Das schwere Erdbeben in Chile hat der US-Raumfahrtbehörde NASA zufolge zu einer nachhaltigen Verschiebung der Erdachse geführt.

Washington/Santiago de Chile. Das schwere Erdbeben in Chile hat einem Experten der US-Raumfahrtbehörde NASA zufolge zu einer Verschiebung der Erdachse geführt. Durch das Beben der Stärke 8,8 habe sich die Achse nach Berechnungen des Wissenschaftlers Richard Gross um acht Zentimeter verschoben, erklärte die NASA am Dienstag. Sollte sich dies bestätigen, würde das laut Gross bedeuten, dass die Tage künftig um 1,26 Mikrosekunden kürzer sind. Eine Mikrosekunde entspricht dem millionsten Teil einer Sekunde. Die Erde dreht sich in 24 Stunden einmal um ihre eigene Achse. Verändert sich deren Lage, verändert sich auch die Art der Rotation und entsprechend die Dauer der Tage.

Durch das Erdbeben der Stärke 9,1 im Dezember 2004 im Indischen Ozean hatte sich nach Angaben der NASA die Erdachse um rund sieben Zentimeter verschoben. Dadurch seien die Tage um 6,8 Mikrosekunden kürzer geworden.

In den vom Beben verwüsteten Regionen Chiles hat sich den Vereinten Nationen zufolge die Situation inzwischen stabilisiert. „Ja, es hat Plünderungen und Schießereien gegeben, das waren aber Einzelfälle. Wir können die Situation, den Umständen entsprechend, als ruhig bezeichnen“, sagte die stellvertretende UN-Nothilfekoordinatorin Catherine Bragg am Dienstag in New York. Die Regierung von Präsidentin Michelle Bachelet hatte dennoch vorsorglich weitere 7000 Soldaten in das Katastrophengebiet südlich der Hauptstadt Santiago entsandt. Unterdessen traf US-Außenministerin Hillary Clinton zu einem Kurzbesuch in Santiago ein.

Bis Dienstagmittag galt in der von dem Beben schwer getroffenen Stadt Concepción eine Ausgangssperre. Am Vortag war es in Vororten der Stadt zu Schießereien zwischen organisierten Banden, bewaffneten Bürgerwehren und dem Militär gekommen. In der Gemeinde San Pedro de la Paz seien zwei Menschen getötet worden, sagte die Journalistik-Dozentin Claudia Lagos der Deutschen Presse-Agentur dpa.

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Unruhen als „Soziales Erdbeben“

Fernsehkommentatoren sprachen von einem „sozialen Erdbeben“. „Eines muss klar sein: Damit Hilfe geleistet werden kann, müssen Ruhe und Ordnung herrschen“, betonte Verteidigungsminister Francisco Vidal. Die Wiederherstellung der Ordnung sei derzeit das größte Problem, die Lage sei explosiv.

Die Hilfe für die rund zwei Millionen Hilfsbedürftigen lief langsam an. Helikopter brachten erstmals in größerem Umfang Lebensmittel und Medikamente auch in entlegene Küstenorte, die von einer bei dem Beben ausgelösten Flutwelle zum Teil zerstört worden waren. Die Strom- und Wasserversorgung konnte in einigen Bereichen wiederhergestellt werden.

Plünderungen in unzerstörten Geschäften

Viele Menschen plünderten Lebensmittelgeschäfte, da es vielerorts kein Wasser und kaum Essen gab. Die wegen solider Bauweise größtenteils nicht eingestürzten Geschäfte blieben trotz gut gefüllter Warenregale wegen Strommangels geschlossen. Während die meisten Menschen bei Plünderungen nur Grundnahrungsmittel mitnahmen, nutzten Kriminelle das Durcheinander für große Raubzüge.

Bragg lobte die chilenische Regierung und die Katastrophenvorsorge des Landes. „Chile ist vielleicht das Land Lateinamerikas, das am besten für eine solche Katastrophe vorbereitet ist. Es hat außerordentlich strenge Bauvorschriften. Welches andere Land würde schon ein Beben der Stärke 8,8 so überstehen?“ Es gebe eine klare Führung, die sich auch in der Krise bewiesen habe. „Deshalb sind die Vereinten Nationen auch nur mit einem verhältnismäßig kleinen Team hier. Wir helfen gern, aber die Führung liegt in Chile.“

Bisher habe das Land keine Lebensmittelhilfe angefordert. „Chile braucht Feldlazarette, weil auch einige Krankenhäuser eingestürzt sind. Zudem haben wir Wasseraufbereitungsanlagen angeboten und logistisches Material, zum Beispiel Satellitentelefone.“ Es sei aber nicht hilfreich, unkoordinierte Hilfe zu senden. „Hilfe ist willkommen, aber wir sollten auf klare Anforderungen aus Chile warten.“ Die Vereinten Nationen hofften, dass das Land die Folgen des Erdbebens aus eigener Kraft bewältigen könne.

Zahl der Toten bei 795 – noch hunderte Vermisste

Die Zahl der registrierten Todesopfer des Bebens vom Sonnabend ist auf 795 gestiegen. Örtliche Medien zitierten Präsidentin Michelle Bachelet am Dienstag mit diesen Angaben. Allerdings wurden in den von einem Tsunami verwüsteten Küstenregionen noch Hunderte von Bewohnern vermisst. Die genaue Zahl der Obdachlosen war unbekannt. Die Zahl der zerstörten oder beschädigten Wohnungen wurde mit etwa zwei Millionen angegeben.

Eine Mitarbeiterin der Hilfsorganisation World Vision, Paula Saez, berichtete unterdessen von schweren Zerstörungen in den Regionen Bíobío und Maule. „Einige Städte wie zum Beispiel Chillan, Curico und Lota sind von der Außenwelt abgeschnitten und zum Teil komplett zerstört. Die Menschen brauchen dringend Nahrungsmittel und Trinkwasser. Manche Dörfer, wie beispielsweise Puerto Saavedra, erscheinen völlig menschenleer. Die Bewohner haben sich aus Angst vor weiteren Flutwellen in die umliegenden Wälder und auf höher gelegene Hügel zurückgezogen“, teilte die Organisation mit.

Dichato, ein kleines Fischerstädtchen, sei völlig zerstört. Das Ausmaß der Schäden sei gigantisch. In vielen der kleinen, einst malerischen Küstenorte, hätten sich zurzeit des Erdbebens tausende Urlauber aufgehalten. In Concepción setzten Helfer die Suche nach Überlebenden in einem umgestürzten 14-stöckigen Wohnhaus fort. Sie versuchten, zu möglicherweise sieben Überlebenden vorzudringen.

Internationale Hilfe zugesagt

US-Außenministerin Clinton sagte Chile bei ihrem Besuch langfristige Hilfe zu. In Gesprächen mit Präsidentin Michelle Bachelet und deren gewähltem Nachfolger Sebastián Piñera verschaffte sie sich einen ersten Eindruck vom Ausmaß der Katastrophe.

Clinton brachte unter anderem Satellitentelefone mit, um die Kommunikation in den Katastrophengebieten zu verbessern. Zudem wollten die USA acht Anlagen zur Wasseraufbereitung, ein Feldlazarett, Stromgeneratoren, Medikamente und Behelfsbrücken liefern. Perus Präsident Alan García übergab ein Feldlazarett. Am Vortag hatte schon Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva Hilfe zugesagt.