Kaputte Klimaanlagen, Stuttgart 21, eine marode S-Bahn. Doch Bahnchef Rüdiger Grube gibt sich bei einem Besuch in Hamburg kämpferisch.

Hamburg. Ein einfacher Job sieht anders aus. Probleme pflastern seinen Weg. Überall hakt es, nichts läuft ohne Querelen. Mal ist es die Technik, mal sind es die Hersteller, mal die Bürger, mal übereifrige Datensammler in den eigenen Reihen oder strukturelle Unzulänglichkeiten, die einen reibungslosen Alltag des Bahnchefs immer wieder aufs Neue ins Reich des Wunschdenkens verbannen. Viele dieser Großbaustellen - wie defekte Klimaanlagen in den Hochgeschwindigkeitszügen ICE oder die marode Berliner S-Bahn - sind für Rüdiger Grube, 59, längst zum Tagesgeschäft geworden. Allerdings kommen immer neue hinzu - wie der Dauerprotest um Stuttgart 21.

Resignation hat bei Grube dennoch keine Chance. Im Gegenteil. Der gebürtige Hamburger, der seit gut zwei Jahren die Geschicke der Deutschen Bahn lenkt, strahlt Aufbruchstimmung aus, begreift jedes Problem als Herausforderung, das nur eine passende Lösung braucht. Grundsätzlich ist der Vorstandschef von der Zukunft der Deutschen Bahn aus tiefem Herzen überzeugt. "Es ist das sicherste und umweltfreundlichste Verkehrsmittel der Welt - und wird stärker als alle anderen Verkehrsträger wachsen. Die Zukunft der Bahn liegt noch vor uns."

Allerdings, betont er geradezu gebetsmühlenartig vor Fahrgästen, Politikern oder Mitarbeitern: "Wir müssen besser werden." Und noch mal: "Wir müssen besser werden." Aber dieses "besser werden" brauche eben Zeit, wirbt er im selben Atemzug um Verständnis, da die dringend benötigten neuen Züge, die viele Probleme lösen würden, leider lange Lieferzeiten haben und nicht vom Himmel fallen.

Wo die Bahn im Norden besser werden kann, davon hat sich Grube jetzt einen Überblick in Hamburg verschafft. Einen Tag lang traf er Führungskräfte, Lokführer, Zugbegleiter, Bahnhofsmitarbeiter und gewerbliche Angestellte - zum "Regionaltag Hamburg". Grube tritt dabei offen, geradezu freundschaftlich an seine Mitarbeiter heran - unabhängig von ihrem Status. Er schüttelt Hände, begrüßt viele persönlich, fragt sie nach ihrem Werdegang und wo sie der Schuh drücke. Dabei schaut er jedem in die Augen. Im Einzelgespräch wird zwar gesiezt, bei Fragen in die Runde greift der Hanseat, der heute mit seiner Familie in Stuttgart lebt, aber gerne zum kameradschaftlichen Ihr. "Wo seht ihr in eurem Bereich Probleme?" "Wie beurteilt ihr das?", "Was wolltet ihr immer mal sagen?", "Habt ihr schon Lösungen im Kopf?"

Offenheit ist Grube wichtig. Er hört genau hin. Kritische Fragen und Einwände scheinen ihm besonders zu imponieren. "Behalten Sie bloß Ihre flotte Art", ermunterte er eine Mitarbeiterin, die ihm über den Einsatz "stinkender Diesel ICE-TD" und Etatkürzungen bei Schönheitsreparaturen in Zügen auf den Zahn gefühlt hatte.

Auch in Hamburg könnten auf die Bahn in den nächsten Jahren Konflikte zukommen. Schließlich ist der Konzern in der Hansestadt mit rund 7900 Mitarbeitern und 468 Auszubildenden nicht nur der fünftgrößte Arbeitgeber, sondern zählt auch zu den großen Investoren. 80 Millionen Euro will der Konzern in diesem Jahr in Hamburg verbauen, weitere 250 Millionen lässt er für Dienstleistungen und Einkäufe aller Art in der Stadt. Und wo gebaut wird, Flächen umgenutzt werden, gibt es erfahrungsgemäß Proteste.

