“Tempo - Vernunft - Freiheit!“ Unter dieser Devise soll die Baupolitik in Hamburg für die nächsten vier Jahre stehen. Die beiden neuen Bausenatoren, Bürgermeister a. D. Dr. Paul Nevermann und Rudolf Buch, berichteten dem Hamburger Abendblatt über die Pläne, die in nächster Zeit verwirklicht werden sollen.

Die meisten Pläne der beiden Bausenatoren müssen noch vom Senat und der Bürgerschaft genehmigt werden. Das gilt für alle Vorhaben, die Geld kosten. Drei Maßnahmen aber erfolgen schon in den nächsten Tagen. Es sind reine Verwaltungsanordnungen. Sie sollen Hindernisse aus dem Wege räumen, die heute noch die Bautätigkeit hemmen.

"Tempo"! Der erste Teil der Devise der neuen Baupolitik wird durch diese Maßnahme in die Tat umgesetzt: Jeder Bauantrag muß in den Bauprüfabteilungen der Bezirks- und Ortsämter binnen vierzehn Tagen entschieden werden. Anderenfalls ist die Verzögerung mit exakter Begründung dem Bausenator zu melden.

Diese Anordnung beendet das Hürdenrennen über eine Vielzahl von Instanzen. Ein Beispiel: Bisher ging der Antrag zur Einzäunung eines Behelfsheimes ? wie jeder andere Antrag ? durch vierzehn verschiedene Dienststellen. Darunter auch die Stadtplanung, die Feuerwehr und die Stadtentwässerung. Instanzen, die mit der Genehmigung für den Zaun überhaupt nichts zu tun haben. Künftig entscheidet die Bauprüfabteilung allein darüber.

"Vernunft"! ? sie kommt in der ?weiten Anordnung zum Ausdruck. Der Inhalt: Bewohnbare Behelfsheime dürfen nur dann beseitigt werden, wenn das Gelände in allernächster Zukunft bebaut wird.

Mit diesem Schritt soll die in letzter Zeit betriebene "Räumung von Behelfsheimen auf Vorrat" beendet werden. In unzähligen Fällen wurden Behelfsheime auf Grundstücken abgerissen, die zwar laut Aufbauplan zu Wohn- oder Industriegebieten gehören, deren Bebauung jedoch noch in den Sternen steht.

"Freiheil"! ? Unter diesem Moyo will die Baubehörde künftig der Initiative von Bauherren und Architekten mehr Spielraum lassen. Die Bauprüfabteilungen werden angewiesen, die Erteilung der Baugenehmigungen nicht länger von der Erfüllung allzu starrer "lokalpatriotischer" Auflagen abhängig zu machen.

Auch hierzu ein Beispiel: Weil es in einer Straße in Iserbrook nur Häuser mit Spitzdach gibt, genehmigte die Bauprüfabteilung bisher kein Haus mit Pyramidendach. Diese ..Geschmacksdiktatur" soll jetzt durch eine Politik der leichten Hand abgelöst werden. Das heißt- Pyramidendächer werden in Spitzdachstraßen erlaubt, wenn der Bau harmonisch in das Bild paßt.

Die Reklame gehört ebenfalls zum Thema "Freiheit"! Nicht länger soll es vorkommen, daß einzelne Ortsämter eine moderne und geschmackvolle Außenwerbung ablehnen, weil sie an Reklamegrundsätzen aus Großvaters Zeiten festhalten. Allerdings wird es auch keine hemmungslose Freizügigkeit für die Reklame geben.

Eines der schwierigsten Probleme für die Baubehörde ist der Wohnungsbau. Beide Senatoren sind sich darüber einig, daß auch in den kommenden vier Jahren wieder insgesamt 100 000 Wohnungen in Hamburg gebaut werden müssen.

Nur mit Hilfe eines neuen Systems der Finanzierung und der Mieteberechnung kann der Stand des sozialen Wohnungsbaues gehalten werden. Die Überlegungen, wie das neue System aufgebaut werden kann, laufen noch.

Besonders prüfen die Experten, ob man die Mieten nach dem Einkommen staffeln soll. Das hieße: Je mehr ein Mieter verdient, um so höher ist die Miete.

