Die Meistermacher - Abendblatt-Serie, Teil 2: HSV-Handballtorwart Johannes Bitter spricht über die Saison seines Lebens beim HSV.

Hamburg. Es war schon eine schrille Reisegesellschaft, die sich am Donnerstag auf dem Hamburger Flughafen einfand. Bunt verkleidet und prächtig gelaunt traten die HSV-Handballer ihren viertägigen Ausflug auf die Urlaubsinsel Mallorca an. Nur einer fehlte in der Mannschaft des neuen deutschen Meisters: Johannes Bitter. Der Torhüter reiste aus familiären Gründen am Freitag nach.

Abendblatt: Herr Bitter, deutscher Meister 2011 - ist der Titel schon bei Ihnen angekommen?

Johannes Bitter: So richtig wird uns das wohl erst am 1. Juni bewusst werden, wenn ich zum ersten Mal in meinem Leben die Schale in den Händen tragen darf. Sie ist seit neun Jahren mein Ziel, so lange, wie ich in der Bundesliga spiele - vielleicht mit Ausnahme des ersten Jahres in Wilhelmshaven, da mag das nicht realistisch gewesen sein. Jetzt geht ein Traum in Erfüllung. Es war fantastisch, dass wir die Meisterschaft am Mittwoch gemeinsam mit unseren Fans in der eigenen Halle feiern konnten. Die Atmosphäre war unbeschreiblich. Es gibt nichts Schöneres. Ich ordne diesen Titel für mich schon sehr hoch ein.

Höher als den Gewinn der Weltmeisterschaft 2007?

Bitter: In Deutschland Weltmeister zu werden war auch so ein Traum. Aber das liegt nun schon eine ganze Weile zurück und ist sorgfältig im Hinterstübchen verstaut. Da kann ein frischer Eindruck nicht schaden.

Sie sind diesem Erfolg lange hinterhergelaufen und oft knapp gescheitert. Überwiegt jetzt die Erleichterung oder die Freude?

Bitter: Man kann sich die Meisterschaft zum Ziel setzen, aber man kann sie von niemandem fordern. Dass wir es jetzt erreicht haben, ist Freude pur. Denn wir wissen zu gut, dass dafür sehr viel zusammenkommen muss. Mal fehlte uns ein Punkt, mal waren es ein paar Tore.

Nicht wenige haben gedacht: Der HSV wird es wahrscheinlich nie schaffen. Sie insgeheim auch?

Bitter: Überhaupt nicht. Man merkte ja, dass wir uns peu à peu weiterentwickelt haben. Wir haben in dieser Saison sehr konstant gespielt. Immer wenn alle geglaubt haben: Heute sind sie fällig, haben wir uns wieder herausgezogen und auch hohe Rückstände noch umgebogen. Das spricht für unsere Qualität, die wir immer besser auf die Platte gekriegt haben.

Nach der Auftaktniederlage in Göppingen sah es danach überhaupt nicht aus.

Bitter: Rückblickend muss man wohl einräumen, dass wir damals kämpferisch noch nicht bereit für ein so schweres Auswärtsspiel waren. Natürlich konnte einem da schon ein bisschen bange werden. Heute sage ich: Diese Niederlage hat uns stark gemacht.

Worauf sind Sie besonders stolz?

Bitter: Darauf, dass wir kein einziges Heimspiel verloren haben. Das finde ich schon überragend. Zugegeben, wir mussten uns aus dem einen oder anderen Loch herauskämpfen. Aber gerade diese Qualität haben wir in der Vergangenheit des Öfteren vermissen lassen.

Wie ist der Unterschied zu erklären?

Bitter: Wir haben uns als Mannschaft entwickelt und konkret im Gegenstoß. Genau das hat Kiel in den vergangenen Jahren ja stark gemacht: dass man, egal was hinten passiert, sofort wieder nach vorn geht und macht und tut. An diesem Konzept sind viele unserer Gegner irgendwann zerbrochen. Sie konnten ein noch so schönes Tor werfen, aber sie haben sofort die Antwort bekommen. Diese leichten Tore haben uns in vielen Spielen gerettet.

Die Kieler haben diese Stärke vermissen lassen.

Bitter: Sie machen nicht mehr den souveränen Eindruck der vergangenen Jahre. Trotzdem: Die Tabelle ist nicht in erster Linie ein Abbild der Schwäche des THW. Das wäre sie, wenn wir nur einen Minuspunkt besser dastünden als die Kieler. Aber hinter uns klafft ein Riesenloch. Daran kann man einmal ermessen, was Selbstvertrauen ausmacht. Ein paar schwächere Spiele, und es ist plötzlich weg. Wir glauben dagegen voll an uns selbst.

Spielt es sich nächste Saison leichter mit dem Titel im Rücken?

Bitter: Ich sehe ihn in erster Linie als Motivationsschub. Natürlich fällt auch ein bisschen von dem Druck weg, der über die Jahre aufgebaut wurde, als es immer hieß: Irgendwann müssen sie es aber einmal schaffen! Diese Kritiker haben wohl vergessen, wie lange zum Beispiel die Kieler dem Champions-League-Gewinn hinterhergerannt sind. Eines ist sicher: In unserer Mannschaft steckt noch viel Potenzial. In dieser Saison haben wir es zum ersten Mal richtig abgerufen.

