Von wegen Kapitalismus. Die Arbeiterklasse hat gesiegt. Zumindest in Deutschland. Das ist Ihnen noch nicht aufgefallen? Fahren Sie doch mal wieder an einer Autobahnbaustelle vorbei. Mit pedantischer deutscher Gründlichkeit wird die Fahrbahn auf fünf Kilometer Länge verengt, wenn Sie Pech haben sogar auf nur einen Fahrstreifen. Maximaltempo 60 ist angesagt. Wer sich neben schwankenden Lastzügen mehr zutraut, hat 007-ähnliche Reaktionen oder ein gutes Versicherungspaket geschnürt.

Jetzt suchen Sie vermutlich nach dem Grund der automobilen Stenose. "Wir bauen für Sie", hieß es da doch gefühlte zwei Stunden zurück auf einem Schild neben der Autobahn. Gern wird bis Oktober 2010 gebaut - dann ist die Reisezeit ja vorüber. Nur wo, bitteschön, bauen die? Und vor allem: Wer baut?

Nachdem Sie im Schritttempo 4,5 Kilometer der Fahrbahnverengung - also 80 Prozent der betroffenen Strecke - geschafft haben, sehen Sie einen einsamen Bagger auf der Baustelle. Aber er bewegt sich nicht. Das tun übrigens auch die drei Bauarbeiter in roten Sicherheitswesten nicht. Sie stehen neben dem Bagger und einem Kleinlaster beisammen, rauchen und reden. Das tun sie eigentlich fast immer, jedenfalls, wenn ich eine Baustelle passiere.

Man stelle sich das vor: Tausende von Autofahrern stehen zum Teil stundenlang im Stau, weil auf einer fünf Kilometer langen Baustelle drei Bauarbeiter mehr oder weniger tätig sind. Während Kühler und Köpfe in den Autos kochen, bleiben die Jungs mit den Helmen ganz cool. Auch wenn der Stau vor der Baustelle schon 20 Kilometer zurück reicht, die lassen sich einfach nicht aus der Ruhe bringen. Wenn jemand das Motto "Work smart, not hard" wirklich lebt, dann sind es Deutschlands Straßenbauarbeiter. Sie zelebrieren den wahren Sieg der Arbeiterklasse. Die lassen sich nicht beirren, beunruhigen oder ausbeuten. Pausen und Feierabend werden peinlich genau eingehalten, auch an Wochenenden ist hinter den Absperrungen nur selten was los.

Liebe Bauarbeiter, bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich möchte Ihnen keine Faulheit unterstellen. Sie machen einen eminent wichtigen Job. Und Sie machen ihn bestimmt nach Vorschrift. Vor allem aber machen Sie Ihren Job mit bewundernswerter Gelassenheit. Diese Lässigkeit nötigt mir wirklich großen Respekt ab.

Noch gründlicher als die Bauarbeiter werkelt übrigens das unsichtbare Heer bürokratischer Planer. Mal eben fünf Kilometer Autobahn zu verengen, obwohl nur auf 100 Metern gebaut wird, erfordert schon viel Chuzpe. Bei unseren niederländischen Nachbarn habe ich erlebt, wie auf Autobahnen das sinnvolle Prinzip der Wanderbaustelle funktioniert: Nur Absperren, wo wirklich gearbeitet wird. Doch kluge Verfahren innerhalb der EU zu übernehmen, scheint hierzulande nicht angesagt.