Berlin. Die größte vulnerable Gruppe: Das sind wohl die jungen Erwachsenen. Von einem Impftermin sind sie weit entfernt. Himmel, wie unfair.

Die Teenie-Tochter hat eine Freundin, die in dieser Woche Biontech bekam. Einfach so, keine Vorerkrankung, keine Risiko-Patientin, sondern nur, weil sie das Glück hat, in der Kartei eines Kinderarztes zu sein, der seine Patientinnen und Patienten impft.

Das ist doch schön, sage ich, um sofort jedes aufkommende Gefühl von Impfneid zu unterdrücken. Dann hast du jemanden, mit dem du dich treffen kannst. Die Tochter nickt tapfer. „Ich möchte auch eine Impfung“, sagt sie. Kriegst du, tröste ich, sicher noch diesen Sommer.

Und dann steigt in mir diese Wut hoch. Warum bitte fordert niemand aus der Politik, der Wissenschaft, der Medien: Jetzt, sofort, sind die Teenager dran. Und die jungen Erwachsenen. Diejenigen, die vor ihren Abschlüssen stehen.

Die in der Blüte ihres Lebens auf Schule, Uni, Freunde, Hobbys, Partys, Livestyle, Reisen verzichten mussten, die, gerade als das politische Bewusstsein durch Fridays for future erwachte, bei jeglichem Engagement ausgebremst wurden.

Die gesamte Generation Z hängt zu Hause rum

Birgitta Stauber schreibt über Impfneid von Jugendlichen.
Birgitta Stauber schreibt über Impfneid von Jugendlichen. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Die Schule war immer als erstes dicht. Die Universitäten samt Bibliotheken sind seit drei Semestern geschlossen. Die gesamte ältere Generation Z hängt in den alten Kinderzimmern herum, um nicht in der Studentenbude zu vereinsamen. Das soziale Leben beschränkt sich auf gemeinsames Kochen mit den Eltern.

So, und jetzt mache ich das Neidfass so richtig auf: Wieso lässt es unsere Gesellschaft zu, dass rüstige Ü-60-jährige den sicheren und wirksamen Impfstoff von Astrazeneca verschmähen und sich mit ihrem Impfcode Biontech abholen – und damit den Stoff, den die Jugend braucht? Aus einem Gefühl heraus, der sei irgendwie Premium? Und weil das Impfintervall kürzer ist und damit die Malle-Reise doch noch unkompliziert wird?

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Wieso setzen wir nicht alles dran, dass Jugendliche wieder raus können ins Leben? Warum sagt keiner, Älteren kann man eher zumuten, zu Hause zu bleiben? Wieso wird nicht endlich die seelische Gesundheit der künftigen Leistungsträgerinnen und Leistungsträger unter die Lupe genommen?

Der Impfstoff für junge Erwachsene ist längst da

Ja, das ist meine Mutter-Perspektive. Ich will, dass es meinen Kindern gut geht. Meinen Nichten und Neffen. Und den Freundinnen und Freunden. Das ist mir näher als mein Sommerurlaub. Und vor allem der Sommerurlaub der 60+-Generation. Der Impfstoff ist längst da für junge Erwachsene ab 16, und ich finde, jetzt und sofort sind sie an der Reihe.

  • Damit diejenigen, die nach einer Oberstufe im Homeschooling im Herbst an den Unis durchstarten können.
  • Damit diejenigen, die im kommenden Sommer ihre Prüfungen ablegen, noch ein unbeschwertes Jahr haben.
  • Damit die Lehrlinge in die Berufsschule gehen können.
  • Damit die vielen einsamen Studierenden in fremden Städten ihre Gedanken aufgeben, einfach alles hinzuschmeißen.

Jugendliche und junge Erwachsene sind durchaus eine vulnerable Gruppe: Wie will ich sein, was will ich werden? Sexuelle Identität, Werte, Ziele, Haltungen: Noch ist bei ihnen alles im Fluss. Daheim im Kinderzimmer bleibt ihnen nur die Flucht über die sozialen Medien. Wollen wir wirklich zulassen, dass sie sich über Tiktok und Instagram sozialisieren statt über das Leben draußen?

In der Studentenbude geht jetzt die Sonne unter

Die Teenie-Tochter ist gerade dabei, sich in ihrem Zimmer zu verbarrikadieren. Sie hat sich eine Lampe im Internet gekauft, die an der Zimmerdecke einen Sternenhimmel erzeugt. Die Studententochter lässt abends in ihrer Bude künstlich die Sonne untergehen.

Beide züchten irgendwelche Pflanzen in Gläsern und lassen Efeu über die Regale wachsen. Der Studentensohn knüpft einsam in der fernen Stadt Wandteppiche. Von mir bekommen alle drei den Tapferkeitsorden der Stauber-Familie.

Und dann können sie nicht mehr – und feiern heimlich im Wald

Und nun sendet die Schule eine Nachricht abseits der obligatorischen Freitags-Mail: Abiturient:innen entschuldigen sich, weil sich acht von ihnen bei einer illegalen Party auf einer Waldlichtung mit Corona angesteckt „und so die die Gesundheit anderer“ gefährdet haben.

Oh ja, bestimmt haben sie sich eine ordentliche Strafpredigt vom Schulleiter anhören müssen. Bestimmt sind eine Menge Leute sauer auf sie.

Wieso ist eigentlich noch niemand auf die Idee gekommen, Abiturientinnen und Abiturienten zu priorisieren? Wäre der beste Schutz vor Superspreader-Partys.

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