Um gute Vorsätze zu erfüllen, muss niemand hungern. 2011 bringen immer mehr Modedesigner Kollektionen für „große Größen“ auf den Markt.

Maximal eine halbe Stunde braucht Loreen Schurr morgens im Bad, um sich für ihren Power-Tag mit Job und Abend-Gymnasium zu rüsten. Sie will Zahnmedizin studieren. Vorbilder hat sie keine, ihr Motto lautet: lieber selber machen. Statt stundenlang in Modezeitschriften zu blättern, verbringt die brünette Zahnarzthelferin aus Wandsbek ihre Zeit lieber mit Freunden. Die kennen sie in Jeans, Pulli und Ballerina.

Aber die 21-Jährige kann auch auf Vamp machen: mit hohen Schuhen, Netzstrümpfen und Seiden-Dessous, in denen ihre Kurven hervorragend zur Geltung kommen. Kurven? Jawohl! Loreen Schurr ist eins der Models, die für den Kurvenstar-Fashionkalender 2011 in Hamburg gecastet und von der renommierten Modefotografin Gabo fotografiert wurden.

Gerade wegen ihrer weiblichen Rundungen. Denn Sheego, Modehaus für Frauen mit großen Größen und Marke des Schwab Versands, suchte ausschließlich Frauen mit Konfektionsgröße 40 und mehr. „Es hat sehr viel Spaß gemacht“, sagt Loreen, die 1,66 Meter groß ist und Konfektionsgröße 40 trägt. „Und es war schön, die Bestätigung für mein Aussehen zu bekommen.“ Im Moment plagen sie ein paar Kilo zuviel an Hüften und Bauch, weil sie zu selten Sport treibt. „Aber grundsätzlich bin ich mit mir zufrieden, und mein Freund liebt mich so, wie ich bin.“

Size Zero war gestern, Plus Size ist angesagt. Übergrößen-Mode, das klingt zunächst mal nicht besonders hip und schick. Das klingt eher nach Schlabber-Shirt und Jogginghose und war bislang für Designer ein Randthema. Eines, mit dem man keine Fotostrecke in den Hochglanzmagazinen füllen und Blogger wie Kritiker zu Jubelstürmen hinreißen kann. Zwar tragen laut des Modemessen-Veranstalters Igedo 56 Prozent der deutschen Frauen Größe 42 und mehr, die Modeschöpfer jedoch ignorieren diesen Fakt. Fast trotzig.

Haute Couture, das galt bisher, ist Magerware. Trotz zunehmender Proteste weigerten sich die Kreativchefs vehement, Mädchen mit normalen Maßen zu buchen. „Runde Frauen will niemand sehen“, propagierte Karl Lagerfeld stets. Und doch mehren sich die Anzeichen, dass ein vorsichtiges Umdenken in der Branche stattfindet.

So sorgte im Herbst eine Twitter-Nachricht von Robert Duffy, Präsident der Marke Marc Jacobs, für Furore in der Szene. „Wir müssen größere Größen produzieren“, hieß es darin. Und Duffy zwitscherte weiter: „Wir sind momentan in Gesprächen über eine Plus-Size-Kollektion“. Bestätigt wurde das von Jacobs nicht. Allerdings: Mit „Above Average“ könnte es laut seines Partners bereits einen Namen für die Übergrößen-Entwürfe geben.

Den Trend zur femininen Silhouette hat derweil das Nobelkaufhaus „Saks Fifth Avenue“ in Manhattan erkannt. Hier sollen zukünftig Kreationen von Labels wie Chanel, Dolce & Gabbana und Valentino bis Größe 52 angeboten werden. Und ausgerechnet Roberto Cavalli, bekannt für seine hautengen Kleidchen, brachte als einer der ersten die Plus-Size-Kollektion „Class White Label“ auf den Markt.

