bei den Universitätsneugründungen, vor denen wir jetzt stehen, wird diese Universitätsidee nicht verlassen werden. Nur gelegentlich meldeten sich in jüngster Zeit Stimmen, die von einer Trennung von Forschung und Lehre sprachen. Man dachte dabei an den zweigliedrigen Aufbau einiger amerikanischen Universitäten, Jn denen Forschung und Lehre auf zwei verschiedenen Ebenen betrieben werden.

Während man also einmal wesentliche Bestandteile der Tradition in die neuen Universitäten hinübernehmen will, hat man aber auch die Absicht, von der bisherigen Struktur abzugehen.

Der Plan für die Bremer Universität ist von Dr. Hans Werner Rothe abgefaßt Diesen Plan hat der vom Bremer Senat berufene Gründungsausschuß als Arbeltsgrundlage anerkannt, aber er stellt keine endgültige Fassung dar und engt die Initiative des Ausschusses für seine Ina einzelne gehenden Pläne nicht ein. Die von Rothe entworfene Universität ist vielfach abgekürzt als Campus- Universität bezeichnet worden. Was heißt das? Rothe hat In seiner Denkschrift diese Formel gefunden:

"Der Campus ist die aus dem Inneren Wesen der Universität heraus gestaltete Vereinigung aller Universitätsgebäude nebst Studentenwohnheimen und Sportanlagen am Rande der Stadt. Er liegt somit abseits vom Getöse des Verkehrs. Geistige Arbeit bedarf der Stille. Dennoch ist der Campus gegenüber der Außenwelt keine klösterlich abgeschlossene Anlage, sondern trotz seiner Abschirmung gegen den .Betrieb' der Großstadt eng mit ihrem Leben verbunden, ja, im wahrsten Sinne des Wortes weltoffen."

Hier treten innere und äußere Ver- änderungen der bisherigen Universitätsstruktur ziemlich deutlich zutage. Einmal wird die Universität als ge-

Studenten ungesellig?

Bei der Verwirklichung dieser Pläne wird man mit zu bedenken haben, daß ein großer Teil der Studenten zu den ungeselligen Menschen gehört, die sich ganz bewußt von -jeglicher Form des Gemeinschaftslebens distanzieren. Das ist kein Nachteil, man muß das nur klar sehen.

Sodann erscheint eine gewisse Nüchternheit in der Beurteilung der studentischen Selbstverwaltung geboten. Die Einübung in demokratischen Verhaltensweisen ist durchaus wünschenswert, man sollte aber die vielen gescheiterten Versuche schulischer Art bei übersteigerten Hoffnungen mit einkalkulieren.

Schließlich kommt es in diesem System auch darauf an, das ist eine billige Weisheit, die rechten Personen zu finden. Die Studenten sollen ja in den Wohnheimen nicht sich selbst überlassen sein, sondern Tutoren und Heimleiter-Dozenten sollen an dem Gemeinschaftsleben mittätig sein.

Die Wohnheime sollen unter "Leitideen" gestellt werden, so soll das Leben etwa unter die Idee des ?Musi-

Problem Erwachsenenbildung

Wir sehen schon an dieser Zielsetzung, daß in diese neue Universität Elemente eingebracht werden sollen, die bislang auf den Universitäten nicht vorhanden oder zuwenig berücksichtigt waren. In diese Richtung gehen auch die Überlegungen, wie man die Erwachsenenbildung in die Universität einfügen kann. Dabei geht es zunächst einmal darum, die Theorie der Erwachsenenbildung im Bereiche der Universitätsdisziplinen zu verankern und dann davon ausgehend der Erwachsenenbildung zu neuer und intensiver Gestalt zu verhelfen.

In unseren technischen Zeitläufen kann es sich eine Gesellschaft nicht leisten, ihre Mitglieder ohne die nötige Weltkenntnis und Weiterbildung zu lassen. Hier hat die Universität eine Aufgabe, der sie sieh nicht entziehen sollte.

