Donnerstag jährt sich der Amoklauf von Winnenden. Der Tag steht im Zeichen der Trauer, aber auch der Ruf nach Konsequenzen ebbt nicht ab.

Winnenden. Endloser Schmerz, tiefe Trauer, große Hoffnung auf Antworten und weitere Konsequenzen - der Jahrestag des tödlichen Amoklaufs von Winnenden wird besonders für die Hinterbliebenen qualvoll sein. Am 11. März 2009 war der 17 Jahre alte Tim K. in die Albertville-Realschule gestürmt und hatte auf die Nächstbesten geschossen. Acht Schülerinnen, ein Schüler und drei Lehrerinnen starben. Bei seiner Flucht ins benachbarte Wendlingen ermordete Tim K. weitere drei Menschen. Dann setzte er seinem Leben ein Ende.

Am Jahrestag sollen zur Tatzeit ab 9.33 Uhr in Winnenden die Kirchenglocken läuten. Doch die Tränen der traumatisierten Schüler und Angehörigen soll niemand sehen: In einer stillen Trauerstunde vor dem offiziellen Teil mit Bundespräsident Horst Köhler werden die Hinterbliebenen unter Ausschluss der Öffentlichkeit der Opfer gedenken. Nicht geladen sind die Eltern des Todesschützen, doch auch sie leiden: Sie müssen damit leben, dass ihr Sohn furchtbares Leid über andere gebracht hat. Die Familie musste ihr Haus verlassen und lebt an unbekanntem Ort. Die Wucht des Zorns am Wohnort war zu stark. Das von den Boulevardmedien „Horrorhaus“ getaufte Domizil steht zum Verkauf.

+++ DIE ABENDBLATT-REPORTAGE: WINNENDEN - EIN JAHR DANACH +++

Der erste Jahrestag des Amoklaufs steht aber nicht nur im Zeichen der Trauer - der Ruf nach weiteren Konsequenzen ebbt nicht ab. Im Fokus stehen die Schulen und der Umgang mit Waffen in Privatbesitz. „Die Angst der Angehörigen vor den Veranstaltungen des Jahrestags ist groß. Er sitzt ihnen im Nacken. Der Jahrestag ist für sie aber auch ein Meilenstein der Aufarbeitung“, sagt der Waiblinger Anwalt Jens Rabe. Er wird einige Eltern im Prozess gegen den Vater des Amokläufers vor dem Landgericht Stuttgart vertreten. Hardy Schober, Vater der getöteten 15 Jahre alten Jana, spricht aus, was sich wohl viele Angehörige fragen: „Wie konnte es dazu kommen, dass der Täter zu so einem Mordinstrument geworden ist?“

Im Abschlussbericht der Polizei steht, dass der 17 Jahre alte geübte Schütze an seiner Ex-Schule in sieben Minuten 60 Schuss abfeuerte; mindestens 285 Schuss Munition hatte er bei sich. Der rund 400 Seiten dicke Abschlussbericht enthält keine Hinweise auf Mitwisser oder Mittäter, das Motiv ist nach wie vor unbekannt. Tim K. galt als labil, er soll isoliert gewesen sein und kaum Freunde gehabt haben. Der 51 Jahre alte Vater des Amokschützen muss sich wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht verantworten: Die Tatwaffe lag unverschlossen und damit gesetzeswidrig im elterlichen Schlafzimmer, ebenso reichlich Munition. Nach den Worten des Stuttgarter Generalstaatsanwalts Klaus Pflieger soll der Prozess ab Herbst klären, ob der Vater den Waffenmissbrauch seines Sohnes vorhersehen konnte und so die Folgen des Amoklaufs fahrlässig verursacht hat.

Pflieger hat große Hoffnung, dass vom Prozess ein „generalpräventives Signal“ ausgeht - unabhängig von einer Bestrafung des Vaters: „In künftigen Fällen werden die Waffenbesitzer nicht sagen können, wir hatten keine Ahnung. Von jetzt an weiß man, wozu ein laxer Umgang mit Waffen führen kann.“ Schuld- und damit straferhöhend könnte sich für den Vater im Prozess auswirken, wenn sich herausstellen sollte, dass er von möglichen psychischen Problemen seines Sohnes wusste. Ein Jahr vor dem Blutbad hatte Tim K. gegenüber seiner Mutter den Wunsch nach Behandlung geäußert und in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik auch mehrere Gespräche mit einer Therapeutin geführt. Dort sprach er von Mord- und Tötungsfantasien sowie Hass auf die Menschheit. Die Eltern bestreiten, davon in Kenntnis gesetzt worden zu sein.

Das Massaker an der Schule hatte Konsequenzen: Im Juli 2009 wurde ein verschärftes Waffenrecht beschlossen. Den im „Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden“ zusammengeschlossenen Eltern gehen die Änderungen aber nicht weit genug. Sie werfen der Regierung ein Einknicken vor der Waffenlobby vor. Außerdem will das Bündnis ein Verbot von Computerspielen mit brutalen Inhalten erreichen - Tim K. hatte nachweislich mit dem Ballerspiel „Counter Strike“ gespielt.

Die vom Amoklauf betroffene Albertville-Realschule wird von August an für 5,6 Millionen Euro umgebaut. Das Aussehen soll wesentlich verändert werden, vorgesehen sind Platz für zusätzliche Klassen und eine verstärkte Jugendsozialarbeit. Die Sicherheit soll mit einer neuen Sprechanlage, einem „Amok-Alarmsystem“ und speziell verriegelbaren Türen verbessert werden.