Berlin. Vor acht Jahren hat ein Co-Pilot ein Flugzeug absichtlich zum Absturz gebracht. Hat sich die Situation für depressive Piloten geändert?

Vor acht Jahren war das Entsetzen und die Trauer groß, als die Nachricht von dem Absturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen um die Welt ging. 150 Menschen starben, darunter die sechsköpfige Crew und eine Schulklasse aus Haltern am See in Nordrhein-Westfalen. Das Entsetzen wurde in den darauffolgenden Tagen noch größer, als herauskam, dass der Co-Pilot die Maschine absichtlich zum Absturz brachte. Er war psychisch krank.

Nicht nur die Opfer-Anwälte fragten daraufhin: Was hätte getan werden müssen, um diese Katastrophe zu verhindern? Und wieso ließ sich Andreas Lubitz, der schon während seiner Ausbildung zum Piloten wegen einer schweren Depression in Behandlung war und auch danach noch weiter an schweren Angststörungen litt, nicht helfen?

Psychische Erkankungen auch bei Piloten

„Erst nach dem Germanwings-Vorfall hat man in der Luftfahrt zugegeben, dass es psychische Probleme gibt. Ein Pilot gilt immer als jemand, der alles kann, der in der kritischen Situation perfekt handelt. Aber es gibt auch dort Probleme“, sagt Gerhard Bühringer, klinischer Psychologe an der TU Dresden und Mitbegründer von AntiSkid, einem Hilfsprogramm für psychisch kranke Piloten. Er weiß um die Angst vieler Piloten: „Unter Piloten gibt es eine große Angst, wenn sie etwas zugeben – psychische Probleme etwa –, dann sind sie erstmal nach den rechtlichen Bestimmungen fluguntauglich“, sagt er. „Und viele ausländische Billigfluggesellschaften entlassen die Leute dann einfach.“

Die Anteilnahme nach der Tragödie vor acht Jahren war groß. Unter den Passagieren der Germanwings-Maschine: eine Schulklasse aus Haltern am See in NRW.
Die Anteilnahme nach der Tragödie vor acht Jahren war groß. Unter den Passagieren der Germanwings-Maschine: eine Schulklasse aus Haltern am See in NRW. © dpa | Rolf Vennenbernd

50 Prozent der Piloten, die in seinem AntiSkid-Programm – abgeleitet von einem Anti-Rutsch-System bei Flugzeugen – mitmachen, sind ohne Druck von außen hergekommen. Warum? Weil die Piloten Vertrauen haben. Laut Bühringer das A und O. Schnell, vertraulich und unbürokratisch werden hier Therapien angestoßen. Ohne die Sorge um den Arbeitsplatz.

Piloten helfen Piloten: AntiSkid-Programm

Gegründet wurde das Programm bereits vor fast 40 Jahren, damals vor allem für Piloten mit Suchtproblemen. Seit dem Absturz der Germanwings-Maschine steht das Programm auch psychisch erkrankten Piloten offen. Mittlerweile sind hier fast alle großen Fluggesellschaften beteiligt, 10.000 Piloten etwa werben in innerbetrieblichen Vorträgen dafür, jährlich werden zwischen 100 und 120 Piloten behandelt.

„Sucht man sich einen Psychotherapeuten auf dem freien Markt, dauert das einige Monate, bei uns dauert das eine Woche“, erklärt Bühringer. In der Anfangszeit der Behandlung kann es sein, dass Piloten übergangsweise fluguntauglich geschrieben werden. „Nach zwei bis drei Monaten Behandlung empfehlen wir dem Fliegerarzt und dem Luftfahrtbundesamt eine bedingte Flugtauglichkeit auszustellen. Der Pilot kann also wieder seinen Beruf ausüben, wird aber weiterhin von uns behandelt und kontrolliert“, sagt Bühringer. Insgesamt dauert das Programm zwei bis drei Jahre. Die Erfolgsquote liege etwa bei 90 Prozent.

Psychische Gesundheit rückt in den Mittelpunkt

Einziger Kritikpunkt: Das Luftfahrtbundesamt prüft danach sorgfältig, ob der betroffene Pilot wieder fliegen darf – schließlich ist AntiSkid keine offizielle Stelle. Und dieses Prüfverfahren kann sich ziehen - unter Umständen sehr lange. Thorsten Bender, erster Vizepräsident des Deutschen Fliegerarztverbandes, erklärt: „Der Entscheidungsprozess im Luftfahrtbundesamt, ob ein Pilot wieder fliegen darf, nachdem alle Untersuchungen abgeschlossen sind und die Ärzte ihn wieder als flugtauglich eingestuft haben, dauert momentan zwischen drei und zwölf Monaten.“

Der Germanwings-Flieger war 2015 über den französischen Alpen abgestürzt. Rettungskräfte bargen die Trümmer.
Der Germanwings-Flieger war 2015 über den französischen Alpen abgestürzt. Rettungskräfte bargen die Trümmer. © dpa | Guillaume Horcajuelo

Insgesamt aber ist das Thema psychische Gesundheit seit 2015 stark in den Fokus der Flugbehörden gerückt. Mussten beispielsweise früher Piloten lediglich bei der Einstellung ein psychologisches Gutachten erstellen lassen, so wird es mittlerweile auch noch mal erstellt, wenn der Pilot die Airline wechselt. Auch neu: Es wird stichprobenartig mit Test kontrolliert, ob der Pilot oder ein Crew-Mitglied Drogen, Alkohol oder Medikamente konsumiert. „Wer wann überprüft wird, entscheidet der Zufall“, sagt Julia Fohmann-Gerber, Pressesprecherin des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft. Es kann also sein, dass ein Pilot innerhalb kurzer Zeit mehrfach kontrolliert wird.

Datenbank für Flugärzte eingerichtet

Lubitz ließ sich wohl von verschiedenen Ärzten verschiedene Medikamente verschreiben. Was er zu sich nahm, wurde nicht kontrolliert. Und auch welcher Arzt ihm was verschrieb nicht. Fohmann-Gerber erklärt dazu: „Nach dem Germanwings-Absturz wurde eine flugmedizinische Datenbank eingeführt. In dieser Datenbank werden sämtliche Gesundheitsdaten von Piloten erfasst. Alle Ärzte, die Piloten beruflich betreuen, haben Zugriff auf diese Daten.“ Wenn ein Pilot früher also den betreuenden Flugarzt wechselte, kannte der neue Arzt unter Umständen nicht die Krankheitsgeschichte. Durch die Datenbank kann heute auf frühere Behandlungen aufgebaut werden. Und: „Diese Datenbank wurde nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa eingeführt“, sagt Fohmann-Gerber.

Insgesamt sieht sie die Gesundheit der Piloten nun gut aufgestellt. „Die Maßnahmen sind sehr weitreichend und viele gelten nunmehr in ganz Europa. Es gibt in der Branche ein Bewusstsein für psychische Probleme und den Umgang damit. EU-weite Standards sorgen dafür, dass diese psychischen Probleme rechtzeitig erkannt und behandelt werden können“, sagt Fohmann-Gerber.