Berlin. Kinderärzte in Israel zeigen sich besorgt: Die Zahl der PIMS-Fälle nimmt zu. Doch Experten schätzen die Lage in Deutschland anders ein.

Israel taucht im Gegensatz zu Deutschland bereits aus der Omikron-Welle auf. Die Zahl der Neuansteckungen geht zurück, in den Krankenhäusern werden mehr Covid-Patienten entlassen als aufgenommen. Von Entspannung kann aber noch keine Rede sein. „Wir müssen mit weiteren eineinhalb schwierigen Wochen rechnen“, sagte Premierminister Naftali Bennett vor der Sitzung des Corona-Kabinetts am Dienstag. „Was ich jedenfalls nicht sehen möchte, ist Selbstzufriedenheit, so als ob wir es schon hinter uns gebracht hätten“, mahnt Bennett weiterhin zur Vorsicht.

Immer noch im Ansteigen begriffen ist nämlich die Zahl der Patienten mit schwierigen Verläufen. Und was dabei auffällt, ist auch eine sprunghafte Zunahme an länger andauernden Komplikationen bei Kindern. Zwar handelt es sich dabei in absoluten Zahlen nur um wenige Fälle, und niemand weiß, ob es sich um eine längerfristige Tendenz handelt oder nur um einen kurzfristigen Trend.

Dennoch macht die Veränderung den Kinderärzten Sorge: Vor einer Woche gab es in ganz Israel nur einen PIMS-Fall. Derzeit stehen zehn Kinder unter Beobachtung, weil sie PIMS-ähnliche Symptome entwickelten. Sechs davon wurden bereits bestätigt.

Corona-Impfungen schützen vor dem PIMS-Syndrom

Unter PIMS versteht man ein multiples Entzündungssyndrom, das mit einer Vielzahl an Symptomen einhergehen kann, die aber nicht bei allen Patienten gleich schwer auftreten: Darunter hohes Fieber, starke Bauchschmerzen, Erbrechen, Hautausschläge und Herzprobleme, die länger andauern, aber auch Lunge und Niere können betroffen sein.

Das Syndrom tritt vor allem bei Kindern unter zwölf Jahren auf, und zwar zumeist vier bis sechs Wochen nach einer Corona-Infektion, wobei die Infektion häufig symptomfrei verlaufen ist.

Studien zeigen, dass die Impfung einen guten Schutz auch vor PIMS bietet. Zwar ist wie bei anderen schweren Verläufen kein hundertprozentiger Schutz gesichert, doch auch im Fall eines Auftretens von PIMS sind geimpfte Kinder meist von weniger starken Beschwerden geplagt als ungeimpfte Kinder, informiert Israels größtes Krankenkasseninstitut Clalit.

In der vergangenen Woche gab es 27 PIMS-Fälle in Deutschland

Das bestätigen auch deutsche Kinderärzte wie Florian Hoffmann, Oberarzt im Dr. von Haunerschen Kinderspital München und Generalsekretär des DIVI-Intensivregisters, das die Behandlungskapazitäten der Intensivmedizin erfasst. „Es konnte gezeigt werden, dass eine Impfung bei Kindern das Auftreten eines PIMS zu über 90 Prozent verhindert“, sagt er.

In der vergangenen Woche hat es in Deutschland 27 Neuaufnahmen in Kliniken mit Verdacht auf PIMS gegeben, ist dem Monitoring der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) zu entnehmen. In der Datensammlung tauchen alle Fälle auf, die Kliniken selbst melden, weshalb kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird. Andere Erhebungen gibt es für PIMS in Deutschland jedoch nicht.

