Berlin. Korruption, leere Versprechungen, Regelwahn: Unsere Kolumnistin ist entsetzt über stümperhafte Politik und ihre taumelnden Akteure.

Wir haben mal gedacht, wir sind Weltmeister. Wir haben mal gedacht, Corona, das ist die Krise der anderen. Und als wir vor einem Jahr in den Lockdown gingen, Kuscheldecken häkelten und Sauerteigbrot backten, da drehten wir uns abends im Bett mit dem wohligen Gefühl um, gut, dass wir eine Kanzlerin haben, die den Wellenbrecher-Lockdown verordnet, einen Finanzminister, der die Bazooka rausholt, dazu die klügsten Impfstoff-Erfinder (und Erfinderinnen).

Doch in diesem Frühjahr ist nichts mehr wohlig. Dieses Frühjahr ist durchzogen von einem faulig-trüben Sumpf aus leeren Versprechen und Korruption, ein Sumpf, der die Fundamente meines Selbstverständnisses zerbröselt. Tatsächlich bin ich mehrfach geschockt:

Schock Nr. 1: Die USA impfen schneller

Der Impfstoff, das einzige echte Mittel gegen die Pandemie, tröpfelt in homöopathischen Dosen in unsere Oberarme – also für die Masse nahezu gar nicht.

Ausgerechnet Donald Trump hat es in der Endphase seiner Präsidentschaft mit seiner beispiellosen Unerschrockenheit und Ignoranz geschafft, „seinen“ Amerikanern den Impfstoff zu besorgen – ganz nach dem Motto: Wir haben Pandemie. Wir müssen den Stoff bestellen, auch wenn er noch gar nicht erfunden ist.

Deutschland und Europa zögerten und feilschten so lange, bis andere uns die Vakzine, die hierzulande entwickelt wurden, vor der Nase wegschnappten. Lesen Sie dazu: Impfstoffbeauftragter: So will er die Engpässe bezwingen

Schock Nr. 2: Das Kommunikationschaos

Die Politik ist heillos überfordert mit der Kommunikation – das führt permanent zu falschen Informationen. Es gab keine Masken, also hieß es, der Schutz sei ungewiss. Es gab(gibt) keine Tests für alle, also hieß es (und heißt es noch): Zu unsicher, zu fehleranfällig. Die Folge: Österreich besorgt erst die Tests und öffnet dann die Schulen, was logisch ist und Experten empfehlen, wir machen es umgekehrt.

Schock Nr. 3: Raffzahn-Politik wie in Aserbaidschan

Politiker der größten Volkspartei CDU (Georg Nüßlein, Nikolas Löbel) ließen sich mit sechsstelligen Summen für die Vermittlung von Aufträgen zur Maskenproduktion bezahlen. Offizielle Ausschreibung? Fehlanzeige. Faire Preise? Ebenso. Korruption aus dem Lehrbuch ist das, und zwar mitten in der größten Krise seit dem zweiten Weltkrieg.

Ein Vorgehen, was wir eher Politikern aus, sagen wir, Aserbaidschan zutrauen. Apropos Aserbaidschan: Zu dem autokratisch regierten Kaukasus-Land haben einige Abgeordnete, wieder CDU, beste Beziehungen. So fällt Lob, wo es nicht hingehört und es fließt Geld aus Ecken, von denen man es nicht erwartet. Mehr dazu: Vor den Landtagswahlen: Die Union hat Angst vor dem Absturz

Schock Nr. 4: Corona-Regeln über alle Vernunft

Schmieren und Mauscheln hört da auf, wo es Regeln für die Bevölkerung gibt. Denn Regeln aufstellen (und befolgen) können wir prima: Etwa, dass Corona-Vakzine noch viele Wochen in Impfzentren gespritzt werden sollen. So bekommen wir zwar nicht die Pandemie in den Griff, aber wir behalten wenigstens Kontrolle über die Impfreihenfolge. Wie gerecht die ist und ob sie Risikopatienten überhaupt schützt, wird zu klären sein. Vielleicht auch die Frage, wer davon profitiert, dass Menschen so lange durch teure Impfzentren geschleust werden, statt das Feld zügig den Haus- und Betriebsärzten zu überlassen.

Schock Nr. 5: Merkel versinkt im Föderalismus, Spahn taumelt

Und nun schüttelt es mich regelrecht vor Entsetzen, denn ich habe das vor der Krise Deutschland nicht zugetraut: Obwohl Punkte 1-4 bekannt, diskutiert und kritisiert sind, passiert nichts, außer, dass sich im 14-tägigen Rhythmus Bund und Länder beraten. Nächtelange Sitzungen, aus denen eine verschwitzt-erschöpfte Kanzlerin kommt und flankiert von einem taumelnden Gesundheitsminister verschwurbelte Ergebnisse aufzählt.

Schock Nr. 6: Die Realität kommt vom Robert-Koch-Institut

Gerade meldet das Robert-Koch-Institut, Ostern werde schlimmer als Weihnachten. Lesen Sie dazu: RKI-Prognose: Mehr Corona-Fälle an Ostern als Weihnachten

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