Unternehmer Michael Otto über den Kampf gegen Armut, Artensterben und die drohende Klimakatastrophe. Hilfe zur Selbsthilfe sei sinnvoll.

Hamburg. Nicht nur zur Weihnachtszeit sollten wir gemeinsam jene Probleme in den Blick nehmen, vor denen wir weltweit stehen. So wichtig viele Themen in unserem Land auch sein mögen, aus globaler Perspektive sind sie klein: Knapp eine Milliarde Mitbürger leiden weltweit an Hunger, etwa 17 500 Pflanzenarten sterben pro Jahr unwiederbringlich aus, und schlimme Naturereignisse wie die Flut in Pakistan verweisen auf die Gefahren des globalen Klimawandels - wenn wir nichts dagegen tun.

"Hilfe zur Selbsthilfe" anzubieten scheint mir der Weg zu sein, der nachhaltig Erfolg verspricht. Nur so lässt sich die große Kluft zwischen Arm und Reich schließen. So begrüße ich den Weg der Bundesregierung, sich in der Entwicklungspolitik gemeinsam mit Partnern auf eine nachhaltige Förderung der Wirtschaft vor Ort zu konzentrieren. Gemeinsam mit dem Sachverstand von Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) und weltweit tätigen Wirtschaftsunternehmen kann der Wirkungsgrad erhöht werden. So konnte ich erst vor einigen Tagen in Afrika beobachten, wie sich durch das Gemeinschaftsprojekt "Cotton - made in Africa" die Lage von Hunderttausenden Baumwollbauern und ihren Familien auf dem schwarzen Kontinent nachhaltig verbessert hat.

Auf dem Gedanken der Selbsthilfe basiert auch der Weg, Wirtschaft in den Drittweltländern als "Social Business" zu betreiben. Dabei organisiert sich ein Social Business wie ein ganz normales Wirtschaftsunternehmen. Der einzige Unterschied: Die Profite werden nicht an Investoren ausgezahlt, sondern werden wieder in das Unternehmen und in die soziale Entwicklung im Umfeld des Unternehmens investiert, wie freies Mittagessen, Einrichtung von Kindergärten, Gesundheitsbetreuung, Bau von Schulen, Erwachsenenbildung und vieles mehr. Konsequent umgesetzt, würde es die Wirtschaftswelt verändern und soziale Missstände nachhaltig beheben, denn es vereinigt die sozialen Ziele des öffentlichen Sektors und von Wohlfahrtsorganisationen mit der Dynamik des Wirtschaftslebens.

Stichwort Wirtschaftsdynamik. Den armen Ländern ist am meisten gedient, wenn sie an der globalen Wirtschaft teilhaben und eigene Industrien aufbauen können, die Arbeitsplätze schaffen. So haben es einst arme Länder wie Südkorea, Taiwan oder auch der Süden Chinas zu einigem Wohlstand gebracht. Und nicht zu vergessen: Auch in Deutschland wurden bis in die Siebzigerjahre hinein Textilien und Lederwaren produziert - teilweise unter hartem körperlichen Einsatz. Die Herausforderung heute lautet: Die Politik hat für faire weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen zu sorgen, die international agierenden Wirtschaftsunternehmen für Aufträge zu fairen Bedingungen, damit Drittweltländer nicht ausgebeutet werden, sondern die Chance auf immer größeren Wohlstand haben.

Gerade die Bilder protestierender Arbeiter in Bangladesch haben uns in letzter Zeit erschüttert. Die Arbeiter fordern zu Recht, dass ihre Rechte anerkannt werden. Die Lösung kann aber nicht heißen, dass sich die Auftraggeber aus der Ersten Welt aus diesen Ländern zurückziehen. Im Gegenteil: Die Verantwortung der Wirtschaft bedeutet, dass sich Drittweltländer durch die Textilwirtschaft entwickeln können. Das heißt, dass die Auftraggeber Druck machen müssen, dass es keine Kinderarbeit gibt, die Arbeitszeiten eingehalten und Überstunden bezahlt werden und sich die gesetzlichen Mindestlöhne erhöhen. Auch die Sicherheit am Arbeitsplatz ist ein wichtiges Thema, damit nicht wieder Arbeiter durch Brände in den Fabriken ums Leben kommen. Diese Forderung ist leicht aufzustellen, ist in der Umsetzung aber eine Kärrnerarbeit. Durch permanente Kontrollen und Schulung der Fabrikbesitzer und deren Mitarbeiter müssen die Sozialstandards immer wieder neu eingefordert werden. Unser Credo lautet bereits seit den 1990er-Jahren: Es darf keinen Wettbewerb zulasten der Sozialstandards zwischen den importierenden Unternehmen geben.

Auch der Arten- und Umweltschutz ist eine Frage des Reichtums. Das massive Sterben von Tier- und Pflanzenarten hat viel mit der wirtschaftlichen Not in den weniger entwickelten Ländern zu tun. Auch hier müssen Politik und Wirtschaft näher zusammenrücken und vernetzter denken und arbeiten. Mein Unternehmen setzt sich deshalb in einer unternehmensübergreifenden Initiative für diese Vernetzung zum Erhalt der biologischen Vielfalt ein.

Last but not least der Klimaschutz: ebenfalls ein Thema zwischen Arm und Reich. In naher Zukunft werden aufgrund der fortschreitenden Landflucht zwei Drittel der Weltbevölkerung in städtischen Großräumen leben. Die Städte sind bereits heute verantwortlich für 80 Prozent des globalen Energiebedarfs und drei Viertel der Treibhausgasemissionen. Eine nachhaltige Stadtentwicklung vor allem in den Schwellenländern wird damit wichtiger denn je. Der Klimagipfel in Cancún war ein Schritt hin zu einem verbindlichen internationalen Handlungsrahmen und zur Förderung der ärmeren Länder. Ein Durchbruch war er noch nicht. Deshalb sollten wir in Europa konsequent Verantwortung übernehmen und weiterhin Vorbild sein.

Mein Fazit: Die globalen Probleme können wir nur lösen, wenn wir aufhören, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Politik, Wirtschaft, jeder Bürger kann - jeder für sich und gemeinsam - dazu beitragen, die Kluft zwischen Arm und Reich zu überbrücken. Nicht mit Arroganz und Almosen, sondern mit fairer Hilfe zur Selbsthilfe denjenigen gegenüber, denen es auch so gut gehen soll, wie es uns heute in Wahrheit geht.