In der Zweiten Liga würde der HSV-Etat um rund 50 Millionen Euro sinken. Bei Klassenerhalt kommt Artjoms Rudnevs als Petric-Nachfolger.

Hamburg. Das Treffen, auf dem die nahe, mittelfristige und auch langfristige Zukunft des HSV besprochen werden soll, ist für heute Vormittag um 10 Uhr in den Räumlichkeiten der Imtech-Arena terminiert. Zwar wiegelt HSV-Boss Carl Jarchow glaubwürdig ab, dass er sich mit seinen Vorstandskollegen wie jeden Dienstag lediglich zur turnusmäßigen Vorstandssitzung treffen würde und die heutige Runde nichts Besonderes sei. Doch gibt der HSV-Chef im gleichen Atemzug zu, dass man auch über den Fall der Fälle, über den öffentlich niemand reden will, sprechen muss. Der Fall Abstieg.

Bis zum Ende dieser Woche müssen Jarchow und Co die Lizenzierungsunterlagen für die Zweite Liga an die DFL nach Frankfurt am Main geschickt haben. Und obwohl Hamburgs Trainer Thorsten Fink auch gestern wieder verkündete, sich gedanklich nicht mit dem Abstieg befassen zu wollen, sind die Planungen für einen "worst case" in Wahrheit längst abgeschlossen. Wie das Abendblatt erfuhr, würde der HSV in der Zweiten Liga mit einem um mehr als 50 Millionen Euro gekürzten Etat von rund 75 Millionen Euro planen. Der Gehaltsetat müsste statt der avisierten zehn Prozent bei Klassenerhalt in der Zweiten Liga um ein Drittel auf rund 27 Millionen Euro reduziert werden.

Um die ehrgeizigen Sparvorhaben zu erreichen, müsste Sportchef Frank Arnesen, der selbst keinen gültigen Vertrag für die Zweite Liga besitzt, fast alle Großverdiener verkaufen. Dabei müsste sich der Däne darauf gefasst machen, gleich mehrere Spieler ablösefrei ziehen zu lassen. Zwar sind sämtliche Profiverträge auch in der Zweiten Liga gültig, allerdings kann der HSV bis zum 30. Juni von einer Sicherheitsklausel Gebrauch machen, die dem Verein die Möglichkeit gibt, jeden einzelnen Vertrag an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Im Klartext heißt das, dass Arnesen gezwungen sein könnte, sämtlichen Großverdienern eine Gehaltsreduzierung anzubieten, die diese aber ablehnen dürften. Die Folge wäre, dass die Betroffenen ablösefrei wechseln dürften, den Gehaltsetat aber nicht mehr belasten. Gemeint sind Top-Verdiener wie Marcell Jansen, Paolo Guerrero, Marcus Berg oder Gojko Kacar, die sich der HSV in der Zweiten Liga nicht mehr leisten könnte.

Erschwerend hinzu kommt, dass dem HSV in allen Geschäftsfeldern erhebliche Einnahmeeinbußen drohen. Die Verträge mit den Hauptsponsoren Emirates, Adidas und Imtech gelten zwar auch in der Zweiten Liga. Allerdings müsste das Trio im Falle eines Abstiegs vertraglich festgeschrieben deutlich weniger zahlen als bisher. Besonders hart würden den Verein die geringeren TV-Einnahmen treffen. Nachdem der HSV in der Saison 2010/11 noch 25,95 Millionen Euro TV-Gelder kassierte, dürfte der HSV in der Zweiten Liga nur noch rund zehn Millionen Euro erwarten. Und auch im Hospitalitybereich drohen dem Verein erhebliche Verluste. Nachdem HSV-Vermarkter Sportfive in dieser Saison Rekordzahlen vermelden konnten - 50 von 50 Logen wurden verkauft, nahezu alle der 3663 Business-Seats konnten abgesetzt werden - dürften die Einnahmen von rund 23 Millionen Euro eine Liga tiefer nicht annähernd erreicht werden.

Nur strukturell dürfte sich trotz eines möglichen Abstiegs wenig ändern. Zwar enden die Verträge aller Vorstände bei einem Abstieg, allerdings dürfte der Aufsichtsrat Jarchow, Joachim Hilke, Oliver Scheel und auch Frank Arnesen selbst bei einem Neuaufbau in der Zweiten Liga das Vertrauen aussprechen. Der Vertrag von Trainer Fink gilt ohnehin auch in der Zweiten Liga, lediglich das Gehalt würde etwas geringer ausfallen. Und auch auf der Geschäftsstelle sollen keine Abstiegs-Kündigungen ausgesprochen werden.

Während der Fall Abstieg zumindest in der Theorie also längst durchgesprochen ist, nehmen auch die Planungen für den Verbleib in der Bundesliga Fahrt auf. Wie das Abendblatt erfuhr, steht für den Fall des Klassenerhalts sogar schon der erste Neuzugang für die kommende Saison fest: Stürmer Artjoms Rudnevs. Der lettische Torjäger von Lech Posen, der auch von Borussia Dortmund und Borussia Mönchengladbach umworben gewesen sein soll, wird Mladen Petric im Angriff ersetzen. Der HSV, Posen und der 24-jährige Nationalspieler sind sich bereits seit Wochen einig, wollen den Transfer aufgrund der ungewissen sportlichen Situation allerdings noch nicht bekannt geben.

Obwohl Rudnevs lediglich Fußball-Experten ein Name sein dürfte, scheint dem HSV mit dessen Verpflichtung ein echter Coup gelungen zu sein. Arnesen soll intern besonders die Vollstreckerqualitäten des beidfüssigen Stürmers gelobt haben, der in dieser Saison in 21 Meisterschaftsspielen in der polnischen Ekstraklasa 18 Treffer erzielen konnte. Der 1,78 Meter kleine Lette begann seine Profikarriere in der Heimat bei Ditton Daugavpils, wechselte 2009 nach Ungarn zu Zalaegerszegi und ein Jahr später nach Polen. International aufgefallen war der bullige Angreifer erstmals, als er beim ersten Gruppenspiel der Europa League 2010 bei Posens 3:3 gegen Juventus Turin alle drei Treffer für seine Mannschaft erzielte.

Neben dem Kauf von Rudnevs gilt auch weiterhin die Verpflichtung von Torhüter René Adler im Falle des Klassenerhalts als nahezu perfekt. Zudem wurde intern auch eine Weiterbeschäftigung David Jarolims, dem man angekündigt hatte, seinen auslaufenden Vertrag nicht zu verlängern, ernsthaft erwogen. Eine Entscheidung soll folgen, sobald die Klasse fest steht. Redebedarf im Vorstand gibt es jedenfalls genug.

Die Zukunft beginnt heute.