Beginnt jetzt die Ära des HSV?

Bitter: Das wäre eine zu gewagte Schlussfolgerung. Man hat ja gesehen, dass mitunter Nuancen über Wohl und Wehe einer ganzen Saison entscheiden. Ich bin davon überzeugt, dass wir uns dauerhaft ganz oben etablieren können. Aber dass wir jetzt auf die Meisterschaft abonniert sind, diese Erwartung halte ich für überzogen.

Welche Erwartungen haben Sie an den neuen HSV-Trainer Per Carlén, der zum 1. Juli Martin Schwalb ablösen wird?

Bitter: Ehrlich gesagt habe ich mich mit diesem Thema noch nicht beschäftigt. Ich habe erst einmal mit ihm gesprochen. Er hält sich noch aus allem heraus, was ich für richtig halte. Jede Unruhe dieser Art könnte sich negativ auf unsere Leistung auswirken. Und die Saison ist ja noch nicht vorbei.

Schwalbs Assistent Goran Stojanovic wird nicht mehr zum Stab gehören. Befürchten Sie, dass das Torwarttraining unter Carlén leiden könnte?

Bitter: Diesbezüglich wird sicher noch das eine oder andere Gespräch geführt werden. Noch wissen wir nicht, wie es auf der Position weitergeht. Ich halte einen Torwarttrainer in einem Handballverein für unverzichtbar, deshalb hoffe ich auf eine gute Lösung.

Sie bekommen mit dem Flensburger Dan Beutler einen Topkollegen an die Seite gestellt. Er wird Ihnen die Nummer eins sicher streitig machen wollen. Wie haben Sie auf die Verpflichtung reagiert?

Bitter: Ich persönlich hätte gern mit Per Sandström weitergespielt, was aber überhaupt nicht gegen Dan Beutler gerichtet ist. Pelle und ich verstehen uns einfach super, und wir haben in unseren vier gemeinsamen Jahren dem HSV wenig Anlass gegeben, mit der Torhüterleistung unzufrieden zu sein. Deshalb bin ich über seinen Weggang traurig. Trotzdem kann ich mit der Entscheidung gut leben. Ich will den Erfolg, und jeder gute Spieler ist ein Mosaikstein dazu.

Sie haben den HSV in vielen Spielen noch gerettet. Wäre es übertrieben zu sagen, Sie spielten die Saison Ihres Lebens?

Bitter: Woran will man das messen? Die Paradenstatistik habe ich nicht im Kopf. Aber ich bin mir schon bewusst, dass ich fast immer, wenn ein Spiel Spitz auf Knopf stand, da war.

Gibt es dafür eine Erklärung?

Bitter: Vielleicht bin ich innerlich ein bisschen ruhiger geworden. Nach einem schlechten Spiel lasse ich mich weniger verrückt machen davon, was alles schiefgelaufen ist, sondern vertraue voll auf meine Stärken.

Welche Rolle spielt in dem Zusammenhang die Auszeit von der Nationalmannschaft, die Sie sich nach der WM im Januar genommen haben? Viele hat der Zeitpunkt eineinhalb Jahre vor Olympia und kurz vor den entscheidenden EM-Qualifikationsspielen überrascht.

Bitter: Das war eine Entscheidung, die über einen längeren Zeitraum gereift ist. Den perfekten Moment hätte es ohnehin nicht gegeben. Die Olympischen Spiele sind noch ziemlich weit weg, aber der Punkt, an dem ich diese Pause brauchte, war jetzt gekommen. Die lange Abwesenheit von zu Hause, von der Familie und den Kindern, das wollte ich nicht mehr. Einen solchen Schritt nach einer WM zu gehen, daran kann ich nichts Verwerfliches finden.

Trotzdem wurden Sie dafür kritisiert.

Bitter: Ich bin niemandem etwas schuldig. Ich war neun Jahre lang Nationalspieler und habe mich in jeder Sekunde, in der ich dabei war, voll und ganz der Sache untergeordnet. Natürlich gab es die Überlegung, nur noch ausgewählte Lehrgänge mitzumachen. Aber mit einer solchen halb garen Lösung wäre ich nicht glücklich gewesen. Ein kurzfristiges Comeback vor Olympia wird es nicht geben, das wäre auch unfair gegenüber meinen Kollegen wie Carsten Lichtlein, der sich nun in den Vordergrund spielen kann. In vier, fünf Jahren, wenn meine Kinder in der Schule sind und aus dem Gröbsten heraus, sieht die Sache vielleicht wieder anders aus. Wenn die Leistung dann noch stimmt und mich der Bundestrainer gern dabeihätte, stünde ich sicher gern wieder zur Verfügung.

Teil 3: Lesen Sie am Montag, wie und warum Präsident Andreas Rudolph den HSV Hamburg vor dem Ruin rettete.