Selbst Lagerfeld, der Mann, der anlässlich der Anfang 2010 gestarteten „Brigitte“-Initiative „Ohne Models“ auf die „dicken Muttis mit der Chipstüte“ schimpfte, scheint seine Meinung überdacht zu haben. Er fotografierte für die Sonderausgabe des amerikanischen „V Magazine“ Plus-Size-Models, inszenierte sie stark und sexy. Zur Muse erkor er nicht etwa ein blasses, dürres Mädchen, sondern die „Gossip“-Frontfrau Beth Ditto. Jene üppige Sängerin mit dem schrägen Stil, die sich selbst als „fette Lesbe“ bezeichnet – und regelmäßig in der ersten Reihe der wichtigen Fashion Shows sitzt.

Weit entfernt von einer Size Zero ist auch Christina Hendricks, Star der 60er-Jahre-Kultserie „Mad Men“ (ZDF Neo). Als Sekretärin Joan zeigt die Rothaarige Hüften und Hintern, gekleidet in stilvolle Kostüme und Etuikleider mit hoher Taille. Der Retro-Trend geht einher mit einer neuen Begeisterung für Kurven. Das Magazin „Esquire“ wählte die Schauspielerin kürzlich zur „schönsten Frau Amerikas“.

Gefragt ist auch Crystal Renn, Covermodel des Kurvenstar-Fashionkalenders. Das Model hungerte sich als Jugendliche fast zu Tode, wog nur noch 45 Kilogramm. Heute trägt sie 42 – und ist damit sehr erfolgreich. So ist sie das Gesicht der neuen Denim-Kollektion der Marke Marina Rinaldi. Ein Label, das schon 1983 erkannte, dass die Frau auf der Straße nicht 1,80 Meter groß und 50 Kilo leicht ist – sie aber dennoch modisch und trendbewusst gekleidet sein möchte. „Wir machen keine Plus-Size-Kleidung, wir produzieren einfach normalere Größen“, sagt Produktmanagerin Monica de Bellis.

Das Angebot beginnt bei Größe 42 und reicht bis 54. Zeltartige T-Shirts und unförmige Stretch-Jeans gibt es hier nicht, dafür elegant bis sportliche Mode, die die Kurven betont und nicht versteckt. Die Nachfrage ist groß: Drei Millionen Kleidungsstücke in 93 Ländern werden pro Jahr verkauft – Tendenz steigend. In Hamburg soll im Frühjahr in der ABC-Straße ein zweiter Shop eröffnet werden.

Der Markt für Übergrößen ist profitabel. Denn Konfektionsgrößen ab 42 sind keine Seltenheit, sondern die Norm. Das scheint allmählich auch bei Designern und Einkäufern anzukommen. Das junge Lifestyle-Label s.Oliver bringt im Frühjahr seine erste Freizeit- und Business-Kollektion für große Größen heraus. „by s.Oliver“ bietet Jeansblazer, verspielte Hemdblusen, Röhrenjeans und leichte Strickjacken in den Größen 44 bis 52 und zielt auf Frauen ab, die ihre Figur zeigen wollen, „modisch, relaxed und selbstbewusst“ sind.

Frauen wie Loreen Schurr. Oft ärgert sich die 21-Jährige über Läden, die nur S-Modelle oder unvorteilhaft geschnittene Röcke anbieten. Die Zeit der Magermodels ist für sie endgültig abgelaufen: „Als Teenager habe ich unzählige Diäten gemacht, aber gebracht hat es nichts. Meine Statur ist nun einmal so.“ Heute möchte sie auf keinen Fall dürr sein. „Das Runterhungern ist ungesund und kann lebensbedrohlich sein wie man im Fall des kürzlich verstorbenen Models Isabelle Caro gesehen hat. Wichtiger als Gewicht zu verlieren ist es an Selbstbewusstsein zu gewinnen. Für Frauen, damit sie sich in ihrem Körper wohlfühlen. Und für Männer, damit sie keine Size Zero-Frau für ihr Image brauchen, sondern einfach stolz sind auf ihre Partnerin.“