- Demenz ist eine Volkskrankheit: Weltweit leiden Millionen Menschen an der Erkrankung
- Alzheimer gehört zu den häufigsten Ursachen einer Demenz
- Doch ab wann wird Vergesslichkeit zum Problem? Das sagen Experten
Susanne Schäfer, Autorin der Funke-Zeitschrift „Donna“, fragt sich, ob Gedächtnislücken normal oder Grund zur Sorge sind. Was Experten ihr antworten. Lesen Sie hier: Dieses Gerwürz soll laut Studien vor Demenz schützen – Jeder hat es in der Küche
Hektisch renne ich in meiner Wohnung rum, sammle meinen Krempel zusammen und rase die 107 Treppenstufen runter auf die Straße. Ich muss die Bahn erwischen, habe einen Termin, will noch was Wichtiges besorgen und danach joggen am Fluss. Unten angekommen hechte ich wieder nach oben, denn ich habe meinen Geldbeutel vergessen. Ich sitze schon fast in der Bahn, da fällt mir ein, dass der Herd noch an sein könnte. Wieder die fünf Stockwerke hoch...
Am Ende ist die Bahn: weg. Der Termin: futsch. Das Sportprogramm: 535 Stufen im Laufschritt. Die Stimmung: mies. Ich setze mich an den Fluss und überlege mir, wann, wo und warum ich eigentlich meinen Kopf verloren habe. „Panta rhei“, alles fließt, auch ein gut geöltes Gehirn ist so exzellent strukturiert wie dieser Fluss hier, der mühelos um Felsbrocken und Engpässe herumgleitet und ständig neue Nebenarme bildet.
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Bei mir im Kopf fließt dagegen nur noch wenig, die Nervenzellen funken ins Leere, die Synapsen japsen. Ich vergesse Namen, verlege Lesebrillen und weiß nicht mehr, wem ich was erzählt habe. Das Alter, schon klar. Aber woher weiß ich, ob diese Aussetzer noch normal sind oder schon Vorboten von Demenz?
Digitale Demenz: Das steckt dahinter
„Bedenklich wird es, wenn man den Alltag nicht mehr selbstständig bewältigen kann“, sagt die Hirnforscherin Constanze Seidenbecher vom Leibniz-Institut in Magdeburg. Na ja, das Gröbste kriege ich ja gerade noch so hin. Ich gehe zügig am Fluss entlang, und plötzlich wird der Kopf weit und klar.
Körper und Geist nehmen spannende Gespräche auf, es entstehen neue Gedankenräume, die vom Gehen, der Landschaft und dem Atem bestimmt werden. Stress, Multitasking, Social-Media-Gezappe, dieser zwanghafte Ich-muss-das-besser-wuppen-als- andere-Wahnsinn, der unser Leben bestimmt, vernebelt den Kopf. Unser Gedächtnis, Teile unseres Wissens und unserer Intelligenz tragen wir ja längst im Smartphone mit uns rum – Wissenschaftler sprechen bereits von einer „digitalen Demenz“. Auch interessant: Studie: Medien-Multitasking wohl schlecht für das Gedächtnis

Ich muss an meinen Vater denken. Er ist weit über 80 und macht nur das, was ihn wirklich interessiert. Täglich spielt er Klavier und übt neue Stücke ein, er liest dicke Wälzer, ist geistig voll auf der Höhe und hat ein immenses Wissen. „Die kristalline Intelligenz, die sich aus dem lebenslang gesammelten Wissen und den Erfahrungen zusammensetzt, vergrößert sich stetig“, sagt der Hirnforscher Ernst Pöppel. „Eine reiche Vergangenheit erlaubt es uns, unabhängiger zu denken, die Gegenwart besser zu verstehen und die Zukunft kreativer zu gestalten, da wir ja immer Erinnerungen in die Zukunft projizieren.“
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In Sachen episodisches Gedächtnis und Wissen sind wir Älteren also klar im Vorteil. Vorausgesetzt, wir reichern unsere innere Bildergalerie ständig an, bleiben mutig und neugierig und nehmen Herausforderungen an, für die wir wirklich brennen. Denn das, was uns als bedeutsam erscheint, bleibt länger im Gedächtnis haften. „Selektives Vergessen ist oft wie so eine Art kreative Müllbeseitigung“, so Pöppel.
Selbst für mich gibt es also durchaus noch Hoffnung. Vielleicht, überlege ich, will mir mein löchriger Kopf ja signalisieren, dass er nicht mehr so zugestopft werden will mit Pseudowichtigem, sondern sich nach echter Inspiration sehnt, und genieße diesen hammermäßigen Sonnenuntergang am Fluss.
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Gedächtnislücken: Welche Rolle die Wechseljahre spielen
Unser Kopf verändert sich, wenn der Östrogenspiegel sinkt. „Bei Scans haben wir herausgefunden, dass das Gehirn nahezu aller Frauen nach der Menopause durch das Absinken der Hormonspiegel einen substanziell geringeren Gehirnstoffwechsel aufweist als das Gehirn prämenopausaler Frauen“, erklärt Neurowissenschaftlerin Lisa Mosconi, die Direktorin der Alzheimer’s Prevention Clinic am Weill Cornell Medical College in New York ist.
