Als Erich Liebenow in die lastende, ; dumpfe Stille des Saales trat, das glei- ßende Licht ihm in das fahle Gesicht fiel, während die Zuhörer sekunden- , lang den Atem anhielten, da er durch die kleine Tür schritt und sie alle dachten: das also ist ein Mörder, stieg über dem Saal in einer schaurigen Vision noch einmal jener Tag des 27. Oktober vor ihnen auf, an dem dieser farblose Mann seine beiden . Kinder Ingrid und Dietmar im Volksdorfer Kiebitz-Moor erwürgte.

So war es gewesen: Am Mittwochnachmittag kam Erich Liebenow von einem Ausgang nach Hause und emp- ' fing von seiner Frau die besorgte Mitteilung, daß die Kinder nicht da seien. "Es war ihm nicht so eilig mit der Suche: Er probierte erst einmal die Schuhe an, die er sich soeben vom Schuhmacher geholt hatte. Ruhig und : gefaßt, ohne Hast,' machte er sich auf i den Weg: Der gleiche Mann, der vor bald zwei Stunden seine beiden einzigen Kinder durch Buchenwald und Tannendunkel an eine versteckte Stelle ?gelockt hatte, um sie, hinter Dornen- * gestrüpp, mit den Händen zu packen ?"und zu würgen, der dann den G*iff f gelockert, und, da sie noch zappelten, 'wiederum zugedrückt hatte, bis die "eisernen Klammern seiner Finger das ? -letzte Leben erstickten ? dieser gleiche ? Mann ging nun auf Suche, durch die ?? Nacht, zu Nachbarn, zur Polizei, über- | allhin ? nur dorthin nicht, wo die bei- "den Leichen, von ihm mit Reisig zu- . geworfen, reglos lagen.

'* Nun also stand dieser Mensch im {Gerichtssaal. Blitzlichter, Lösen der Handfesseln, Eintritt des Gerichts. Liebenow erzählt sein Leben. Ich blicke 1 ihn an: Blond ist er, mit lichten Ecken, ttief liegen die Augen, kleine, kalte Augen. töie Nasenspitze leicht nach oben gestülpt, die Oberlippe vorgeschoben. j-Schmal, fast zierlich gewachsen. Nicht "der Abglanz der Seele schimmert auf Gesicht, nicht Pein und Not =*und Qual des Gewissens ? nichts. Und -i'dann sinken meine Blicke an ihm /?herab bis zu den Händen, die weiß und bläulich geschwollenen Adern, Klangen, harten Fingern aus den Armein 1 stoßen. r ?

1914 in Berlin geboren. Volksschule, Friseur gelernt, 1935 zur allgemeinen Wehrpflicht einberufen, dann Berufssoldat geworden, Marsch durch den Osten und Westen, 1940 Heirat, 1944

letzter Heimaturlaub, 1945 nach Volksdorf verschlagen. Während er von seiner Frau und den Kindern nichts wußte, fand er in Volksdorf eine gute Stellung bei dem Friseurmeister Pankow und eine Wohngelegenheit bei den Eltern jener Frau v. Maltitz, die er liebte und verleugnete, begehrte und schmähte in einem.

Das doppelte Leben

Liebenow suchte seine Familie und fand sie. Edith Liebenow kam nach Volksdorf zu Besuch, wohnte bei der Rivalin, ohne es schon zu ahnen, fuhr dann zurück nach Berlin und schrieb "Brandbriefe", denn das Leben war damals teuer und sie selbst gerade keine besonders sparsame Hausfrau. Liebenow schickte Geld. Sie brauchte mehr, und so kam es zu zwei grotesken, fast tragikomischen Zwischenfällen. Frau v. Maltitz schrieb an Frau Liebenow auf Liebenows Veranlassung einen Brief, daß er auf ihr Drängen hin nach Berlin gegangen und von den Russen geschnappt sei. Die,se Sätze beschlossen den Brief: "Sie haben ihn in die Arme der Russen geschickt! Ach, Sie sind ja nicht wert, einen solchen Mann zu besitzen!" Und Frau Liebenow revanchierte sich mit einem Telegramm: "Edith schwer erkrankt. Mutter" Liebenow begab sich nach Berlin: sie war sowenig krank, wie er in den Händen der Russen. Das alles war Anfang 1946. Liebenow lebte in Volksdorf wieder mit Frau v. Maltitz, als im Herbst des Jahres seine Frau mit den beiden Kindern ankam und blieb.

