Vor einem Jahr gründete Annette von Rantzau das private Schlossinternat, um mit einem neuen Konzept eine Alternative zum reformierten Hamburger Schulsystem anzubieten.

Noch vor einem Jahr hatte Lucia Kucharska (16) keine Lust auf Mathe und eine satte Fünf. Auch in anderen Fächern bekam sie nur Fünfen und Vieren und statt sich für die Schule anzustrengen, hing die Bramfelderin lieber mit Freunden ab. Seit einem Jahr besucht Lucia das Schlossinternat Rohlstorf in Schleswig-Holstein und sagt heute: "Die jetzige Mathelehrerin hat mir gezeigt, dass Mathe Spaß macht. Heute bin ich eine der Besten in der Klasse und habe doch noch meinen Realschulabschluss geschafft." Lucia Kucharska ist Tochter einer Polin und eines Irakers. Jetzt will sie in Rohlstorf sogar ihr Abitur machen.

Im Schlossinternat Rohlstorf bei Bad Bramstedt, eine Autostunde von Hamburg entfernt, hat Schulleiterin Annette von Rantzau vor einem Jahr die Notbremse gezogen. Die ehemalige Hamburger Gymnasiallehrerin und Mutter von vier Söhnen startete in

ihrem Privat-Internat ein erfolgreiches Pilotprojekt, mit dem sie einen Gegenpol zur "Schulreform-Wut" setzen will. Denn weil 2010 in Hamburg die Primarschule und Stadtteilschule eingerichtet werden, rechnen viele Schüler mit noch mehr Leistungsstress, Lehrer verzweifeln im Reform-Chaos, Eltern sind frustriert vom Hamburger Schulsystem. Das Internat Rohlstorf soll eine Alternative dazu sein. Im schmucken Herrenhaus in einem 4,5 Hektar großen Park am Wardersee können seit dem vergangenem Schuljahr nicht mehr schulpflichtige Kinder ihren externen Haupt- oder Realschulabschluss nachholen. In diesem Jahr schafften diesen bereits 78 Prozent des Pilot-Jahrgangs. In Hamburg beträgt die Erfolgsquote für externe Nachprüfungen von Haupt- oder Realschülern gerade mal 30 Prozent.

"Ich bin von der Schule geflogen, habe dann fünfmal gewechselt, hatte Probleme mit der Polizei. Und mit meinen Eltern habe ich mich überhaupt nicht mehr verstanden. In Rohlstorf habe ich jetzt einen Notendurchschnitt von 2,5 und den Realschulabschluss geschafft", sagt Justus Albers (18) aus Bremen.

Lucia und Justus sind ein Beispiel dafür, dass auch Schul-Abbrecher, wenn sie in das richtige Lernkonzept eingebunden sind, eine Chance haben, ihren Abschluss zu machen. Jedes Jahr verlassen 80 000 Kinder in Deutschland die Schule ohne Abschluss. In Hamburg bleibt jedes zehnte Kind ohne Abschluss. "Wir bieten bereits aufgegebenen Schülern eine Bildungsalternative, die mit straffen Strukturen, einem geregelten Tagesablauf und Unterricht in den Kernfächern doch noch zu einem erfolgreichen Abschluss verhilft", sagt Annette von Rantzau. Vor sechs Jahren übernahm sie ehrenamtlich die Gesamtleitung des Internats Rohlstorf. Im vergangenen Sommer entwickelte Annette von Rantzau zusammen mit Michael Roelofs das neue Konzept. Roelofs ist Sozialpädagoge und seit 2002 pädagogischer Leiter im Internat Rohlstorf.

Es startete zunächst mit 16 Schülern in einen Realschulkurs im Internat. In der sogenannten Ergänzungsschule lernen die Kinder ein Jahr lang in kleinen, von Fachlehrern und Sozialpädagogen betreuten Gruppen für die externe Realschul-Prüfung, die von Mitarbeitern der Hamburger Schulbehörde abgenommen wird. Ab diesem Schuljahr (2008/2009) gibt es zum ersten Mal auch die Möglichkeit, in Rohlstorf den Hauptschulabschluss extern nachzuholen.

Eines der Erfolgsrezepte: In Rohlstorf wird auch nach 13 Uhr weiter gelernt. Nach dem gemeinsamen Mittagessen geht es in Nachbereitungs-Kursen weiter und es gibt psychosoziale Betreuung. Das Konzept ist personal- und zeitintensiv. Auf 26 interne Schüler und 34 externe Schüler (die im Internat Rohlstorf wohnen und in umliegenden Schulen lernen) im Alter von 15 bis 22 Jahren kommen 30 Lehrkräfte. "Wir haben keine schwer erziehbaren Kinder, wohl aber Kinder, die im privaten und sozialen Umfeld Probleme haben und sich aufgegeben haben", sagt Michael Roelofs. "Die große Herausforderung ist, dass man die Schüler individuell fördern kann. In Rohlstorf erreichen wir die Kinder da, wo sie stehen. Und wir fördern nicht nur die Schwächeren, sondern auch gute Schüler", sagt Mathelehrerin Angela Mollenhauer. Ihr Kollege Cord Gudegast (34), Gymnasiallehrer für Englisch und Geschichte, meint: "Ich war vorher auf öffentlichen Schulen. Es hat mir dort nicht gefallen. Ich wollte meinen Beruf vernünftig machen, deshalb gebe ich jetzt Unterricht in Rohlstorf."

Natürlich hat eine derart intensive Betreuung ihren Preis. Die monatliche Schul-Internatsgebühr liegt bei rund 2000 Euro. "Bei mir hat die ganze Familie alle Ersparnisse zusammengetragen, damit ich hier meinen Abschluss machen kann", sagt Justus Albers. Er will jetzt sogar sein Abitur machen, träumt von einer Ausbildung in der IT-Branche.

Auch Hamburgs Jugendämter unterstützen in einigen Fällen und bei einer sichtbar hohen Motivation der Schüler deren Eltern bei der Finanzierung. "Ich habe mich richtig angestrengt, weil ich etwas zurückgeben wollte, an die, die mir das hier ermöglicht haben. Mein Traum ist jetzt, Psychologin zu werden", sagt Lucia Kurchaska, die Unterstützung vom Jugendamt in Hamburg bekommt.