Der Bremer Universität ist sodann das Problem zugewiesen, wie die in Bremen vorhandene Pädagogische Hochschule ein- oder angegliedert werden kann. Die Beziehungen von Universität und Lehrerbildung sind jedoch noch nicht bindend geklärt, so daß auch über die endgültige Form der Zusammenarbeit noch nichts gesagt werden kann. Der Gründungsausschuß wird aber an diesem Aspekt der neuen Universität nicht vorbeisehen.

In Bremen hält man an den traditionellen Fakultäten fest und hat aus finanziellen Gründen eine Technische Fakultät zunächst nioht vorgesehen. Grundsätzlich wäre die Ergänzung der Universität durch eine Technische Fakultät begrüßenswert, weil hier im

ständigen Kontakt auch von den Studenten, die keine technische Disziplin studieren, die technische Wirklichkeit erfahren wird und gewisse, wenn auch begrenzte Einsichten zustande kommen.

Aus diesem Plan, der eine geschlossene Konzeption zu verwirklichen sucht, wird man nicht viel herausläsen können, wenn der Geist, der dahinter steht, erhalten bleiben soll. Das schließt indes Korrekturen im Detail nicht aus.

Welche anderen Möglichkeiten die Neugründungen von Universitäten er- öffnen, wird in einem zweiten Beitrag deutlich werden, der sich mit der Universität in Bochum befassen soll.

JOACHIM H. KNOLL' ? *

Ein Bericht tibtr die Neugründung der Universität Bochum folgt.

schlossenes Gebilde verstanden, als eine "konzentrierte" Arbeitsgemeinschaft, die sich in Stille und Weltoffenheit verwirklicht, und dann will diese Universität bewußte Erziehungsstätte sein. Rothe hat daher die Formel "Lehre und Forschung" noch durch die "Bildung" erweitert. Ob diese Korrektur oder Erweiterung unbedingt notwendig war, mag bezweifelt werden, weil nämlich jeder Vorgang der Forschung und Lehre Elemente der Bildung in sich trägt, weil die Begegnung zwischen Professor und Student auch in der Distanz prägend zu sein vermag.

Rothe will sich aber von diesem automatischen Erziehungsbegriff lösen und der Universität direkte Bildungsaufgaben zuweisen. In diesem Zusammenhang sieht er u.a. eine Aktivierung der Studentenwohnheime vor. Etwa ein Drittel der Studenten soll in Wohnheimen untergebracht sein und sich an den dort durchgeführten Gemeinschaftsveranstaltungen beteiligen.

Die Studentenwohnheime sollen also mehr sein als nur billige und bequeme Aufenthaltsorte, die unverbindlich für jeden Mitbewohner sind. Hier werden die Studentenwohnheime in den Mittelpunkt der von der Universität zu leistenden Bildungsaufgabe gestellt, sie werden geradezu als das "Humanistische Zentrum der Universität", als "Kristalllsationspunkte eines zeltgemä- ßen studentischen Gemeinschaftslebens" bezeichnet.

Rothe hat diese Aufgabe der Studentenwohnheime in seiner Denkschrift noch näher ausgeführt: "Die Studentenwohnheime haben die Aufgabe, Erziehungshilfen zu geben, die es der jungen Generation ermöglichen, eine Verantwortung gegenüber den Mitbürgern zu übernehmen. Der Student lernt in der Heimselbstverwaltung, die zum Wesen eines Studentenwohnheims gehört, die Angelegenheiten des Heimes in demokratischer Weise zu ordnen und sich In die Gruppe der sehr verschiedenartigen Heimbewohner, zu denen grundsätzlich ausländische Studenten gehören sollten, einzufügen."

sehen", des "Sportlichen" und des "Politischen" treten. Hier gerät ein Bestandteil der neuen Universität in das Blickfeld. Es soll nämlich ? nach den Überlegungen Rothes ? die musische und sportliche Betätigung der Studenten aktiviert werden.

Das ist natürlich ? wie Dr. Rothe in unserem Gespräch versicherte ? nur im Sinne eines Angebots, einer Chance zu verstehen. Niemand kann und soll dazu gezwungen werden, sein Studium in dieser Richtung zu ergänzen. Aber es muß gegenüber den bisherigen Universitäten ein erhöhtes Angebot solch musischer und sportlicher Möglichkeiten bestehen.