Die Rivalinnen

vor dem Richtertisch

Zwei Jahre lang nun lebte Liebenow von einer Lüge zur anderen, zwischen und mit beiden Frauen, versicherte der einen wie der anderen seine Liebe, wollte sich von der einen und von der anderen trennen. Es brach auf, was so lange in ihm geschwelt, die Flamme des Hasses, die Verwandlung des kleinen, fleißigen, soliden Bürgers, als der ihn sein Chef schildert, in den Moloch Mensch. Er wollte alles, ; die Frau, das Heim, die Gemütlichkeit, die Versorgung, aber aiich Stillung der Begierde, Flucht vor Konflikten und Sorgen, die es zu Hause gab. Dann ging er zu Frau v. Maltitz ...

Klein, bleich, dunkel gekleidet, so trat die vor kurzem geschiedene Frau Liebenow an den Richtertisch. Sie sah den Mann nicht einmal an. Vielleicht spürte sie schaudernd die unmittelbare Nähe dessen, den sie einst geliebt und der dann ihre Kinder getötet. Sie sprach von ihm nur als dem "Angeklagten".

Schlag auf Schlag kamen ihre belastenden Aussagen: "Am Tage der Tat hat er mich mittags am Hals gepack^ und gewürgt. Ich sagte: ?Das geht ziemlich schnell." Sollte das die "Generalprobe" der Mordtat gewesen sein?

Weiter: "Er hat mich gefragt, ob man Fingerabdrücke am Fleisch feststellen könnte."

Weiter: "Er sann immer nur auf Geld, diskutierte mit mir über kleine Diebstähle und ob man nicht mit Mädchen auf Tanzvergnügen gehen und ihnen dann ihre Ringe abnehmen könnte oder einmal einen reichen Juden erschlagen." Und bei der überflüssigen Unterhaltung über diese böse Redensart von dem "reichen Juden" geschieht das Grausige, Einmalige in diesem Prozeß: Liebenow lächelt.

Konflikte der Ehe, der Erziehungsfragen tauchen auf, Liebenows maßlose Eifersucht, die dem gleichen Egoismus entsprang wie der Brief, den er aus der Untersuchungshaft an seine Frau schrieb,

daß sie ihm viel Tabak und 25 bis 30 DM schicken möge, klar ist auch das: die Kinder waren ihm zuweilen läst^, besonders der Junge . . .

Vor und nach der Tat

Und dann stand da die andere, Helga von Maltitz, blond, schlicht, tapfer zur Wahrheit entschlossen, vor dem Richtertisch: "Hätte er e i n m a 1 gesagt, daß er seine Frau liebt, so wäre ich zurückgetreten. Als ich das Kind von ihm erwartete, wollte er sich scheiden lassen." Es zuckt über das helle Gesicht der jungen Frau, als sie ? warum? ? von dem Vorsitzenden hören muß, daß Liebenow hier vor dem Gericht ausgesagt, sie sei eine Frau, die zwar eine Leidenschaft, aber keine Liebe wert sei." Es zeugte für die Haltung dieser Frau, daß sie auch danach sachlich und ohne blinden Haß blieb, zumal ihr der Angeklagte am 25. Oktober 1948, zwei Tage vor der Tat, die Beschimpfung ins Gesicht geschleudert: "Du bist eine ganz gemeine Schickse!" Zwei Tage nach der Tat kam er zu ihr gerannt, aufgeregt und verstört ? und was sagte er? "Ich glaube, daß es ein Lustmord ist!" Im Dschungel der Lügen irrte Liebenow umher.

Eishauch des Grauens, als Professor Koopmann den Sektionsbefund der kleinen Ingrid bekanntgab und dennoch in ihm das Licht eines ärmlichen Trostes: "Der Tod muß schnell eingetreten sein ? das Herzblut war flüssig. Schon beim ersten Griff kann Bewußtlosigkeit entstanden sein." Doch dann das andere Unfaßbare: "Zu einer Zeit, als das Herz des Kindes noch geschlagen hat, sind ihm die Verletzungen beigebracht worden, die wahrscheinlich ein Sexualverbrechen vortäuschen sollten. Ein Beweis für ein Sexualverbrechen selbst Uegt jedoch nicht vor."

Unbewegten Gesichtes stand Liebenow dann vor den Bildern der' Leichen. Mit steinerner Ruhe demonstrierte er den Hergang der Tat, wie er die Kinder ? eines mit der rechten, eines mit der linken Hand gepackt und die Finger zangengleich um die Kehlen geschlossen. Bilder von diesen Fingern gingen herum, denn Liebenow brachte sich 60 (!) Schnitte an den zehn Fingerkuppen bei, weil er glaubte, damit die Fingerspuren nicht mehr nachweisbar zu machen. Der Beamte der Mordkommission erzählte, wie Liebenow in der Leichenhalle aes Hafenkrankenhauses vor seinen Opfern stand: "Er blieb hart, es kam keine Träne."