Ob Hamburg bei der Verlagerung des Fernbahnhofs Altona nach Diebsteich ein zweites Stuttgart 21 droht? Grube ist optimistisch. Das Projekt koste schließlich keine vier Milliarden Euro, sondern nur einen dreistelligen Millionenbetrag und biete großes Stadtentwicklungspotenzial für Altona, vor allem im Wohnungsbau. Die Kosten sollen aus dem Verkauf des frei werdenden Bahngeländes in Altona bezahlt werden - ein 138 000 Quadratmeter großes Areal. Mit der Verlegung des Fernbahnhofs würde Grube am liebsten schon morgen beginnen. Angesichts der zu überwindenden Bürokratie rund um das Baurecht ist dies natürlich illusorisch. Derzeit wird die Wirtschaftlichkeit geprüft. Der Bau neuer Gleise und des Bahnhofs dauert etwa fünf Jahre. "Wir wünschen uns, dass der Fernbahnhof Diebsteich 2020 in Betrieb geht." Für die Kunden sieht Grube mit dem neuen Durchgangsbahnhof nur Vorteile, da sich die Reisezeit von und nach Schleswig-Holstein und Dänemark deutlich verkürzen würde. Der S-Bahn-Verkehr bleibe weiter in Altona. "Das ist doch ein sehr gutes Projekt."

Wenn der Bahnchef antwortet, ist sein Redefluss kaum zu stoppen. Geradezu euphorisch schwärmt er von seinen Beschäftigten. "Ich habe selten ein Unternehmen kennengelernt, das so tolle Mitarbeiter hat", sagt der Manager, der auch bei Airbus und Daimler tätig war. "Sie bringen ausgesprochen gute Leistungen. Darauf bin ich jeden Tag sehr stolz", sagt er in einer Runde von Schlossern im Bereitstellungszentrum der Bahn in Langenfelde. Lob scheint für ihn nicht Pflicht, sondern eine Selbstverständlichkeit zu sein. Das kommt bei der Belegschaft gut an - auch bei Auszubildenden wie Tom-Philipp Müller, 18: "Er ist sehr natürlich."

Grube stellt sich aber auch offensiv hinter seine Mitarbeiter. Ängste zur Zukunft des Hamburger Werks Langenfelde wischt er ohne Umschweife vom Tisch: "Die Bahn wird ihre Züge weiter mit eigenen Mitarbeitern instand halten. Wir haben Tausende Mitarbeiter in unseren Werken, die dies gut können. Warum sollten wir diese Mitarbeiter nicht weiter mit ihrem Know-how einsetzen? Was sollen Externe denn besser machen? Nein, das machen wir weiter selbst." Sichtliches Aufatmen in den Reihen der Blaumänner.

Natürlich kommt auch das Desaster der Klimaanlagen zur Sprache. Hier hat Grube die zwei größten Schwachstellen der Bahn ausgemacht: "Wir haben zu wenig Züge - und zudem Züge mit technischen Mängeln." Für Abhilfe hat Grube bereits die Weichen gestellt. Bis 2013 sollen die anfälligen Klimaanlagen der ICE2-Züge auf Vordermann gebracht werden. Bei Siemens wurde für sechs Milliarden Euro eine Flotte von 210 ICx-Zügen bestellt. Doch die ersten Züge kommen erst 2016 zum Einsatz. "Vor 2014 werden wir deshalb immer wieder mit technischen Herausforderungen leben müssen."

Besonders stolz ist Grube darauf, mit einem jahrzehntelangen - aus seiner Sicht falschen - Prinzip gebrochen zu haben: Künftig werden die Hersteller grundsätzlich in die Pflicht genommen, für technische Fehler an Zügen geradezustehen - und nicht mehr die Bahn. "Unter meiner Führung wird es keinen Zug mehr geben, für den nicht der Hersteller eine Garantie abgibt. Ich möchte nicht mehr, dass ihr den Kopf hinhalten müsst für Mängel an Zügen, die wir nicht zu verantworten haben. Ihr sollt euch nicht mehr für die Fehler anderer rechtfertigen. Damit muss Schluss sein", versichert Grube seinen Mitarbeitern, gestikuliert mit den Händen und lässt seinem Ärger freien Lauf.

Grube versprüht scheinbar unerschöpfliche Energie. Ob er manchmal auch schlaflose Nächte hat, weil ihm alles über den Kopf wächst? "Nein. Ich schlafe sowieso nur vier bis sechs Stunden. Bei so wenig Schlaf kann ich mir keine schlaflosen Nächte leisten." Dass die Bahn zudem mit jedem Problem täglich in den Medien ist, nimmt er mittlerweile augenzwinkernd: "Ich sehe es positiv, dass sich so viele Menschen für uns interessieren. Unser Unternehmen muss sexy sein ..."