Trotz acht Gegentoren in nur zwei Spielen und verheerender Statistiken will der HSV-Trainer seine offensive Grundausrichtung beibehalten. Mit Recht, sagt Sport1-Moderator Thomas Helmer.

Hamburg. Ein schlechter Verlierer ist Thorsten Fink nun wirklich nicht, zumindest nicht mit zwei Nächten Abstand. So brauchte der HSV-Trainer, der sich nach der derben 1:5-Klatsche gegen Hoffenheim heftige mediale Kritik gefallen lassen musste, gerade mal drei Minuten, um am frühen Montagmorgen zum Telefonhörer zu greifen, zurückzurufen und sich ein weiteres Mal auf eine Diskussion über Gegentore und mutmaßliche Defensivprobleme einzulassen. Anders als am Sonnabend, als Fink unmittelbar nach der Blamage gegen Hoffenheim einem Vulkan kurz vor dem Ausbruch glich, blieb der HSV-Cheftrainer diesmal im Gespräch ruhig, sachlich und freundlich. Nur eines wollte Fink auf gar keinen Fall ändern: seine Meinung.

„Ich bleibe dabei, dass wir defensiv kein Problem haben“, sagte der 45-jährige Fußballlehrer, „deswegen werde ich auch nichts ändern.“ Er sei nun mal ein Trainer, der offensiv denken würde, dem ein 5:4 lieber als ein 1:0 sei und der „nur“ wegen einer einzigen Klatsche nicht seine Spielphilosophie auf den Kopf stellen würde. Da störe ihn auch gar nicht, dass die von Castrol Edge ausgewerteten Statistiken durchaus auf eine Schießbude schließen lassen: Der HSV kassierte mit acht Gegentreffern in nur zwei Spielen die meisten Tore aller Bundesligaclubs und ließ gegen Hoffenheim (18) und gegen Schalke (19) insgesamt die meisten Torschüsse zu. Auch im laufenden Kalenderjahr 2013 kassierte der HSV die meisten Gegentreffer insgesamt (40), die meisten Stürmertore (23), die meisten Kopfballtore (11) und auch die meisten Flanken-Gegentreffer (11). Seit Finks Amtsantritt am 17. Oktober 2011 gab es sechs Niederlagen mit vier oder mehr Gegentoren – auch das ist der höchste Wert aller Bundesligisten. Und zum Schluss: Der HSV wartet nun schon seit elf Spielen auf eine Partie ohne Gegentor.

Fink kennt all diese Zahlen, sie tangieren ihn aber nicht. „Wir sind mit unserer offensiven Grundausrichtung in der vergangenen Saison Siebter geworden – und wir werden auch in dieser Saison mit dieser Spielphilosophie Erfolg haben“, sagt der Wahl-Eppendorfer, der als Spieler kurioserweise als kompromissloser Zerstörer vor der Abwehr galt. Doch das eine schließt das andere laut Fink nicht aus: „Wir brauchen keine defensivere Grundordnung, jeder Einzelne muss nur lernen, seine defensiven Pflichten wahrzunehmen. Es geht darum, schneller umzuschalten, schneller zurückzulaufen und schneller mit allen hinter den Ball zu kommen.“

Fink plant keine Veränderungen

Ähnlich wie seine skizzierten Vorstellungen vom Fußball präsentiert sich Fink auch selbst: angriffslustig, aus einer kontrollierten Offensive heraus. So betonte er am Montag, dass er auch gegen Hertha am kommenden Sonnabend keine grundlegenden Veränderungen plane. Nicht die Aufstellung müsse geändert werden, sondern die Einstellung. „Auch mit einem Zerstörer wie Tomas Rincon im defensiven Mittelfeld war unsere Abwehr nicht weniger anfällig im Testspiel gegen Dresden“, erklärt Fink, für den der Venezolaner derzeit keine Alternative zu sein scheint. Da auch der lange verletzte Innenverteidiger Johan Djourou erst diese Woche ins Mannschaftstraining wieder einsteigt, dürften sämtliche Schlüsselpositionen der Defensive unverändert bleiben.

Es mag nach dem 1:5 gegen Hoffenheim absurd klingen, aber derzeit scheint Finks Team ein ähnliches Problem wie die Nationalmannschaft zu plagen, die unter Offensivtrainer Joachim Löw – allerdings auf einem anderen Niveau – ebenfalls die Abwehr zu vernachlässigen droht. In den vergangenen drei Länderspielen gegen eher zweitklassige Gegner (Paraguay, USA, Ecuador) kassierte die DFB-Auswahl immerhin acht Gegentore. Und tatsächlich bevorzugen die beiden Fußballlehrer das 4-2-3-1-System mit zwei offensiven Spielgestaltern vor der Abwehr und im Idealfall einem mitspielenden Stürmer ganz vorne. Finks Probleme: Der HSV hat keinen mitspielenden Stürmer, und die zwei defensiv-zentralen Spielgestalter (Tolgay Arslan und Milan Badelj) scheinen zu langsam.

„Ich finde den Vergleich mit der Nationalmannschaft gar nicht so abwegig“, sagt Sport1-Moderator Thomas Helmer, der in Hamburg wohnt und die HSV-Spiele mit besonderem Interesse verfolgt. „Wenn man aber so offensiv spielen lässt, dann müssen die Spieler die Klasse haben, ihre defensiven Aufgaben nicht zu vernachlässigen“, sagt der frühere Abwehrspieler, der zwischen 1997 und 1999 mit Fink für Bayerns Defensive verantwortlich war. Dass sein früherer Mannschaftskollege insgesamt zu offensiv spielen lassen würde, verneint Helmer: „Man muss sich doch nur das Spiel gegen Hoffenheim anschauen. Die Gegentore in der zweiten Halbzeit sind fast alle nach individuellen Fehlern und nicht wegen der taktischen Ausrichtung gefallen.“

Einen konkreten Vorschlag hätte Helmer im Hinblick auf das Spiel gegen Hertha BSC dann aber doch zu machen: Der frühere Innenverteidiger würde für die Stabilität Petr Jiracek im defensiven Mittelfeld mal eine Chance einräumen. „Wenn ich mich recht erinnere, hat man Jiracek vor einem Jahr für eine der beiden Positionen auf der Doppelsechs geholt, ihn seitdem aber fast immer im linken Mittelfeld eingesetzt. Es wäre einen Versuch wert.“

Immerhin vier Tage hat Fink noch Zeit, die defensiven Probleme, die aus seiner Sicht keine Probleme sind, zu beheben. Erste Sofortmaßnahme nach den zwei trainingsfreien Tagen: Die von Sportchef Oliver Kreuzer für diesen Dienstag angekündigte „knallharte Analyse“ wurde vorerst gestrichen.