Berlin. 9,4 Millionen ältere Häuser müssen saniert werden. Manche bergen Gesundheitsgefahren. Diese Bau-Jahrgänge sind besonders betroffen.

  • Ob neue Heizung oder Kernsanierung - In Deutschland müssen viele Hausbesitzer ihre Häuser sanieren
  • Das betrifft vor allem Altbauten. Doch in ihren Mauern lauern mitunter tödliche Gefahren
  • Deshalb fordert eine Gewerkschaft nun eine Abwrack-Prämie. Was hinter dem Vorschlag steckt

Die Gefahr ist unsichtbar, für das Auge kaum zu erkennen. Wer Asbest bearbeitet, muss damit rechnen, dass sich sein Staub oder einzelne Fasern übers Einatmen auf die Lunge legen. Die Mineralfasern, die dünner sind als Haare, können Krebs oder andere Krankheiten auslösen – auch noch mehrere Jahrzehnte nach dem Kontakt mit dem Stoff. Tausende Bauarbeiter haben deshalb ihr Leben verloren, aber wahrscheinlich nicht nur sie: Auch Heimwerker sind gefährdet.

Die Industriegewerkschaft Bau, Agrar, Umwelt (IG BAU) schlägt deshalb Alarm. Angesichts der in den nächsten zwei Jahrzehnten bevorstehenden Sanierung von Millionen älterer Wohnhäuser, warnen die Gewerkschafter vor steigenden Asbest-Erkrankungen. „Mit der Sanierungswelle droht jetzt eine ‚Asbest-Welle‘ auf dem Bau. Sie ist eine Gefahr – für Bauarbeiter genauso wie für Heimwerker“, sagt Carsten Burckhardt, Bundesvorstand für die Bauwirtschaft und den Arbeitsschutz.

Ob energetische Sanierung, Modernisierung, senioren- oder familiengerechter Umbau von Häusern: Insgesamt müssen künftig gut 9,4 Wohngebäude saniert werden, die zwischen 1950 und 1990 gebaut wurden. Dies sind mehr als die Hälfte aller Wohngebäude in Deutschland. „In diesen Jahren kamen Asbest-Baustoffe intensiv zum Einsatz“, berichtet Burckhardt. Der krebserregende Baustoff wurde in vielen Bereichen eingesetzt, bevor er 1993 verboten wurde.

Beim Abriss von Asbestplatten müssen Schutzanzüge und Schutzmasken getragen werden (Symbolbild).
Beim Abriss von Asbestplatten müssen Schutzanzüge und Schutzmasken getragen werden (Symbolbild). © dpa/picture-alliance/ ZB | Thomas Lehmann

Sanierung von Heizung und Co.: Wo der krebserregende Stoff in alten Häusern steckt

„Diese Altbauten sind ein Millionen Tonnen schweres Asbest-Lager“, warnt der Gewerkschafter. Die Mineralfaser stecken in vielen Baustoffen - im Putz, in Spachtelmassen oder Fliesenklebern. Aus den damals importierten 4,35 Millionen Tonnen Asbest wurden rund 3500 Produkte hergestellt – die meisten für den Bau. „Aus Asbest-Zement entstanden vor allem Rohre, Fassadenverkleidungen und Dacheindeckungen – die alten Eternitplatten“, so Burckhardt.

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Ein großes Problem ist Spritzasbest, mit dem Aufzugsschächte oder Schächte für Versorgungs- und Entsorgungsleitungen ausgekleidet wurden. „Hier sind die Asbestfasern schwächer gebunden. Sie können deshalb leichter freigesetzt werden“, so der Experte.

Die Aufzüge wurden vorwiegend in großen Gebäuden errichtet. „Bundesweit gibt es gut 3 Millionen Wohnungen, die in den vier Jahrzehnten ab 1950 in Mehrfamilienhäusern mit 13 und mehr Wohnungen neu gebaut wurden“, berichtet der Leiter des Pestel-Instituts, Matthias Günther. In diesen Wohnungen leben rund 5,3 Millionen Menschen. In Nordrhein-Westfalen sind insgesamt 2,16 Millionen Gebäude betroffen, in Baden-Württemberg 1,34 Millionen, in Berlin 122.215, in Hamburg 141.500 Wohnungen und in Thüringen 144.086 Gebäude.

