Berlin. Sandra Maischberger fragt, ob es eine „Attacke auf die Reichen“ gebe. Eine Unternehmerin meint Ja – und wird von Kevin Kühnert belehrt.

Es gibt viele Möglichkeiten, auf Deutschland zu blicken. Je nach Standpunkt ergibt sich dann ein ganz unterschiedliches Bild. Wer von links schaut, so wie es der Berliner Mietaktivist Michael Prütz, die „taz“-Journalistin Ulrike Herrmann und der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert tun, sieht ein Land am sozialen Abgrund: Wohnungsnot, Altersarmut, Lohndumping. Die Lösung ist ein Staat, der mehr Gerechtigkeit schafft – und das Geld von oben nach unten umverteilt.

Wer den liberalen Blickwinkel einnimmt – bei Sandra Maischberger waren dafür am Mittwochabend der Schönheitschirurg Werner Mang, die Unternehmerin Marie-Christine Ostermann und der ehemalige Wirtschaftschef der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ Rainer Hank zuständig –, sieht ein starkes Land. Eines, in dem der Job-Markt boomt und der Staat alljährliche Rekordüberschüsse erwirtschaftet. Das Problem aus dieser Perspektive ist nicht zu wenig Umverteilung – sondern zu viel.

Eine lebendige Diskussion, kein großkoalitionärer Konsens

Und spätestens beim Geld war klar: Es wird schwer, hier einen gemeinsamen Nenner zu finden. Die Maischberger-Redaktion präsentierte eine Runde, die ganz unterschiedliche Konzepte in der Wirtschafts- und Sozialpolitik verfolgte.

Schon der Titel der Sendung – „Attacke auf die Reichen: Beschimpfen, besteuern, enteignen?“ – ließ erahnen, dass es keinen großkoalitionären Konsens geben, dass hitzig diskutiert wird. Und so kam es auch – gut so!

Mietaktivist attackiert „Deutsche Wohnen“

Mietaktivist Michael Prütz würde den Immobilienkonzern „Deutsche Wohnen“ am liebsten enteignen.
Mietaktivist Michael Prütz würde den Immobilienkonzern „Deutsche Wohnen“ am liebsten enteignen. © WDR/Max Kohr | Max Kohr

Die 75 Minuten boten genügend Anschauungsmaterial für unterschiedliche Konzepte zur Zukunft des Sozialstaates. Mit Leidenschaft berichtete etwa der Mietaktivist Michael Prütz von seinen Erfahrungen aus Berlin. Sein Hauptgegner: der Immobilienkonzern „Deutsche Wohnen“. Den möchte Prütz am liebsten enteignen – und hat dafür ein Volksbegehren gestartet.

„Wir sind einer Attacke von gierigen Immobilienkonzernen ausgesetzt“, sagte der Links-Aktivist. Die „Deutsche Wohnen“ sehe Häuser als bloßes Renditeobjekt und sei ein Preistreiber im ohnehin überhitzten Berliner Wohnungsmarkt.

Ex-„FAS“-Journalist warnt vor „sozialistischen Expertimenten“

Dass mit Artikel 15 des Grundgesetzes theoretisch auch eine rechtliche Grundlage für Enteignung zur Verfügung steht, bestritt niemand in der Runde. Der Publizist Rainer Hank warnte aber vor „sozialistischen Experimenten“. „Preise sinken nur dann, wenn das Angebot ausgeweitet wird“, sagte der ehemalige „FAS“-Wirtschaftschef. Es müsse also mehr gebaut werden.

Der Schönheitschirurg Werner Mang, der selbst 200 Wohnungen vermietet, rechnete vor, dass die Rendite bei drei bis vier Prozent liege, wenn man den Bestand pflege – und das sei keine Abzocke. Doch auf dem Immobilienmarkt wird auch klar: Es ist etwas aus dem Lot geraten. Oder wie Juso-Chef Kevin Kühnert es ausdrückte: „Der Druck auf dem Kessel ist zu groß“.

Wohnen in Großstädten kaum noch zu bezahlen

Die Preise in Groß- und Universitätsstädten explodieren. Für Normalverdiener ist es kaum möglich, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Und ein Ende ist nicht in Sicht. „Es zieht die Menschen in die Städte“, sagte die „taz“-Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann.