Was Vater Staat für sich selbst bauen wird, das ist eine noch sehr offene Frage. Die neuen Bausenatoren bringen keine Pläne mit. Sie wollen erst einmal untersuchen, wieviel Platz die Verwaltung überhaupt noch braucht. Dann erst werden die Pläne ausgearbeitet. Man. will sehr sparsam sein mit dem Geld der Steuerzahler.

Einer der Schwerpunkte bei der Arbeit der Baubehörde wird auf dem Verkehrssektor liegen. Der Bogen ist ? wie schon auf Seite 1 kurz beleuchtet ? weit gespannt.

Der Verkehr! Er stellt für jeden Bausenator ein fast unlösbares Problem dar. Die Industrie fabriziert mehr Fahrzeuge als der Staat Straßen bauen kann. Dennoch: Beide Bausenatoren gehen mit viel Optimismus, Vernunft und auch neuen Ideen an die Bewältigung dieses Problems.

Das entlastet den Verkehr wesentlich: Keine Straßenbahn soll mehr auf den ausgebauten "Radialstraßen" fahren! Das Hamburger Verkehrshindernis Nr. 1 wird durch Omnibusse ersetzt. Neue Straßen bahnen sollen grundsätzlich nicht mehr für Hamburg bestellt werden.

Und auch diesen Entschluß werden die Hamburger begrüßen: Es sollen mehr Busse auf (besseren) Straßen eingesetzt werden. Man will mit der Abschaffung der Straßenbahn nicht warten, bis die neuen U-Bahn-Linien gebaut sind.

IEin erster Versuch ist schon für das nächste Jahr geplant: Die Straßenbahnlinie 18 soll durch Busse ersetzt werden!

Ein heiß.es Eisen: der U-Bahn-Bau. Viel läßt sich darüber noch nicht sagen. Die Baubehörde wird die bisherigen

Der Hauptgedanke: Grundsätzlich soll in Hamburg mit dem Ausbau einer Straße nicht mehr an x-beliebig vielen Stellen angefangen werden.

Jetzt sollen ganze Straßenzüge auf einmal neu gestaltet werden. Vor allem die "Radialzüge", die von der Innenstadt in die Außenbezirke führen.

Das sind die vier Straßenzüge, die in den nächsten vier Jahren an die Reihe kommen:

9 Ost-West- Achse: Vollständiger Durchbruch vom Zeughaus- bis zum Deichtormarkt.

- Verbindung Ost-West-Straße ? Norderelbbrücken: Ein weiterer Durchbruch vom Deichtormarkt über die Neue Amsinck- bis zur Zwei-Brücken-Straße. Voraussetzung ist die sofortige Verlegung des Deichtormarkts, die noch in diesem Jahr beginnt.

- Landstraße 77 (Schneisen ? Innenstadt).

- Verbindung Sechslingspforte ? Heidenkampsweg.

Baumethoden unter die Lupe nehmen. Bessere und weniger kostspielige Wege, die schneller zum Ziel führen, werden gesucht. Denn: Der U-Bahn-Bau muß forciert werden.

Eines hat sich schon in der Vorstellung der Bausenatoren herauskristallisiert: Wie beim Straßen-, so wird man auch beim U-Bahn-Ban in Zukunft nicht mehr an verschiedenen Streckenabschnitten

zugleich beginnen. Vielmehr wird ein längerer Abschnitt zugleich gebaut. Auf diesem Teilstück soll der Betrieb aufgenommen werden, sobald es fertig ist.

Noch eine Möglichkeit zur Verkehrsentlastung. Es ist das sogenannte ..Paikand-Ride-System", die Anlage großer Parkplätze für Personenwagen am Rande der Innenstadt, auf denen die Autofahrer in Kleinbusse für die Weiterfahrt in die City umsteigen.

Zum Schluß ein Plan für die weitere Entlastung der Innenstadt- Straßen. An den großen Schnellbahn-Haltestellen am Stadtrand sollen Großparkplätze für 2000 bis 3000 Autos angelegt werden. Der Sinn: Die Kraftfahrer sollen nur von der Wohnung bis zur Haltestelle mit dem Wagen, dann mit der Bahn in die Stadt und weiter mit dem Bus zur Arbeitsstelle fahren.

WERNER LÜCHOW