Um Asbest sicher zu entfernen, sollte bei der Arbeit in jedem Fall Schutzkleidung getragen werden.
Um Asbest sicher zu entfernen, sollte bei der Arbeit in jedem Fall Schutzkleidung getragen werden. © U. J. Alexander/iStock

Gefahren am Bau: Arbeit an Asbest kann Lungenkrebs auslösen

Wer in Gebäuden mit asbesthaltigen Baustoffen lebt muss sich grundsätzlich jedoch nicht sorgen: „Eine unmittelbare Gefährdung für die Gesundheit gibt es nicht“, sagt die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU). Asbest in Altbauten werde erst dann zum Problem werden, wenn saniert oder umgebaut wird. Dies gelte für Umbauten, wenn Wände versetzt, Fliesen, Böden oder Leitungen erneuert werden.

Dies musste auch Wolfgang Leihner-Weygandt leidvoll erfahren. Der heute 69-jährige Maurer hatte jahrelang Eternit-Faserplatten mit der Kreissäge zugeschnitten, verwendete Spachtelmassen mit Asbest – und wie damals üblich arbeitete er ohne Maske oder Schutzanzug. 1994 bekam er plötzlich Schmerzen an der Schulter – es sollte das erste Symptom seines Lungenkrebses sein. „Ich hatte Glück gehabt und bin dem Totenbett entsprungen“, sagt er. Doch das Lungenvolumen des früheren Sportlers ist heute stark reduziert, wenngleich er weiter E-Bike fährt und in die Mucki-Bude geht.

Insgesamt starben in den vergangenen zehn Jahren 3376 Versicherte der BG BAU infolge einer asbestbedingten Berufserkrankung, darunter 320 Bauarbeiter im Jahr 2022. Typische Erkrankungen sind Asbestose, Lungen-, Bauchfell- oder Kehlkopfkrebs. Bei den Berufskrankheiten ist Asbest die häufigste Todesursache.

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Gewerkschaft IG Bau fordert Abwrack-Prämie für Asbest-Häuser

Zum Schutz für alle Betroffenen fordert die Gewerkschaft einen Schadstoff-Gebäudepass, in dem die unterschiedlichen Gefahrenstufen für die Asbestbelastung festgehalten werden. „Jeder Bauarbeiter und jeder Heimwerker muss wissen, auf was er sich einlässt, wenn er Fliesen abschlägt, Wände einreißt oder Fassaden saniert“, so Burckhardt.

Oberstes Gebot sei vor allem der Schutz aller, die mit Asbest arbeiten. Dazu müssten die Beschäftigten mit Atemschutzmasken und staubdichten Schutzanzügen ausgestattet werden. In belasteten Bereichen seien Schleusen erforderlich, der Asbeststaub müsse abgesaugt und gefiltert werden, damit die Stäube und Fasern nicht in andere Bereiche verschleppt werden.

Dazu sollten Bund und Länder eine Informationskampagne starten, so die IG Bau: „Bauarbeiter und Heimwerker müssen wissen, wie der optimale Schutz vor Asbest aussieht. Und das muss den Menschen in der Sprache gesagt werden, die sie verstehen – den ausländischen Beschäftigten also auch in ihrer Muttersprache.“

Zudem fordert Burckhardt eine staatliche Renovierungs-, Sanierungs- und Abwrack-Prämie für Asbest-Häuser, um das Problem und die Finanzierung dieser Altlasten auf breiter Ebene anzugehen. „Das hilft, Kosten abzufedern“, so Burckhardt. Außerdem ließe sich damit auch eine ordnungsgemäße Entsorgung von alten Asbest-Baustoffen sicherstellen. Wichtig sei, so der Gewerkschafter: „Der bevorstehende Sanierungsboom darf nicht zu einer Krankheitswelle führen.“