Experten warnen vor Überschwemmungen. In Haiti sind nach dem Erdbeben im letzten Jahr noch immer 630.000 Menschen obdachlos.

Port-au-Prince. Mit Bangen haben die Menschen in Haiti am Donnerstag auf die Ankunft von Tropensturm "Emily“ gewartet. Nach dem verheerenden Erdbeben im vergangenen Jahr sind dort noch immer mehr als 600.000 Menschen obdachlos und leben in provisorischen Hütten oder Zelten. Die Wassermassen, die der Sturm mit sich bringt, könnten viele der Notunterkünfte buchstäblich wegspülen, befürchten Experten. Bis zu 500 Millimeter Regen seien in einigen höher gelegenen Gegenden möglich, sagte John Cangialosi vom Hurrikan-Zentrum der USA. Und das, obwohl der Sturm den Vorhersagen zufolge die Insel nur streifen wird.

"Der Sturm bringt eine Menge Regen mit sich“, sagte Diana Goeller vom Hurrikan-Zentrum der Nachrichtenagentur AP. "In den bergigen Gegenden könnte es lebensgefährliche Erdrutsche und sturzflutartige Überschwemmungen geben.“ Obwohl das Zentrum des Sturms nie näher als 160 Kilometer an Puerto Rico herangekommen sei, habe "Emily“ dort für bis zu 250 Millimeter Regen gesorgt, sagte Michel Davidson von der US-Wetterbehörde NOAA.

In der Nacht zum Donnerstag erreichten die ersten Ausläufer des Sturms die Insel Hispaniola, auf der Haiti und die Dominikanische Republik liegen. Starke Windböen peitschten über die Südküsten der Insel. Meteorologen gingen davon aus, dass der Sturm mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 85 Stundenkilometern am Donnerstagmorgen (Ortszeit) auf Land treffen würde. Die Dominikanische Republik hielt die Sturmwarnung für die Südküste aufrecht, gab aber für den nördlichen Teil des Landes Entwarnung.

Menschen können nur wenig tun

"Wenn irgendein Sturm kommt, dann ist das unser Untergang“, sagte Renel Joseph, eine 57-jährige Bewohnerin von Cité Soleil, einem Elendsviertel von Haitis Hauptstadt Port-au-Prince. Die verarmten Menschen könnten nicht viel tun, um sich vorzubereiten, sagte François Prophete, während er versuchte, sein Backsteinhaus in den Hügeln vor Port-au-Prince wetterfest zu machen.

Die Behörden vor Ort riefen die Menschen dazu auf, Vorräte anzulegen und ihre Habseligkeiten zu sichern. David Preux von der Internationalen Organisation für Migration sagte, er erwartete, dass sich die Situation über Nacht verschlechtern werde. "Wenn die Leute bis zum letzten Moment warten, bis sie flüchten, ist das ein Problem.“

Einige Menschen hätten von Überschwemmung bedrohte Gebiete bereits verlassen und seien bei Freunden oder Verwandten untergekommen, sagte Emanuelle Schneider, Sprecherin des UN-Büros zur Koordination der Hilfsanstrengungen. Bis Mittwochabend habe es aber keine von der Regierung koordinierten Evakuierungen gegeben. Bereits im Juni verursachte ein Sturm mit heftigen Regenfällen Erdrutsche und Überschwemmungen, bei denen 28 Menschen ums Leben kamen.

Habseligkeiten in Plastikbeuteln

Joceline Alcide hat die Geburtsurkunden ihrer beiden Kinder und ihre Schulunterlagen in Plastikbeutel getan, die eine Hilfsorganisation verteilt hat. Es ist das Einzige, was sie tun kann, um sich zu schützen. "Es gibt wirklich nicht viel, was wir tun können. Wir haben nur diese Beutel“, sagte die 39-Jährige, während sie vor dem Zelt stand, das ihr und ihrer Familie als Heim dient.

Am frühen Donnerstag (Ortszeit) bewegte sich der Sturm nach Angaben des Hurrikan-Zentrums mit elf Kilometern pro Stunde vorwärts. Das Zentrum lag noch 160 Kilometer südsüdöstlich von Port-au-Prince. (dapd)