Der zweite Tag

Am zweiten Verhandlungstag sagte Prof. Koopmann in seinem psychiatrischen Gutachten: "Liebenow war immer ruhig, freundlich, ansprechbar, zugänglich, denn Mörder sind oft nette Menschen." Diese Feststellung steigerte dann Prof. Bürger-Prinz in seinem Gutachten zu eindrucksvollen Formulierungen und tiefsten psychologischen Erkenntnissen: "Der Mörder als Biedermann, mal Tränen, aber sonst flach, scheinbare Offenheit selbst noch in aer ewigen Lüge, sofort bereit, die gleiche Frau, die er zu lieben angibt, mit DrecK zu bewerfen. Als er sagte, er habe seine Kinder umgebracht, weil er sie als Hindernis auf dem Rückweg zum ersten Liebesglück mit seiner Frau sah, meinte er nicht das Glück der Frau, sondern sein eigenes. Liebenows Kindermord, ein Verbrechen ohne Beispiel. Verstrickt im Gestrüpp des verlogenen Daseins, vergreift sich der Feigling an den Schwächsten, denn bei Taten aus Schwäche gibt es nur die Vernichtung."

Beide Sachverständigen lehnten Bewußtseinstrübung oder mangelnde Zurechnungsfähigkeit kategorisch ab.

Ein Brief, soeben in den Gerichtssaal gebracht, wurde verlesen und rundete das Bild. Liebenow hatte bei der Arbeiterwohlfahrt in Volksdorf einen Antrag auf 250 DM für Trauerkleidung gestellt, wie er überhaupt überall für Flüssigmachung von Hilfsspenden gesorgt hatte. Er sann immer auf Geld. Seine Frau hatte es schon gesagt, der Psychiater es vielfach bestätigt gefunden. Auf diesen Ergebnissen der Beweisaufnahme und den Gutachten baute Staatsanwalt Dr. K i n z e sein Plädoyer auf, das zielstrebig und unpathetisch in dem Antrag auf Todesstrafe endete.

Percy Barbers "Jedermann"

Mit einer faszinierenden rhetorischen Leistung, einem fast' dreistündigen Plädoyer des Pflichtverteidigers Dr. Percy I Barber neigte sich der Prozeß Lieb"" nöw dem Ende zu.

"Als ich von dem furchtbaren Mord las, fragte ich mich: Würdest du, Percy Barber, wenn es sein müßte, diesen Liebenow verteidigen? Und ich antwortete mir selbst: ,Niem~.ls!' D.?.nn aber habe ich den Versuch unternommen, Weg, Tat und Leben von Erich Liebenow nachzuerleben. Ich wollte wissen: Ist er noch ein Mensch? Ist er em teuflischer Seitensprung der Natur? Ist er ein soziologisches Phänomen, ein Wrack der. Zeit? Und indem ich diesem rätselhaften Wesen nachspürte, fand ich einen Mann, der kein großer Held und kein großer Bösewicht war, sondern ein ?Jedermann", ein Verstrickter und Verwirrter, der zwischen sich und seiner Frau das Hindernis in den Kindern sah und an dem 27. Oktober, von geballten Affekten getrieben, in einer Kurzschlußhandlung, mit getrübtem Bewußtsein, die schaurige Tat beging."

Als nun der Verteidiger Liebenow" a Fleiß und Arbeitswilligkeit lobte, seine \ Fürsorge für diej'amilie, da weinte der Angeklagte, der ungerührt den Mord geschildert, versteinert vor den Bildern ? der. Opfer gestanden, stumpf die Tat demonstriert hatte, er weinte, weil ihn sein- eigenes Bild rührte, das der Verteidiger so zu entwerfen gezwungen war.

I Die Urteilsverkündung

Am Freitagabend um 19.18 Uhr betrat der Vorsitzende, Landgerichten* Dr. Ohlrogge, mit Richtern und Geschworenen den Saal. Stehend hörten die Menschen das Urteil, das Erleb Liebenow als Mörder zum Tode ver-urteilte. Das Gericht bejaht die Heimtücke des Verbrechens, denn er hat "He arglosen Kinder in hinterlistiger Webe hn Kiebitz-Moor erwürgt. Es bejaht die niederen Beweggründe, denn die Beweisaufnahme hat ergeben, daB Liebenow die Kinder tötete, um die Streitig" keiten um sie und die Geldausgaben für sie einzusparen. Es bejaht die Planung und den Vorsatz des Verbrechens.

nnd verneint die verminderte Zurechnungsfähigkeit oder Bewußtseins Störung.