Es trennen uns fast zweieinhab Jahrtausende von diesem Stoff. Und es ist eine phantastische Perspektive, daß er uns und unserer jüngsten Vergangenheit auf den Leib geschrieben zu sein scheint, von einem Griechen ? Aischylos ? , der an der Vernichtungsschlacht von Salamis (480) als Kämpfer teilgenommen hat und als der erste der großen Dramatiker der Weltgeschichte die Tragödie der Niederlage eines Welteroberers ? des Perserkönigs Xerxes ? geschrieben hat. Es ist die Tragödie der Hybris eines Sieggewohnten, der schon damals auf seine Fahnen geschrieben hatte: Wir kapitulieren niel Wo ist diese Fahne geblieben, wo Xerxes, wo der Manr\ der sie zu unserer Zeit über den Trümmern

der Hoffnungslosigkeit aufpflanzte?

Daß man aus den Jahrtausenden der geschriebenen Geschichte so wenig zu lernen weiß, ist die grausige Lehre, die der siebenundzwanzigjährige, sicherlich also schuldlose deutsche Nachdichter Mattias Braun in uns erneuern will. Er hat das "Zeitstück" des Aischylos, statt es Satz für Satz zu übersetzen, mit großer sprachlicher Kraft und leichter Veränderung in der Motivierung an unser Verständnis angepaßt hat, so daß die Tragödie des Aischylos nun ein Zeitstück für uns geworden ist. Das ist ein Verdienst, und dieser junge Nachdichter ist gewiß mehr ajs ein Philologe: er ist ein Dichtert^-f-r- ??; < ' ?

Die Naxh- oder Neudichtung Mattias Brauns -- soeben im S. Fischer Verlag veröffentlicht ? führt uns in die persische Stadt Susa, in der die Daheimgebliebenen die Botschaft von der Niederlage ? dem Untergang Persiens ? mit Schrecken erwarten, aber von dem Statthalter des Xerxes und dann auch von dem geschlagenen König selbst mit brutalen Durchhaltemethoden gezwungen werden, bis zur Selbstvernichtung weiterzukämpfen. Selbst Atossa, die Mutter des Königs, mitschuldig, aber durch Gedanken ver- ändert und sehend geworden, kann den Untergang des persischen Volkes nicht aufhalten, den ihm seine Tyrannen bereiten. Ihre letzten Worte wenden sich unmittelbar an uns: In solchem Elend vergingen wir. Wir waren eine große Zeit. Vielleicht, wenn andere nach uns kommen, finden sie in Trümmern Zeichen dessen und erschaudern . . .

Die Erstaufführung dieser Tragödie, dieses klassischen Zeitstücks in den Hamburger Kammerspielen läßt allerdings unentschieden, ob es sich auf der Bühne unserer Zeit zu halten vermag. Wir möchten es glauben, obwohl uns die mit zu schwachen Kräften unternommene Anstrengung der ? auch räumlich ? unzureichenden Bühne an der Hartungstraße Unrecht zu geben scheint. Wir sehen nur zwei Darsteller, die ihrer im Sinne des Theaters zeitlosen Aufgabe in etwa gewachsen sind. Das sind Ida Ehre als Atossa und Richard Lauffen als der Geist des Dareios, deren Sprachkultur ausreicht, um einen dichterischen RauriY zumindest in ihrer großen Szene mit Imagination zu füllen.

Alle übrigen Darsteller bleiben in diesem Punkte fast alles schuldig, was um des Gegenstandes willen sehr zu bedauern ist. Offensichtlich gehört das Stück auf eine große Bühne, die nicht nur Kraft, sondern auch Kräfte hat, um Theatertypen mit Leben zu erfüllen. Wilhelm Allgayers Regie hat nicht ausgereicht, um aus Fabian Wander einen Xerxes, aus Frank Rehfeldt einen Statthalter (statt einer Uniform), aus Georg Thomas einen Boten zu machen, der die unerhörte Botschaft von der Katastrophe von Salamis zu einer Katastrophe auf dem Theater werden läßt.

Die Aufführung ist szenisch und sprachlich nicht sorgfältig genug gegliedert. Das Bühnenbild Ferdinand Bertrams erfüllt erst im Verlöschen seine Aufgabe. Die Bühnenmusik Sonder-Mahnkens ist mit ihren elektronischen Effekten noch am ehesten zu rühmen. Im ganzen also eine ungleichmäßige Aufführung, die vom Premierenpublikum zwar mit großem Respekt, aber ohne Enthusiasmus aufgenommen wurde. Soll man Ida Ehres großen Mut nun bewundern oder tadeln? Walter m. herrmann