Das Gericht ließ nur den Vorwurf zu, der Vater habe gegen das Waffenrecht verstoßen - wegen fahrlässiger Tötung muss er sich nicht verantworten.

Stuttgart. Ein gutes Jahr nach dem Amoklauf von Winnenden sind die Hinterbliebenen der 15 Opfer erneut schmerzhaft an die schrecklichen Ereignisse des 11. März 2009 erinnert worden. Denn das Landgericht Stuttgart ließ am Donnerstag die Anklage gegen den Vater des Amokschützen Tim K. zu – aber nicht in dem Umfang, wie sich die Angehörigen das wünschten. Sie wollen, dass sich der Vater wegen fahrlässiger Tötung verantworten muss, weil er die Tatwaffe und einen Teil der Munition ungesichert im Schlafzimmer aufbewahrt hatte. Auf fahrlässige Tötung lautete auch die Anklage der Staatsanwaltschaft. Aber das Gericht ließ jetzt nur den Vorwurf zu, der Vater habe gegen das Waffenrecht verstoßen. Damit drohen ihm nicht mehr fünf Jahre Haft, sondern höchstens ein Jahr.

Die Ermittler waren sich in dieser Bewertung lange Zeit nicht einig. Nach monatelangem Tauziehen wollten die Staatsanwälte den Fall eigentlich mit einem Strafbefehl beenden, weil sie ähnliche Zweifel hegten wie jetzt das Landgericht. Dagegen hatte aber im November 2009 der Stuttgarter Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger interveniert. Der erste Prozess seiner Art gegen den Vater des Amokläufers wegen fahrlässiger Tötung solle wachrütteln, hatte Pflieger betont: „So einen Fall hat es in Deutschland noch nicht gegeben. Wir hatten noch nie einen Strafprozess, bei dem jemand Drittes in Bezug auf einen Amoklauf belangt worden ist.“ Er hoffe auf ein „generalpräventives“ Signal: „In künftigen Fällen werden die Waffenbesitzer nicht sagen können, wir hatten keine Ahnung.“ Dreh- und Angelpunkt des Prozesses ist die Frage, ob Tim K. Zugang zum Waffentresor seines Vaters hatte, wofür das Gericht einige deutliche Anhaltspunkte sieht. In diesem Fall hätte er die Tat auch dann ausführen können, wenn sein Vater die Tatwaffe und Munition nicht unverschlossen im Kleiderschrank aufbewahrt hätte.

Nach Überzeugung des Gerichts ging der Vater davon aus, dass der Sohn das Versteck im Kleiderschrank nicht kannte. Und wenn der Vater zudem nicht wusste, dass sein Sohn den Tresor öffnen konnte, kann er auch dafür nicht zur Verantwortung gezogen werden. Dann bliebe das übrig, was das Gericht jetzt auch als Anklage zugelassen hat: „die fahrlässige Überlassung einer erlaubnispflichtigen Schusswaffe und erlaubnispflichtiger Munition an einen Nichtberechtigten“. Diese juristisch verwinkelte Denkweise stößt bei den Angehörigen der Opfer und bei vielen Betroffenen der schrecklichen Bluttat auf wenig Verständnis. Deshalb erwägt der Anwalt der Hinterbliebenen, Jens Rabe, eine Beschwerde beim Oberlandesgericht (OLG), um zu erreichen, dass sich der Vater doch noch wegen fahrlässiger Tötung verantworten muss.

Auch die Staatsanwaltschaft könne eine solche Beschwerde einlegen, meint Rabe. Die Sprecherin der Anklagebehörde sieht diese Beschwerdemöglichkeit nicht. Sie verweist darauf, dass das Gericht auch noch während des Prozesses die Anklagepunkte verändern kann. Vielleicht kommt dann also doch noch die fahrlässige Tötung wieder ins Spiel. Der 17 Jahre alte Tim K. hatte am 11. März an seiner ehemaligen Schule in Winnenden (Rems-Murr-Kreis) und bei seiner Flucht nach Wendlingen (Kreis Esslingen) 15 Menschen und sich erschossen. Er selbst kann nicht mehr belangt werden. Wann der Prozess gegen seinen Vater beginnt, ist nach Auskunft einer Gerichtssprecherin angesichts der vielen Unwägbarkeiten noch nicht absehbar.