Die Wechseljahre seien so etwas wie ein Schalter, durch den die Superpower von Östrogen und seinen Begleithormonen ausgeknipst würde und das Gehirn neue Wege finden müsse, um zu funktionieren.
Bei vielen führten diese Gehirnveränderungen zu Vergesslichkeit, Gedächtnislücken und sogar kognitiven Aussetzern, so Lisa Mosconi. Andere würden vielleicht unter zuvor unbekannten Stimmungsschwankungen, Angstgefühlen und depressiven Symptomen leiden. Und bei einer weiteren Gruppe könnten diese Veränderungen dazu führen, dass Alzheimer einsetzt.
Formen von Demenzerkrankungen
Alzheimer-Krankheit | Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Form von Demenz und betrifft vor allem ältere Menschen. Sie tritt allmählich auf und beeinträchtigt Gedächtnis, Denken und Verhalten. |
Vaskuläre Demenz | Die vaskuläre Demenz entsteht durch eine Schädigung der Blutgefäße im Gehirn, beispielsweise durch Schlaganfälle oder Durchblutungsstörungen. Die Symptome können je nach betroffenem Bereich des Gehirns variieren. |
Lewy-Körper-Demenz | Bei der Lewy-Körper-Demenz sammeln sich sogenannte Lewy-Körper im Gehirn an, die zu Störungen in der Informationsverarbeitung führen. Die Symptome ähneln oft denen der Parkinson-Krankheit. |
Frontotemporale Demenz | Die frontotemporale Demenz betrifft vor allem die Bereiche des Gehirns, die für Verhalten, Persönlichkeit und Sprache zuständig sind. Die Symptome können je nach betroffenem Bereich sehr unterschiedlich sein. |
Gemischte Demenz | Bei der gemischten Demenz treten mehrere Formen von Demenz gleichzeitig auf, beispielsweise Alzheimer-Krankheit und vaskuläre Demenz. |
Vergesslichkeit: Wann muss man sich Sorgen machen?
„Gedächtnisprobleme sind häufig Aufmerksamkeitsstörungen, weil man nicht voll bei der Sache war. Bei gelegentlichen Aussetzern sollte man sich nicht verrückt machen“, erklärt die Neurobiologin Constanze Seidenbecher.
Bedenklich würde es, wenn man Sozialkontakte meidet, weil man sich anderen nicht mehr gewachsen fühlt, oder wenn man den Alltag nicht mehr selbstständig bewältigen kann. Dann bitte zum Hausarzt oder sich in einer Gedächtnisambulanz untersuchen lassen.
Wie kann man Demenz vorbeugen?
„Die Gehirngesundheit ist eng mit der Herzgesundheit verknüpft – was gut für das Herz ist, tut auch dem Gehirn gut“, erklärt Bernd Kleine-Gunk, Gynäkologe und Anti-AgingMediziner. Deshalb sollten Frauen gerade in den mittleren Lebensjahren auf Blutdruck, Cholesterinspiegel und Blutzucker achten. Zu hohe Werte begünstigen Arteriosklerose, aber auch Demenz.
Zur Senkung müssten nicht gleich Medikamente eingesetzt werden, mit Bewegung und gesunder Ernährung könne man eine Menge erreichen. Auch eine Hormonersatztherapie (HET) mit bioidentischem Östrogen und Progesteron, die mit Beginn der Wechseljahre verabreicht wird, könnte wie ein endokriner Jungbrunnen wirken. Das Für und Wider einer HET sollte mit dem Arzt abgeklärt werden, der dann einen individuellen Behandlungsplan erstellt.
Wer bleibt von Demenz verschont?
„Frauen wie Männer, die bereits als Kinder und Jugendliche geistig rege waren, gerne gelernt und viel Wissen erworben haben, können sich sehr lange ein leistungsfähiges Gehirn erhalten“, sagt Bernd Kleine-Gunk.
Denn wer frühzeitig sehr viele Nervenzellen miteinander verknüpfe, könne im Alter den Verlust einiger dieser Zellen kompensieren, ohne dass eine Demenz droht. Auch interessant: Demenz: Wie Partnerschaften sich durch die Krankheit ändern
Wie groß ist das genetische Risiko für Demenz?
Lisa Mosconi: „Derzeit gibt es ein einziges Gen, von dem wir sicher wissen, dass seine Trägerinnen ein stark erhöhtes Risiko haben, frühzeitig eine Demenz zu entwickeln: das Apolipoprotein E4, abgekürzt ApoE4. Auch Männer tragen dieses Gen, doch zwei von drei Alzheimerpatienten sind Frauen, unabhängig von ihrem Lebensalter.