Die Forderungen von der linken Seite: Mietenstopp, Enteignung, mehr sozialer Wohnungsbau. Also alles Forderungen, die Menschen treffen, die viel Geld haben – so wie die Unternehmerin Marie-Christine Ostermann.

Kommentar: SPD möchte sich profilieren – und macht den Makler zum Feind

Eine Unternehmerin, die als Lobbyistin auftritt

Die Debatte verlagerte sich von der Wohnraumproblematik hin zur Frage, wie viel Ungleichheit eine Gesellschaft aushält. Und Ostermann, die auch im Präsidium des Verbands der Familienunternehmer sitzt, tat jede Forderung nach mehr Umverteilung als Unsinn ab.

Kevin Kühnert hielt sie vor, von der Praxis keine Ahnung zu haben – denn der SPD-Nachwuchspolitiker forderte einen Spitzensteuersatz von 48 Prozent. „Das bezahlen alles die Unternehmen“, belehrte sie.

Kevin Kühnert führt Unternehmerin vor

Hatte bei Sandra Maischberger einen schweren Stand: Unternehmern Marie-Christine Ostermann, hier in der Diskussion mit Kevin Kühnert.
Hatte bei Sandra Maischberger einen schweren Stand: Unternehmern Marie-Christine Ostermann, hier in der Diskussion mit Kevin Kühnert. © WDR/Max Kohr | Max Kohr

Ostermann klang die meiste Zeit wie eine Lobbyistin – und wurde vom Juso-Chef vorgeführt. Als sie behauptete, dass Sportvereine unter höheren Spitzensteuern leiden würden, da sie dann keine Spenden aus der Wirtschaft mehr erhielten, konterte Kühnert kühl: „Sie wissen schon, dass man Spenden steuerlich absetzen kann?“.

Doch Ostermann blieb dabei: Was der Staat über die Steuer wegnehme, fehle hinterher beim Spendenaufkommen. Eine fragwürdige Logik, denn: „Der Sozialstaat funktioniert nicht nach dem Prinzip, dass jeder selber entscheidet, was er gibt“, so Kevin Kühnert.

Rente mit 63: „Niemand zwingt die Leute aufzuhören“

Wer der Unternehmerin aber zuhörte, konnte meinen, dass es tatsächlich einen Angriff auf die Reichen gibt. Dass der Staat alles tut, um der Wirtschaft Steine in den Weg zu legen. Beispiel Rente mit 63: In ihrem Betrieb fehlten so die Fachkräfte, beklagte Ostermann. Und wieder Kühnert: „Niemand zwingt die Leute aufzuhören“.

Dass Ostermanns Argumente nicht immer die besten waren, stellte auch der Mietaktivist Michael Prütz fest: „Beim Mindestlohn haben Sie auch schon den Untergang des Abendlandes heraufbeschworen. Und was ist passiert? Nichts.“

Hintergrund: Gesetzlicher Mindestlohn steigt 2019 auf 9,19 Euro

„Die Schulden von heute sind das Wachstum von morgen“

Doch was ist, wenn sich die Konjunktur weiter eintrübt, gar eine Rezession droht? Könnte der Mindestlohn nicht doch zum Job-Killer werden? Die „taz“-Autorin Ulrike Herrmann plädierte für Vorsorge – in Form einer höheren Staatsverschuldung.

„Die Schulden von heute sind das Wachstum von morgen“, sagte sie. Noch besser sei es aber, die Reichen zur Kasse zu bitten. Juso-Chef Kevin Kühnert hat schon einen Investitionsstau von 150 Milliarden Euro ausgemacht. Und wer dafür aufkommen soll, ist spätestens nach den 75 Minuten klar.

Die „Attacke auf die Reichen“, die Sandra Maischberger ausmachte, sie ist noch lange nicht vorbei.

Themen der sozialen Gerechtigkeit stehen derzeit auch bei der Bundesregierung hoch im Kurs. So hat etwa vor kurzem die SPD mit ihrem Vorstoß zur Grundrente einen Nerv getroffen. Wir haben zwölf wichtige Fakten zur Grundrente für Geringverdiener zusammengestellt.

Ebenfalls ein Dauerthema: Hartz IV. SPD-Chefin Andrea Nahles hatte zuletzt verkündet, man wolle Hartz IV hinter sich lassen. Auch das Pendant im Alter scheint reformbedürftig zu sein: Die Rentenversicherung erwartet in den nächsten Jahren mehr Rentner mit Grundsicherung.