Auch in Deutschland tritt PIMS auf: Die 13-jährige Charlotte litt im Dezember an dem Syndrom und wurde im Dresdner Universitätsklinikum behandelt.
Auch in Deutschland tritt PIMS auf: Die 13-jährige Charlotte litt im Dezember an dem Syndrom und wurde im Dresdner Universitätsklinikum behandelt. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Auswirkungen von Omikron auf PIMS-Fälle noch nicht abzusehen

„Die Kinder und Jugendlichen, die derzeit mit PIMS in den Kliniken liegen, haben sich Anfang oder Mitte Dezember angesteckt – also noch vor Omikron“, sagt Jakob Armann, Oberarzt für Pädiatrische Infektiologie und Pädiatrische Intensivmedizin an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in Dresden und Leiter des DGPI-Registers.

Deshalb könne man erst in ein paar Wochen sehen, wie sich Omikron auf die Fallzahlen von PIMS auswirke. Todesfälle infolge von PIMS habe es in Deutschland bisher nicht gegeben, obwohl das Syndrom in der Akutphase lebensbedrohlich ist. PIMS werde demnach rechtzeitig erkannt und könne dann schnell behandelt werden.

Kinderkliniken sind aktuell nicht überlastet

Die Größenordnung der Fallzahlen ließen nicht auf eine baldige Überlastung der Kinderkliniken schließen, schätzt Jakob Armann die Lage ein. Die Kinder-Intensivmedizin habe strukturelle Probleme, beispielsweise in der Pflege, diese würden aber nicht durch Corona- oder PIMS-Fälle verursacht.

Mit jeder neuen Variante des Coronavirus würde eine neue Welle an PIMS-Fällen auftreten, so habe es auch Delta gezeigt. Die Virus-Variante sei zwar weniger PIMS-auslösend gewesen als ihre Vorgänger, habe jedoch deutlich mehr Infektionen verursacht, die insgesamt zu ähnlich hohen absoluten PIMS-Fallzahlen führen. Seit Pandemie-Beginn wurden der DGPI 631 PIMS-Fälle gemeldet.

Zur Einordnung dieser Zahl vergleicht Jakob Armann mit dem Kawasaki-Syndrom, das zu einer ähnlichen Kategorie wie PIMS zählt und ebenfalls durch Infektionen ausgelöst wird: „Davon hatten wir vor Corona etwa 400 Fälle jährlich in Deutschland“. Das Kawasaki-Syndrom trete derzeit jedoch seltener auf, was wahrscheinlich auf die Corona-Schutzmaßnahmen zurückzuführen sei.

Selten schwere Verläufe bei Kindern durch Omikron

Insgesamt schätzt Armann die Gefahr von Omikron für Kinder als gering ein, da sich bisher vor allem bei gesunden Kindern sehr milde Verläufe zeigen. „Je kleiner die Kinder, desto geringer das Risiko“, stellt der Mediziner fest.

Auch die Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) ließen bisher keinen Rückschluss auf eine größere Gefahr durch Omikron zu: Derzeit liegt die Sieben-Tage-Inzidenz in der Altersgruppe der fünf- bis 14-Jährigen bei 3.133 und damit deutlich höher als bei allen anderen. Die Hospitalisierungsinzidenz ist dagegen mit 3,33 eine der geringsten.

Keine Hinweise auf eine höhere Mortalität

Seit Pandemie-Beginn habe es 47 Covid-19-Todesfälle bei Kindern und Jugendlichen und 20 Jahren gegeben, von denen 31 vorerkrankt waren. „Es gibt derzeit keinen Hinweis für einen Anstieg der Mortalität durch Omikron“, sagt Florian Hoffmann vom DIVI-Intensivregister. Erste Daten zeigten sogar, dass das Risiko einer Hospitalisierung, einer Aufnahme auf eine Kinderintensivstation oder die Notwendigkeit einer Beatmung über alle Altersgruppen um etwa 70 Prozent geringer ist als bei der Delta-Variante.

Gute Nachrichten für die kleinen Patienten sieht auch Jakob Maske vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. Es gebe zwar deutlich mehr Infektionen mit Omikron, aber dafür sehr leichte Verläufe. Auch für eine Überlastung der Kinder-Intensivstationen sieht er keine Anhaltspunkte. „Wir können die Eltern beruhigen“, sagt er.