Die IG Metall Küste schlägt Alarm. Stammbelegschaften im Schiffbau sinken auf unter 17.000 Beschäftigte. Werften wollen Staatshilfe.

Hamburg. Während in Hamburg die Schiffbauleitmesse SMM mit einer Rekordbeteiligung in ihre zweite Hälfte geht, fürchtet die Gewerkschaft IG Metall um den Bestand der gesamten deutschen Branche. "Wir haben schon 2009 gesagt, dass der Schiffbau in seiner Substanz gefährdet ist", sagte Jutta Blankau, die Bezirksleiterin Küste, gestern in Hamburg. Doch nach dem historischen Tiefstand von 2009 ist die Zahl der Beschäftigten bis Ende August noch einmal um 686 zurückgegangen. Jetzt sind auf den 42 von der IG Metall zum 19. Mal in einer Umfrage bei den Betriebsräten untersuchten Seeschiffwerften noch 16 760 Menschen fest beschäftigt. 3800 weniger als 2008.

Für die Gewerkschaft und den Bremer Professor Rudolf Hickel, dessen Institut Arbeit und Wirtschaft maßgeblich an der Studie beteiligt ist, ist klar: Die Bundesregierung muss ein Sofortprogramm für die Modernisierung der Branche auflegen und die Hilfen durch Bürgschaften und Kredite über den Deutschlandfonds über das Jahresende hinaus verlängern. Das gelte jedenfalls, wenn die Regierung die Unternehmen für "strategisch und unverzichtbar" halte. Genauso hatte das der Maritime Koordinator der Bundesregierung, Hans-Joachim Otto (FDP), zur Eröffnung der Messe SMM formuliert. Auch der Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) drängt darauf, die Hilfen aus dem Fonds zu verlängern. "Wir arbeiten zudem mit dem Wirtschaftsministerium an einer Strategie für Forschung und Entwicklung, Innovationen sowie über die Möglichkeit, staatliche Aufträge vorzuziehen", sagte VSM-Hauptgeschäftsführer Werner Lundt.

Weder für den Einbruch des Welthandels durch die Wirtschaftskrise noch für die durch die Finanzkrise ausgelöste Kreditklemme bei Neubauten sei der deutsche Schiffbau verantwortlich, argumentiert Hickel. Dazu kämpfe die Branche mit Subventionen in China und Korea. "Allein 33 Milliarden Dollar stehen in Korea bereit, um umweltfreundliche Hauptmaschinen und IT-gestützte Schiffsbetriebssysteme zu entwickeln. In Japan werden Prototypen von umweltfreundlichen Schiffen sogar vom Staat finanziert", sagte der IG-Metall-Schiffbauexperte Heino Bade. Vor diesem Hintergrund sei das Verhalten des Koordinators "ärgerlich und provokant", so Hickel. Otto hatte in Hamburg jedoch darauf beharrt, dass mit dem Abflauen der Krise auch der Deutschlandfonds, von dem die Werften überproportional profitiert hätten, auslaufen werde. Blankau hält dagegen: "Die Krise erreicht für Werften und Zulieferer gerade erst ihren Höhepunkt."

Die geringe Zahl der Neubauaufträge spricht derzeit eher für Blankaus Auffassung. Bei weltweit vergebenen 659 Orders in den vergangenen zwölf Monaten kamen nach der Studie gerade 22 in Deutschland an. Von den für den deutschen Handelsschiffbau jährlich notwendigen Investitionsvolumen von durchschnittlich drei Milliarden Euro seien bisher gerade 800 Millionen Euro eingegangen, hatte Bernard Meyer, der Chef der Papenburger Meyer Werft, im Abendblatt-Interview gesagt. Für die Zukunft rechnet der bekannteste deutsche Passagierschiffbauer, der derzeit auch den europäischen Werftenverband Cesa führt, im Weltschiffbau mit Überkapazitäten von 50 Prozent.

Die Sorgenkinder der Gewerkschaft sind derzeit die Nordic-Werften in Wismar und Warnemünde sowie die insolvente Lindenau-Werft in Kiel, die Aufträge brauchen, um ihre Jobs zu sichern. Neue Bestellungen für Megayachten soll die Schiffbauholding Abu Dhabi Mar (ADM) nach Deutschland bringen, die kurz davorsteht, große Teile der Werftenholding TKMS von ThyssenKrupp zu übernehmen. Chancen auf Aufträge haben deutsche Werften aber allein im Spezialschiffbau. Genau dahin zielt die Strategie von Korea und Japan, die bei Standardschiffen immer mehr die Konkurrenz der Chinesen spüren.

Für Deutschland kritisiert die IG Metall die zunehmende Leiharbeit auf den Werften. "Rechnet man die 4691 Mitarbeiter mit Werksverträgen und die 2269 Leiharbeiter zusammen und berücksichtigt die Überstunden und Arbeitszeitguthaben, könnten 8453 Arbeitsplätze geschaffen werden", sagte Studienautor Thorsten Ludwig von der Bremer Agentur für Struktur- und Personalentwicklung. Leiharbeitsquoten von 35 oder 46 Prozent seien jedenfalls "nicht zu rechtfertigen", so Blankau. Grund dafür sei die "unsichere Lage", sagt VSM-Chef Lundt. Auch gut beschäftigte Werften würden ihre Belegschaften derzeit kaum aufstocken.

Unzufrieden ist die IG Metall auch mit der Ausbildungsquote. So seien mit 1163 Lehrlingen derzeit 32 Prozent weniger beschäftigt als 2008. Dabei seien die Stellen begehrt. "Wir haben 300 Auszubildende befragt. Alle würden erneut im Schiffbau anfangen", so Ludwig: "Die Begeisterung hält an."