Berlin zeigt sich unerschütterlich. Mitten im härtesten politischen Streit um die zukünftige Situation der zur Zeit wichtigsten Stadt der westlichen Hemisohäre werden am Freitag zum elften Male die Internationalen Filmfestspiele Berlin eröffnet. Fünfundvierzig Nationen werden sich an dem Wettbewerb um den “Goldenen Bären“ und andere Auszeichnungen beteiligen. Auch die Stars lassen die Berliner nicht im Stich. Angesagt haben sich Ingrid Bergman, Sofia Loren, Gina Lollobrigida, Lana Turner, Ulli Palmer, Jayne Mansfield, Shirley McLaine, Antony Perkins, Charlton Heston und Horst Buchholz. Rußland aber lehnte ab.

Die Eröffnung in der Kongreßhalle steht im Zeichen des amerikanischen Streifens "Romanoff und Julia" mit Peter Ustinov als Hauptdarsteller. Amerika ist femer mit drei weiteren Filmen beteiligt: Shirley McLaine spielt im "Fehltritt" (Two Loves), Fred Astaire. Lilli Palmer und Debbie Reynolds sind die Hauptdarsteller des von George Seaton inszenierten Films "In angenehmer Gesellschaft". Politische Akzente weist "Frage 7" auf, ein Film, den Louis de Rochemont im Auftrage amerikanischer und deutscher Kirchenstellen gedreht hat. Er behandelt die religiösen Fragen im sowjetbesetzten Mitteldeutschland.

Mit größtem Interesse werden die Uraufführungen aus Italien und Frankreich erwartet. Jean-Luc Godard, beim vorjährigen Festival mit "Außer Atem" preisgekrönt, stellt einen neuen Versuch der "Neuen Welle", diesmal in Farbe und Cinemascope, vor, einen Film um das Schicksal einer Striptease-Tänzerin, die Godards Frau Anna Karina spielt. "Eine Frau ist eine Frau" ist mit dem "Außer Atem"-Hauptdarsteller Jean-Paul Belmondo und Jean- Claude Brialy besetzt. Die Franzosen bringen außerdem einen historischen Kostümfilm "Amelie oder die Zeit zu lieben" ? Besetzung mit Jean Sorel, Michel Drach und Marie-Jose Nat nach Berlin.

Die wichtigste italienische Novität dürfte ein Pendant zu Fellinis "Süßes Leben" werden, der von Michelangelo Antonioni gedrehte Film "Die Nacht" (La Notte) mit Jeanne Moreau, Bernhard Wicki und Marcello Mastroianni. Ein kriminalpsychologischer Reißer wird mit dem "Mörder" ins Filmfestival kommen, der ebenfalls in der Hauptrolle mit Marcello Mastroianni ? und Micheline Presle ? besetzt ist.

Besonders gespannt ist man aber auf die Uraufführung des neuen Bernhard- Wicki-Films "Das Wunder des Malaehias", den wichtigsten Beitrag Deutschlands. Man fragt sich, ob Wicki seinen großen "Brücke"-Erfolg wiederholen

wird. Neben diesem zeitkritischen Film steht der von Wolfgang Mueller- Sehn inszenierte deutsche Dokumentarfilm "Traumland der Sehnsucht".

Verfilmtes Theater werden die Schweiz, Griechenland und England bieten. Kurt Hoffmanns Verfilmung von Friedrich Dürrenmatts Schauspiel "Die Ehe des Herrn Mississippi" mit den prominenten Darstellern Johanna von Koczian, O. E. Hasse, Martin Held und Hansjörg Felmy kommt aus Zürich, Athen entsendet die sophokleische "Antigone" mit Irene Pappas, und London wird Shakespeares "Macbeth" mit dem Broadway-Darsteller Maurice Evans und Judith Anderson präsentieren. Die Engländer bringen wie im Vorjahr auch einen jeitpolitischen Streifen: diesmal den von Ralph Thomas mit Peter Finch in der Hauptrolle gedrehten Film "Und morgen alles", der hinter die Kulissen der englischen Wahlpropaganda und Unterhaus - Manöver leuchtet.

Interessante Filmuraufführungen sind von den übrigen Nationen angekündigt. Österreich schickt die Burgtheater-Verfilmung des Schillerschen "Don Carlos", Finnland das Liebesdrama "Die feuerrote Taube", Korea den Spielfilm "Der Kutscher", Nationalchina (Formosa) den Film "14 000 Zeugen" (Mittelpunkt der Handlung die kommunistischen Gefangenen aus dem Koreakrieg), Japans Starregisseur Akira Kurosawa beteiligt sich mit dem 4 123 Meter langen Spielfilm "Männer ohne Gewissen", Brasilien mit "Das Ende der Cangaceiros", Argentinien mit "La Patota" mit Mirtha Legrand als Hauptdarstellerin, Indien schickt "Die Liebe der Anuradha", Holland den von Föns Rademakers (Regisseur des 1960 mit großem Beifall aufgenommenen Films "Das Dorf am Fluß") gedrehten Streifen "Wenn es euch nicht von Herzen geht" und Israel den langen Dokumentarfilm "Beschreibung eines Kampfes".

Drei "Retrospektiven" werden die elften Berliner Filmfestspiele mit früheren Beispielen avantgardistischer Filmkunst flankieren. Produktionen von Richard Oswald ? darunter "Alraune" mit Brigitte Helm, Albert Bassermann, Agnes Straub und Harald Paulsen ? , Billy Wilder ? darunter "Ariane" mit Audrey Hepburn und Gary Cooper sowie "Boulevard der Dämmerung" mit Gloria Swanson ? und Akira Kurosawa werden zahlreiche Filmfans anlocken. H.W.