Entlang der Oder stiegt das Wasser um bis zu elf Zentimeter. Das Umweltamt empfiehlt Bauern und Schäfern, das Vorland zu räumen.

Warschau. Die Flutwelle rauscht langsamer heran als gedacht. In Brandenburg sei voraussichtlich erst Mitte nächster Woche mit dem Höchststand zu rechnen, hieß es am Donnerstag in einer Mitteilung des Landesumweltamtes. Vor allem durch die Flutung von Poldern auf der polnischen Seite und Überschwemmungen nahe der Stadt Opole verschiebe sich das Eintreffen der Hochwasserwelle. In Polens Hauptstadt Warschau sollte am Donnerstagnachmittag die erste Flutwelle auf der Weichsel eintreffen.

Die Stadt sei gut vorbereitet, versicherte Stadtpräsidentin Hanna Gronkiewicz-Waltz. 200 000 Sandsäcke stünden zur Verfügung, ebenso zusätzliche Feuerwehr- und Militärkräfte, sagte eine Stadtsprecherin. Den höchsten Stand von geschätzten 7,80 Metern - einen Rekordstand in der Nachkriegszeit - sollte der Fluss am Freitag erreichen.

In Deutschland war die Lage noch entspannt. Die Wasserstände in Ratzdorf - am Eintritt der Oder nach Brandenburg - befänden sich derzeit fast einen halben Meter unter dem Richtwert für die Alarmstufe 1, hieß es beim Landesumweltamt. Mit der Alarmstufe 1 werde an diesem Wochenende gerechnet, mit dem Scheitel rund drei Tage später. Das Amt rief dazu auf, das Vorland der Deiche zu räumen.

Nach der großen Oder-Flut von 1997 seien die Deiche für Millionen Euro verstärkt worden, diesmal seien deshalb keine großen Schäden zu erwarten, sagte der stellvertretende Leiter des Wasser- und Schifffahrtsamtes Eberswalde, Sebastian Dosch. „Der Wasserspiegel der Oder steigt nur langsam, da rollt also kein Tsunami auf uns zu.“

Der Präsident des Landesumweltamtes in Brandenburg, Matthias Freude, erklärt: „Brandenburg hat 169 Kilometer Oderdeiche. Davon sind seit dem Hochwasser von 1997 rund 90 Prozent saniert und zum Teil sogar neu gebaut worden. Da wurde richtig viel Geld reingesteckt - bis zum 1. Januar 2010 waren das 218 Millionen Euro. Es kommen noch 14,8 Millionen Euro hinzu.“

„Es wird aber allenfalls die zweithöchste Alarmstufe 3 ausgerufen werden“, sagte ein Sprecher des Lagezentrums im Innenministerium. Die Flut wird demnach nicht so hoch sein wie beim „Jahrhunderthochwasser“ von 1997. Falls erforderlich, sollen auch in Brandenburg Polder geöffnet und Flächen gezielt überflutet werden.

In Polen bereiteten sich am Donnerstag die Behörden in der Mitte des Landes auf die Wassermassen vor. In Warschau galt vor allem der Zoologische Garten am rechten Weichsel-Ufer als gefährdet. Der Zoodirektor schloss nicht aus, dass einige gefährliche Tiere erschossen werden müssen, falls das Wasser ihre Gehege erreicht. Laut Stadtbehörden können die Deiche einem Weichsel-Pegel von bis zu acht Metern standhalten. Falls sie brechen, wären bis zu 100 000 Menschen bedroht, sagte der Chef des Verwaltungsbezirks Mazowsze, Jacek Kozlowski.

Die Wassermassen in Weichsel und Oder bewegten sich weiter flussabwärts nach Norden. In der Umgebung von Oppeln in Schlesien hatten am Vormittag 20 000 Menschen keinen Strom. Mehr als 30 Schulen und Kindergärten sowie ein Gericht blieben geschlossen. Polens Regierungschef Donald Tusk sagte, die Pegel der Weichsel seien an einigen Orten höher als jemals zuvor in den vergangenen 160 Jahren. Die Schäden könnten sich auf zwei Milliarden Euro summieren.

In Tschechien und der Slowakei entspannte sich die Lage, ebenso im Süden Polens. Die Menschen dort litten aber weiter unter den Folgen der Flut. Große Gebiete bei Sandomierz und Tarnobrzeg standen unter Wasser. Dutzende Häuser waren einsturzgefährdet.

Nach Angaben des polnischen Fernsehsenders TVPInfo starben in den Fluten bisher neun Menschen, drei wurden am Donnerstag noch vermisst. Regierungschef Tusk sprach sich trotz der schlimmen Lage dagegen aus, in den betroffenen Gebieten formell den Notstand auszurufen. Das wäre „in politischer Hinsicht abenteuerlich.“ In Polen soll am 20. Juni ein neuer Staatspräsident gewählt werden. Würde der Notstand ausgerufen, müsste die Wahl laut Gesetz auf den Herbst verschoben werden.