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Ein großes Demenzrisiko bei Männern ist das Alleinsein. Bei Frauen spielt der Hormonrückgang eine Schlüsselrolle; sie sollten sich in der Lebensmitte um sich selbst kümmern. Denn Gene und Hormone sind kein Schicksal. In jedem Alter können wir eine Menge für uns und unser wichtigstes Organ tun und wacher, fitter, mutiger werden.“
Was dem Gehirn hilft, fit zu bleiben – und was nicht
Penible Zahnpflege: „Parodontitis geht mit einem erhöhten Risiko für Alzheimerplaques einher“, so Hirnforscherin Lisa Mosconi. Deshalb: Zahnseide benutzen, zur professionellen Zahnreinigung gehen, Parodontitis behandeln lassen.
Vergessen Sie Gehirn-Jogging-Apps: Apps (z.B. „Lumosity“, „Neuro Nation“) sind zwar im Trend, aber sie fördern Schmalspurwissen. „Am Ende hat man vielleicht gelernt, blitzschnell bunte Karten zu sortieren, aber es gibt keine Transfereffekte“, so Neurobiologin Constanze Seidenbecher. Das heißt: Man wird nachweislich nicht lebenstüchtiger oder kommt besser klar als zuvor.
Demenz | Alzheimer | |
Definition | Eine Art von Demenz, die am häufigsten vorkommt und etwa 60-80 Prozent aller Fälle von Demenz ausmacht | Ein Oberbegriff für eine Gruppe von Erkrankungen, die das Gedächtnis, das Denken und andere kognitive Fähigkeiten beeinträchtigen können |
Symptome | Beeinträchtigung des Gedächtnisses und des Denkvermögens, allmählicher Verlauf, andere kognitive Fähigkeiten können betroffen sein | Kann unterschiedliche Symptome verursachen, je nachdem welche Bereiche des Gehirns betroffen sind |
Ursachen | Ablagerungen von Proteinfragmenten im Gehirn spielen eine Rolle | Ursachen können unterschiedlich sein, z.B. Durchblutungsstörungen bei vaskulärer Demenz |
Heilung | Keine Heilung, aber Behandlung kann die Symptome lindern und das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen | Keine Heilung, aber Behandlung kann helfen, die Symptome zu lindern |
Anmerkungen | Es ist möglich, dass eine Person sowohl an Alzheimer-Krankheit als auch an einer anderen Form von Demenz leidet | Die Symptome und Verläufe sind individuell sehr unterschiedlich |
Sudokus? Überbewertet: Täglich Kästchen ausfüllen? Zeitverschwendung. Statt Denkroutinen zu folgen, sollte man neue Herausforderungen bewältigen. „Das Gehirn stellt immer zwei Fragen: Ist das neu? Ist es relevant für mich?“, sagt Constanze Seidenbecher. Lauten beide Antworten Nein, fährt es seine Aufmerksamkeit blitzschnell herunter.
Brille und Hörgerät: Alles, was nachlassende Sinne schärft, tut dem Gehirn gut. Benutzt man keine Hilfen, kann der Mangel an akustischen und optischen Reizen und der damit verbundene soziale Rückzug zu einem Abbau der intellektuellen Leistungsfähigkeit führen.
Kurzer Büro-Schlummer: „Im Schlaf erweitert und festigt sich unser Wissen von der Welt, er ist ein hervorragender Gedächtnistreiber“, so Constanze Seidenbecher. Also ruhig mal die Beine auf den Schreibtisch legen und wegdösen.
Sport: „Der beste Sport ist der, der Spaß macht“, erklärt Anti-Aging-Mediziner Bernd Kleine-Gunk. Besonders geeignet: Tanzen, Tennis und Mannschaftssportarten. Sie würden neuronale Fähigkeiten schulen und das Gehirn mehr fordern als monotones Traben auf dem Laufband oder einsames Stemmen von Gewichten.
Mini-Trainer: „Versuchen Sie mal, einem Dreijährigen seine Frage, warum das Gras grün ist, zu beantworten“, rät Bernd Kleine-Gunk. „Da wird Ihr Gehirn gewaltig gefordert.“ Ebenso effekziv: „Uno“, „Memory“ oder kreative Rollenspiele spielen. Wo Emotionen entstehen und Austausch mit anderen stattfindet, schult man sein Gehirn ganzheitlich.
Lernen: Beispielsweise ein Musikinstrument zu spielen. Genauso gut: ein Studium beginnen, VHSKurse besuchen, eine neue Sprache lernen. Bernd Kleine-Gunk: „Neue, anspruchsvolle Ziele, für die man wirklich brennt, fordern den Geist vielfältig heraus und bringen ihn an seine Grenzen – genau da beginnt das Gehirn, über sich hinaus zuwachsen.“
Lesen: „Lesen fördert unsere Kreativität und Vorstellungskraft. Wir betreten einen geistigen Raum, in dem wir mit den Protagonisten interagieren“, sagt Expertin Seidenbecher. So entwickeln wir faszinierende Universen, die wir immer wieder neu entdecken können.
Raus aus der Routine: „Gehen Sie unter Menschen, engagieren Sie sich politisch oder sozial, diskutieren Sie“, so Bernd Kleine-Gunk. Das Gehirn sei ein soziales Organ, das zur Hochform auflaufe, wenn es sich mit anderen austausche.
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