Sie musste 70 Tage um ihn bangen. Das Abendblatt sprach exklusiv mit Jessica Yanez am Tag nach der Rettung ihres Mannes Esteban Rojas.

San José. Topfdeckel klappern, Kinder schreien im Hintergrund, der Fernseher plärrt. Jessica Yanez, 43 Jahre, Spitzname Tina, kocht für ihren Sohn, der gleich zur Schule muss. Es hört sich alles nach normalem Leben an. Aber das ist es nicht. Nicht mehr seit dem 5. August, als ihr Mann Esteban in der Mine San José verschüttet wurde und sie 17 lange Tage und Nächte auf ein Lebenszeichen von ihm warten musste. Und erst recht nicht, seitdem er als 18. Minero um 14:49 Uhr Ortszeit nach 70 Tagen wieder aufgefahren war - aus 625 Metern Tiefe.

Es hatte ausgesehen, als wollten sie sich nie wieder loslassen. Um sie herum standen die Retter , aber das war ihnen egal. Bei der Verabschiedung am Unglückstag hatten sie sich noch gestritten, weil er zur Arbeit ging, obwohl er einen freien Tag nehmen wollte: "Was willst du denn nachher essen?", hatte Tina ihn gefragt. Esteban hatte geantwortet: "Egal, ich nehme einfach eine Dose Thunfisch und Tomate." Er hatte mürrisch geklungen.

Doch an ihren albernen Streit von damals haben sie keine einzige Sekunde lang gedacht, als sie sich zweimal kurz sehen durften: jeweils fünf Minuten nach seinem Ausstieg aus dem Rettungskorb und dann im Krankenhaus von Copiapó, wohin man Esteban und die 32 weiteren Geretteten brachte. "Es geht ihm gut", erzählt Tina, "im Grunde handelt es sich nur um Routineuntersuchungen. Aber die Brille darf er noch nicht abnehmen."

So wie Esteban Rojas befänden sich die meisten der Bergleute erstaunlicherweise in einem zufriedenstellenden Zustand, sagte Gesundheitsminister Jaime Mañalich. Zwei Bergarbeiter mussten sich allerdings bereits einer schweren Zahn-OP unter Vollnarkose unterziehen. Ein weiterer wird wegen einer Lungenentzündung mit Antibiotika behandelt. Zwei oder drei Kumpel könnten im Laufe des Tages jedoch schon möglicherweise entlassen werden. Wird es Esteban sein?

Tina weiß es nicht. "Es stehen noch einige Untersuchungen an. Das Einzige, was ich will, ist, dass er schnell nach Hause kommt." Erst dann werde sie das Geschehene realisieren und verarbeiten können. Jetzt fühle sie sich einfach nur entsetzlich müde. "Ich bin über zwei Monate wie eine Tote durchs Leben gewandelt."

Esteban dagegen ist wiederauferstanden. Als Erstes hat er Gott gedankt, dass sie wieder vereint sind. "Er fühlt sich wie ein neuer Mann, neugeboren", erzählt Tina. "Die Mine, sagte er mir, habe ihn und seine Kameraden ein zweites Mal auf die Welt gebracht." Sie lacht. "Wir konnten ja nicht lange miteinander reden heute, aber Esteban hat gemeint, dass er sich verändert habe - zum Guten! Er hat mir versichert, dass er die Familie jetzt mehr zu schätzen wisse - und dann hat er auch noch gesagt, dass er in Zukunft mit den Kindern mehr Geduld haben möchte, wie überhaupt mit dem ganzen Leben."

Diese Geduld wird er aller Voraussicht nach auch brauchen, denn Estebans Weg zurück ins normale Leben ist weiter, als er und Tina befürchtet haben: "Er hat noch nicht verarbeitet, was passiert ist, und er bittet uns, Geduld mit ihm zu haben. Er sagt, er habe Albträume, aber er ist sich sicher, dass er es mit unserer Unterstützung schaffen wird, die Hölle des Erlebten zu vergessen und weiterzuleben." Meist habe er davon geträumt, dass das Gestein in der Mine über ihm zusammenbricht.

Ende November wollen sie wahr machen, was Esteban ihr aus seinem unterirdischen Verlies heraus versprochen hat: kirchlich heiraten - 25 Jahre nach ihrer standesamtlichen Trauung. Der Trauzeuge steht bereits fest: "Es ist der chilenische Bergbauminister", verrät Tina, "ein sehr herzlicher Mann."