Erhardt und Klüver stellten ihr Amt sofort zur Verfügung – die meisten Kollegen folgen nach der Trainer-Entscheidung. Als Gründe werden das zerrüttete Verhältnis mit dem Vorstand sowie persönliche Beschimpfungen und Bedrohungen genannt.

Hamburg. Wer dachte, dass am Tag nach dem historischen HSV-Beben rund um die 2:4-Niederlage in Braunschweig nur noch die üblichen kleineren Nachbeben folgen würden, sollte sich gründlich irren. Den größten Ausschlag auf der „HSV-Richterskala", die das Ausmaß der Krise misst, gab es ohne Frage am Sonntagmorgen zu verzeichnen, als die Vorstände mit Mirko Slomka verhandelten und sich zeitgleich eine ganze Reihe von HSV-Aufsichtsräten zum Rücktritt entschloss.

Mit sofortiger Wirkung stellten Marek Erhardt und Hans-Ulrich Klüver ihre Ämter zur Verfügung; Ali Eghbal, Björn Floberg und Manfred Ertel wollten nach einer Beschlussvorlage für Slomka, die am Abend um 19 Uhr verschickt wurde, folgen. Noch-Chefkontrolleur Jens Meier sowie seine Stellvertreter Eckart Westphalen und Katrin Sattelmair ließen ihre Zukunft zunächst offen, definitiv im Amt bleiben wollten Christian Strauß, Jürgen Hunke und Ronny Wulff.

Was genau diese Flut von Rücktritten der Kontrolleure zu bedeuten hat, wusste am Sonntag: niemand. In der Satzung (§17.3) heißt es zu diesem noch nie vorgekommenen Szenario: „Scheidet ein gewähltes Aufsichtsratsmitglied vor Ablauf der Amtsperiode aus, so bleibt sein Sitz bis zur nächsten ordentlichen Mitgliederversammlung vakant.

Sinkt dadurch die Zahl der von der Mitgliederversammlung gewählten Mitglieder des Aufsichtsrates unter vier Personen, so hat der Vorstand unverzüglich eine Mitgliederversammlung zur Wahl der vakant gewordenen Plätze im Aufsichtsrat einzuberufen.“ Dies gelte aber nicht, sofern noch mindestens drei von der Mitgliederversammlung gewählte Aufsichtsratsmitglieder im Amt sind und bereits eine ordentliche oder außerordentliche Mitgliederversammlung geplant ist, deren Durchführung in den darauffolgenden drei Monaten erfolgen soll.

Da die ordentliche Mitgliederversammlung, auf der über die Strukturreform HSVPlus entschieden werden soll, aber für den 25. Mai angedacht war, ist das Chaos nun perfekt. Ob der Aufsichtsrat überhaupt noch handlungsfähig ist, dürfte sich erst in den kommenden Tagen entscheiden.

Sehr viel interessanter als das vereinspolitische Kleinklein ist aber vor allem die Begründung der Rats-Rücktritte. Gegenüber dem Abendblatt wurden vor allem zwei Hauptgründe angeführt: das völlig zerrüttete Verhältnis zwischen Kontrolleuren und Vorstand sowie persönliche Beschimpfungen und Bedrohungen, die nach Angaben von mehreren Räten an diesem Wochenende ihren Höhepunkt erreicht hätten.

„Mir persönlich wurde massiv in Braunschweig gedroht. Das war eine Situation, die so nicht mehr hinnehmbar ist“, sagte der erst vor einem Jahr zum Aufsichtsrat gewählte Eghbal, der sich im Fanblock auch wüste Beschimpfungen unterhalb der Gürtellinie gefallen lassen musste. Nur durch Polizeischutz habe er das Stadion verlassen können: „Ich muss mir überlegen, ob ich noch zu Spielen gehen kann. Da muss ich ja um mein Leben fürchten.“ Auch im Internet und durch E-Mails sei er massiv bedroht und beschimpft worden.

Mehrere Ratskollegen hatten ähnliche Erlebnisse, wollten offiziell aber genauso wenig darüber sprechen wie über ihren Ärger mit den Vorständen Carl Jarchow und Joachim Hilke. Hinter vorgehaltener Hand wurde lediglich berichtet, wie schlimm es um das bereits seit einem Jahr zerrüttete Verhältnis tatsächlich bestellt sei. Ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten sei mit Hilke und Jarchow nicht mehr möglich, weswegen beiden Vorständen auch das vorzeitige Aus im Sommer gedroht hätte. Zumindest Hilke darf nach dem sonntäglichen HSV-Beben nun wieder hoffen, nach der geplanten Strukturreform HSVPlus im Amt zu bleiben.

Während es in den sozialen Netzen einen regelrechten Aufschrei der Erleichterung über die Rücktrittswelle innerhalb des Kontrollgremiums gab, dürften auch die Unterstützer der Initiative HSVPlus mit Freude auf die Nachricht der scheidenden Räte reagiert haben. Für sie gibt es nun die Möglichkeit, bei den nächsten Wahlen gleich eine ganze Reihe von Sympathisanten in den Aufsichtsrat wählen zu lassen. Der Vorteil: Sollte die Strukturreform bei der ordentlichen Mitgliederversammlung mit der notwendigen Dreiviertelmehrheit angenommen werden, könnte ein dann veränderter Rat die HSVPlus-Aushängeschilder Thomas von Heesen und Holger Hieronymus in den Vorstand bestellen.

Bis dahin ist es allerdings noch ein langer Weg. An diesem Montag muss sich zunächst mal die Aufsichtsratsspitze um Meier, Westphalen und Sattelmair für oder gegen einen vorzeitigen Rückzug entscheiden. Und was sagt Noch-Aufsichtsratschef Meier zum HSV-Beben des Sonntags? Nichts. Und auch das ist ein Statement.